Irrtuemer 1


Humes Philosophie als Ergebnis von ‚philosophieren‘ in eigener Sache

Die geringe Resonanz auf die aus meiner Sicht „sensationellen“ Texte Humes beschaeftigt mich. Wie kommt es, dass Humes Beschreibungen des Menschlichen, seine Aussagen ueber Kommunikation (’sympathizing‘), ja insgesamt Humes grundsaetzlich eigenstaendige neue Sichten, die anderen eigenstaendiges Philosophieren ermoeglichen koennen, so wenig Aufmerksamkeit finden? In den nachfolgenden Artikeln moechte ich veroeffentlichen, was ich dazu herausgefunden habe.

Der Personenkreis,  an den ich als moegliche Interessenten fuer Humes Philosophie denke, sind Menschen die ‚philosophieren‘ fasziniert. Mit ‚philosophieren‘ meine ich im Allgemeinen, ueber alles, was ich merke nachzudenken. Dieses ’nachdenken‘ bezieht sich auf Material, das das Leben zur Verfuegung stellt, besteht also aus Ereignissen und entsprechenden Erlebnissen, die mehr oder weniger angenehm waren. Aus diesen ziehen Menschen Schlussfolgerungen für ‚handeln‘ in der Gegenwart – d.h. sie lernen -, was üblicherweise mit dem Wort „Erfahrung“ bezeichnet wird. Menschen, die ‚philosophieren‘ fasziniert, interessieren sich in diesem Zusammenhang auch fuer das, was amtlich bestellte oder bekannte Philosophen zu sagen haben. Denn diese bestimmen mit ihren Auffassungen den oeffentlichen Diskurs.

Meine Beduerfnisse, denen ich mit meinem ‚philosophieren‘ zu entsprechen suche, beziehen sich auf mein ‚handeln‘ fuer mich und fuer andere. Es geht mir darum, eigene Orientierungen bzw. Kriterien fuer menschliches ‚handeln‘ zu entdecken, mit denen ich mein ‚handeln‘ verbessern kann.  Eine Reihe weiterer Merkmale meines  physistisch geprägten ‚philosophieren‘ findet sich unter Rolf Reinhold’s PHYSISTIK. Ich verdanke es dem Philosophen Rolf Reinhold, dass ich „das Rad nicht neu erfinden musste“, sondern die von ihm fuer sein Leben gefundenen Muster menschlichen Handelns als erste Orientierungen und Auffinden meiner Kriterien verwenden konnte. Da ich davor bereits bei toten und lebenden Metaphysikern (u.a.  Platon und Augstin von Thagaste) in die Schule gegangen war, ist es fuer mich auszerdem wichtig zu klaeren, weshalb die Metaphysik fuer mich keine Orientierungen und Kriterien zu Verfuegung stellte. Dies steht alles im Kontext meines Interesses am Humeschem ‚philosophieren‘.

Humeforscher gehen von einem ganz anderen Ansatz des ‚philosophieren‘ aus als ich und kommen so zu anderen Humeinterpretationen. So schreibt z.B. Lambert Wiesing in seinem Kommentar zu Humes UNTERSUCHUNG UEBER DEN MENSCHLICHEN VERSTAND, es sei unter Philosophen unstrittig, „dass philosophische Forschung keine empirischen Beweise erbringt, sondern durch kategoriale und begriffliche Argumentation vollzogen wird“ (David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand. Übers. Raoul Richter. Kommentar v. Lambert Wiesing. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2007, S. 254). Weil Hume nach Wiesings Meinung ‚Empirie‘ als Beweise fuer seine philosophischen Forschungsergebnisse benutze – Humes Differenzierungen in diesem Punkt könnte er überlesen haben (vgl. u.a. David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand V,2) -, erklaert er das Humesche ‚philosophieren‘ fuer gescheitert. Wiesing meint, das Scheitern mache den „klassischen Wert“ Humes fuer die Philosophie aus. Hume habe aber eigentlich blosz „psychologische Betrachtungen“ angestellt (ebd.). Auch dies scheint unter deutschen Humeforschern unstrittig zu sein.

Lambert Wiesings Auffassung über Philosophieren duerfte unter universitaer ausgebildeten Philosophen und Humeforschern unstrittig sein, aber nicht unter philosophierenden Menschen, die ‚philosophieren‘ als koerperumfassende Aktivität ihres eigenen Lebens fasziniert. Diese ‚physistisch gepraegten‘ Philosophen folgen stets ihren eigenen Wegen zu ‚philosophieren‘, weil sie davon ausgehen, dass nur eigene Wege sie weiterbringen. Sie moechten ’sagen, was sie sehen und denken, was sie denken‘. Nichts was andere meinen, bleibt ungeprueft, auch Eigenes nicht.

