Wirkliche Philosophie …

… bzw. ‚wahre‘ Philosophie zu treiben, war schon als Jugendlicher Hume’s Wunsch gewesen. Ich war „von fruehester Kindheit an, immer fasziniert … von Buechern und Wissenschaften.“, schrieb der 23jaehrige in einem Brief 1734. „Buecher ueber das Denken und die Philosophie, Dichtung und Literatur faszinierten mich [seit ich ungefaehr 15 Jahre alt war] gleichermaszen.“

Fuer Religion interessierte er sich im Hinblick auf die weit verbreitete Behauptung, es gaebe so etwas wie eine angeborene Disposition, dass ein hoeheres Wesen existiere. Dieser Behauptung widersprach er mit seinen philosophischen Forschungen entschieden. Lehren und Zeremonien der Kirchen beeinflussten das menschliche Empfinden fortlaufend – so Hume – und hielten so den religioesen Glauben lebendig. (Vgl. z. B. T. 1.3.8.4)

Doch auch in den Wissenschaften ist das glaeubige Vertrauen in Autoritaeten und die Wissensvermittlung vorherrschend. „Jemand, der mit Philosophie und Aesthetik vertraut ist, weiss, dass diese beiden Wissenschaften bisher nichts weiter erreicht haben, als endlose Dispute zu fuehren, auch wenn es um grundlegendste Themen geht. Waehrend ich die Lektueren eingehend pruefte, fuehlte ich einen unueberwindbaren heftigen Widerstand in mir wachsen, weiterhin irgendwelchen Autoritaeten auf diesem Gebiet zu folgen. Ich hielt Ausschau nach neuen Mitteln, mit dem ich zutreffende Ergebnisse wuerde finden koennen. Nach vielen Studien und Gedanken darueber schienen sich mir neue Sichten zu oeffnen – Ich war ungefaehr 18 Jahre alt -, die mich ueber alle ueblichen Standards hinausfuehrten.“ (Brief an einen Arzt: Burton: Life and correspondence of David Hume .)

Hume erlebte bald, dass seine „wirkliche Philosophie“ ihm anstelle des von ihm gewuenschten regen Gedankenaustausches nichts als Ablehnung einbrachte. „Ich habe mir die Feindschaft aller Metaphysiker, Logiker, Mathematiker und sogar der Theologen zugezogen. Ich habe sie angegriffen und in ihrer Ehre gekraenkt. Darf ich mich da wundern, dass ich leiden muss? Ich habe ihre Denkgebaeude in Frage gestellt: Wieso bin ich eigentlich ueberrascht, dass sie fuer mich und meine Person nichts als Ablehnung uebrig haben? „ (Treatise 1.4.7.2)

Was hatte ihn zu einem verfemten Auszenseiter gemacht? Es handelte sich um skeptische Sichten, die er fuer unerlaesslich hielt und die Weigerung, Autoritaeten zu folgen, die aus seiner Sicht fuer den unproduktiven Skeptizimus sorgten, den kirchliche Autoritaeten Philosophen wie ihm unterstellten. ‚Dabei tue ich nichts anderes, als die Dinge genau so zu betrachten, wie sie sich mir zeigen.‘ (Vgl. Treatise 1.4.7.3) Dieses protagoraeische Philosophieren, das durch christliche und metaphysische Sichten, von Theologen und Philosophen durch die Jahrhunderte als anthropologisch gefaehrlich verteufelt worden war, war der Anlass fuer den Misserfolg seiner fruehen Veroeffentlichungen und fuer die allgemeine Ablehnung seiner neuen Sichten.

Die Dinge so zu betrachten, wie sie sich zeigen, hiesz fuer Hume, so zu philosophieren, wie es dem Menschen entsprechend der Funktionsweise seines Gehirns und anderer Organe und dem daraus folgenden Tun moeglich ist. Er ging davon aus, dass alles, was Menschen kennen und ueber das sie mit einer wahrscheinlichen Gewissheit reden koennen, aus koerperlichen Ereignissen, vor allem aus Ereignissen in unseren Sinnesorganen herruehrt. Damit folgte er dem Kenntnisstand von Physiologen und Anatomen seiner Zeit. Davon ging auch sein Zeitgenosse Condillac aus.

Alle Aussagen, die sich nicht auf koerperliche Ereignisse, also ’sensations‘ zurueckfuehren lassen, sind nicht ‚wirklich‘ philosophisch. Im Menschen tauchen diese ’sensations‘ als ‚perceptions‘ auf. Letztere sind individuelle Vorstellungen und Empfindungen – die jeder, bei sich selber beobachten kann – von denen ausgehend, Menschen zu Kenntnissen kommen.

Es ist hier nahe liegend an Berkeley zu denken. Dessen Philosophieren hat fuer Hume in der Tat anregend gewirkt. Hume zitiert ihn wiederholt im ersten Band seines Treatise. Das gilt auch fuer Professoren an der Edinburger Universitaet, von denen sich einige regelmaeszig in der ersten Wissenschaftsgesellschaft Schottlands trafen und dort neue philosophische Sichten diskutierten. Hume war ebenfalls Teilnehmer in dieser Runde, die sich nach dem Gasthaus in dem sie tagten, RANKANIAN CLUB nannte. Ueber diesen Club soll Berkeley gesagt haben: „Niemand auszer diesen jungen Leuten in Nordbritannien, hat meine Art des Philosophierens besser verstanden.“ (vgl. William Christian Lehmann: Henry Home, Lord Kames, and the Scottish enlightenment. Berlin 1971, S.52. Google-Buch)

Der Mainstream von Hume’s philosophierenden Zeitgenossen ging davon aus, dass Philosophieren sich im Geist des Menschen abspielt, an dem ’sensations‘ nur marginal beteiligt sind. ‚perceptions‘, also Perzeptionen, bzw. Apperzeptionen wie Leibniz differenzierte, hatten eine geistigen Natur bzw. waren Produkte aus geistigen Aktivitaeten, und wurden moeglicherweise angeregt durch ’sensations‘. Hume liesz sich nicht darueber aus, ob die ‚perceptions‘ geistiger Natur sind: ihm genuegte es festzustellen, dass sie auftauchen und dass sie als Basis fuer Denken und Handeln fungieren. „Es genuegt mir, wenn ich anlaesslich von eigenen Beobachtungen sagen kann, wie meine Sinne affiziert werden und wie die ‚perceptions‘ miteinander verbunden werden. Das reicht aus, um ein (lebenswertes) Leben zu leben und das reicht auch fuer meine Philosophie. Ich moechte die ‚perceptions‘ lediglich beschreiben und – so weit wie möglich – ihre Ursachen erforschen.“ (T. 1.2.5.26)

Irrtuemer 2


Zur Tradition einer metaphyisch geprägten Hume-Interpretation

Es ist unter Forschern und Interessierten immer wieder die Rede davon,  dass Kant durch Hume aus seinem „dogmatischen Schlummer“ geweckt worden sei. Von welcher Art das Aufwachen Kants im Hinblick auf Hume war, scheint mir fuer die Grundlagenforschung von ‚philosophieren‘ noch kaum untersucht. Im deutschen Sprachraum ueberwog bisher die metaphysisch gepraegte Auffassung, dass Kantisches dem Humeschen ueberlegen sei. Um dies unter Beweis zu stellen, stuelpte man z, B. die kopernikanische Wende zum Subjektivismus ueber Humesches und uebersah dabei, dass Hume nur von seinen eigenen Sichten, d.h. vom Individuellem ausging.  Dies koennte u.a. eine Folge seiner sehr fruehen physiologischen Lektuere und moeglicher spaeterer Teilnahme an physiologischen Vorlesungen der Universitaet Edinburgh gewesen sein. (Vgl. Literaturhinweis „Stewart“ am Schluss.)  