Der Behauptung Wiesings, dass Empirie (Erfahrung) keine Beweise bringt, stimme ich mit Hume gern zu: Beweise sind nur innerhalb von in sich geschlossenen Systemen moeglich, wie sie z.B. die Mathematik produziert (vgl. Untersuchung ueber den menschlichen Verstand V,1.) Ereignisse, Situationen menschlichen Lebens aber, insbesondere ‚Menschen‘, sowie ‚handeln‘ und ‚denken‘ bezeichnen keine in sich geschlossenen Systeme. Von ihnen nimmt Hume an, dass sie philosophische Forschungsergebnisse liefern, die ausschließlich ‚probabilistischen‘ Charakter haben (vgl. z.B. Untersuchung ueber den menschlichen Verstand IV Abhandlung ueber die menschliche Natur 1.4.5. 30|35.) Die Begrenztheit probalistischer Aussagen akzeptiert Hume, weil sie  in der Natur der Sache liegen. Diese Sachen sind ‚impressions‘ und ’sensations‘, stets ‚peripherieoffen‘ und so veraenderbar. Menschen werden kontinuierlich durch koerperliche Eindrücke und Empfindungen pertubiert. Diese werden an der koerperlichen Peripherie oder durch entsprechende innere Organlagen ausgeloest und bilden die Basis unserer Entscheidungen. 

Solange dieses natuerliche Lernprinzip ausgeschlossen wird, ist fuer mich jede ‚kategoriale und begriffliche‘ Festlegung unbrauchbar, weil sie so tut, als sei sie vom Himmel gefallen. Wiesing laesst diesem Verstaendnis folgend die menschliche Physis auszen vor. Derartiges ‚wegsehen‘ ist m. E. nicht unter ‚psychologischen Betrachtungen‘ zu verbuchen. Dies entstammt einer nach wie vor lebendigen philosophischen Tradition Deutschlands, in der mehr oder weniger offensichtlich uralte Kategorien und Begriffe verwendet werden, die Autoritaetsabhaengigkeit signalisieren.

Kant hielt die menschliche Natur fuer philosophisch unerheblich, weil er die uneingeschraenkte Steuerbarkeit der menschlichen Physis durch Verstand und Vernunft als a priori gegeben ansah (vgl. Johann Kraus: Recension von Ulrich’s Eleutheriologie). Hume aber machte von der menschlichen Physis als Ausgangpunkt fuer seine Abhandlung ueber die menschliche Natur positiven Gebrauch. Anstatt wie Kant von Theorien des ‚denken‘  ging er von physiologischen Forschungserebnissen seiner Zeit und vor allem von seinem eigenen Beobachten menschlichen Verhaltens aus,  sein eigenes einschließlich. Die Tradition der „Kategorien und Begriffe“ duerfte also hinsichtlich Hume keine zutreffenden Kriterien der Interpretation zur Verfuegung stellen koennen, weil Hume ihr nicht folgte. Bereits als junger Mann hat Hume jede Unterordnung seines ‚philosophieren‘ unter alte Theorien abgelehnt. „Ich habe herausgefunden, dass die Philosophie ueber menschliches Handeln seit der Antike mit derselben Unzulaenglichkeit arbeitet wie die Naturwissenschaften. Beide gehen m. E. ausschlieszlich von Hypothesen und Spekulationen aus, anstatt sich auf Erfahrbares und Erforschbares zu beziehen…Man muss nicht viel mehr tun, um zu verwertbaren Ergebnissen zu kommen, als alle diese alten Theorien zugunsten der eigenen Sichten oder der anderer wegzuwerfen. Es duerfte letztlich von den Sichten anderer abhaengen, ob meine Schlussfolgerungen fuer zutreffend gehalten werden oder nicht. Innerhalb der letzten drei Jahre habe ich meine Schlussfolgerungen in einem Ausmasz vervielfacht, so dass ich damit viele Stapel Papier mit Notizen fuellen konnte, die ausschlieszlich das enthalten, wie ich die Dinge sehe.“ (David Hume: Brief an einen Arzt. Edinburgh 1734. Abgedruckt in John Hill Burton: Life and Correspondance of David Hume. Edinburgh 1846. Band I. S. 30 – 39.)

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