Weil Hume mit ‚mind‘, ’soul‘, ‚understanding‘ … dem gewohnten Sprachgebrauch folgte, unterlegte man ganz selbstverstaendlich metaphysische Inhalte. Man hielt Hume fuer einen Erkenntnistheoretiker, behauptete er habe sich mit Induktion befasst oder er habe eine neue Kausalitaetstheorie entwickelt. Dies u. v. a. m. duerfte einer stimmigen und umfassenden Werkinterpretation Humes im Wege stehen.  Philosophiegeschichtliche Darstellungen unterschiedlichster Autoren duerften an diesem metaphysisch gepraegten Hume-Bild mitgewirkt haben. Schon Wilhelm Gottlieb Tennemann (1761-1819)  betrachtete in seiner Philosophiegeschichte (veroeffentlicht 1798-1819) den Verzicht Humes auf Geist und Metaphysik als den entscheidenden Mangel der „Menschenwissenschaften“. Diese Auffassung von der qualitativen Ueberlegenheit eines auf Geist und metaphysischen Spekulationen gegruendeten ‚philosophieren‘  koennte nachfolgende Forscher bewogen haben, ueber kurze Wege zu interpretieren, ohne den weitlaeufigeren Wegen Humes mehr als noetig nachzuspueren. Tennemann erwaehnte interessanterweise in Verbindung mit den schottischen Sensualisten Locke, Berkeley und Hume den schottischen Mediziner David Hartley (1704-1757), der „Nervenschwingungen“ als Grundlage fuer menschliches Denken betrachtete. (Vgl.: Amadeus Wendt (Hg.): Wilhelm Gottlieb Tennemann: Grundriss der Geschichte der Philosophie fuer den akademischen Unterricht. Leipzig 1829, 5. Aufl., §370. )  

Hume wird in grundlegender Hinsicht traditionell gern als „Aufsehen erregendes Vorlaeuferphaenomen Kants“ betrachtet. „… Kant ohne Hume ist einfach nicht denkbar. Zuerst musste ein groszer, scharfsinniger und tiefbohrender, vor keiner Konsequenz zurueckscheuender Denker, wie Hume, den Rationalismus voellig zerstoeren und den Empirismus zu einem folgerichtigen, in Phaenomenalismus und Skeptizismus sich aufloesenden Abschluss bringen …“ (I. Mirkin: Hat Kant Hume widerlegt? Eine erkenntnistheoretische Untersuchung. Bern 1901. Habil.Schr. Kant-Studien, Band 7, Heft 1-3, Seiten 230–299, dort S.230.) Solche Saetze duerften eine metaphysisch gepraegten Sicht auf die Humesche Grundlegung des ‚philosophieren‘ anzeigen. Sie tragen deutlich Zuege der ersten englischen Humeinterpretationen: 1764 von Thomas Reid (1710-1796) und 1770 von James Beattie (1735-1803). Die Reid-Beattie-Interpretation verhinderte – laut Lambert Wiesing (David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand. Uebers. Raoul Richter. Kommentar v. Lambert Wiesing. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2007, 410-414) und Gerhard Streminger (vgl. Gerhard Streminger: Zur Wirkungsgeschichte David Humes. In: Topitsch&Streminger: Hume. Darmstadt 1981, S. 19-51. wirksam fast 200 Jahre lang jede Art von Interpretationen, die die Komplexitaet Humescher Forschungsergebnisse beruecksichtigten. „Stueckwerkinterpretationen“ (Streminger, ebd. S. 48) waren und sind auf dem Gebiet der Interpretationen der  „Menschenwissenschaften“ allgemein akzeptierter wissenschaftlicher Brauch. Hume hatte 1740 in seinem ABSTRACT zum TREATISE diesen Umstand im Blick. Er bezeichnete es als die Krux fuer die Verbreitung seiner Philosophie, dass der Leser gefordert werde,  weitlaeufige Gedankengaenge zusammenschauend im Gedaechtnis zu behalten, um sich ein zutreffendes Gesamtbild machen zu koennen.  Diese weitlaeufigen Gedankengaenge verkuerzte er fuer die UNTERSUCHUNG UEBER DEN MENSCHLICHEN VERSTAND.

Die Kenntnisse aus Humes „Menschenwissenschaft“ verbreiteten sich philosophisch gewinnbringend unter wenigen. Im deutschsprachigen Raum waren es z.B. die Philosophen Johann August Ulrich (1746-1813) in Jena  und Johann Christian Lossius (1743-1813) in Erfurt.  Lossius bezog seine Forschungsergebnisse UEBER DIE PHYSISCHEN URSACHEN DES WAHREN ausdruecklich auf „Nervenerregungen“. Spaeter folgten Ernst Mach (1838-1916) , Richard Wahle (1857-1935) , Albert Einstein (1879-1955) , Hartwig Kuhlenbeck (1897-1984) , …etc.).  

„Es ist ganz sicher, daß alle Daten der Erfahrung nur gegeben sind beim Bestande menschlicher Sinne und des menschlichen Gehirnes. Wir sagten nicht, daß alle empirischen Daten als Empfindungen in einem Bewusztsein gegeben seien;  […] Aber es ist sicher, daß alle empirischen Vorkommnisse nur bei gleichzeitiger Aktion der Nervenapparate vorhanden sind, also, abgekuerzt gesprochen, an den Bestand von Sinnen gekoppelt sind. Es ist somit moeglich, da man es nur mit Relativitaeten zu tun hat, daß die wahre Natur der Dinge durch die Konkurrenz der Sinne vollstaendig verschleiert ist.“ (Richard Wahle: Die Tragikomoedie der Weisheit — Die Ergebnisse und die Geschichte des Philosophierens (1915); 2. Auflage, 1925, S. 85.)

Irrtuemer 1


Humes Philosophie als Ergebnis von ‚philosophieren‘ in eigener Sache

Die geringe Resonanz auf die aus meiner Sicht „sensationellen“ Texte Humes beschaeftigt mich. Wie kommt es, dass Humes Beschreibungen des Menschlichen, seine Aussagen ueber Kommunikation (’sympathizing‘), ja insgesamt Humes grundsaetzlich eigenstaendige neue Sichten, die anderen eigenstaendiges Philosophieren ermoeglichen koennen, so wenig Aufmerksamkeit finden? In den nachfolgenden Artikeln moechte ich veroeffentlichen, was ich dazu herausgefunden habe.

Der Personenkreis,  an den ich als moegliche Interessenten fuer Humes Philosophie denke, sind Menschen die ‚philosophieren‘ fasziniert. Mit ‚philosophieren‘ meine ich im Allgemeinen, ueber alles, was ich merke nachzudenken. Dieses ’nachdenken‘ bezieht sich auf Material, das das Leben zur Verfuegung stellt, besteht also aus Ereignissen und entsprechenden Erlebnissen, die mehr oder weniger angenehm waren. Aus diesen ziehen Menschen Schlussfolgerungen für ‚handeln‘ in der Gegenwart – d.h. sie lernen -, was üblicherweise mit dem Wort „Erfahrung“ bezeichnet wird. Menschen, die ‚philosophieren‘ fasziniert, interessieren sich in diesem Zusammenhang auch fuer das, was amtlich bestellte oder bekannte Philosophen zu sagen haben. Denn diese bestimmen mit ihren Auffassungen den oeffentlichen Diskurs.

Meine Beduerfnisse, denen ich mit meinem ‚philosophieren‘ zu entsprechen suche, beziehen sich auf mein ‚handeln‘ fuer mich und fuer andere. Es geht mir darum, eigene Orientierungen bzw. Kriterien fuer menschliches ‚handeln‘ zu entdecken, mit denen ich mein ‚handeln‘ verbessern kann.  Eine Reihe weiterer Merkmale meines  physistisch geprägten ‚philosophieren‘ findet sich unter Rolf Reinhold’s PHYSISTIK. Ich verdanke es dem Philosophen Rolf Reinhold, dass ich „das Rad nicht neu erfinden musste“, sondern die von ihm fuer sein Leben gefundenen Muster menschlichen Handelns als erste Orientierungen und Auffinden meiner Kriterien verwenden konnte. Da ich davor bereits bei toten und lebenden Metaphysikern (u.a.  Platon und Augstin von Thagaste) in die Schule gegangen war, ist es fuer mich auszerdem wichtig zu klaeren, weshalb die Metaphysik fuer mich keine Orientierungen und Kriterien zu Verfuegung stellte. Dies steht alles im Kontext meines Interesses am Humeschem ‚philosophieren‘.

Humeforscher gehen von einem ganz anderen Ansatz des ‚philosophieren‘ aus als ich und kommen so zu anderen Humeinterpretationen. So schreibt z.B. Lambert Wiesing in seinem Kommentar zu Humes UNTERSUCHUNG UEBER DEN MENSCHLICHEN VERSTAND, es sei unter Philosophen unstrittig, „dass philosophische Forschung keine empirischen Beweise erbringt, sondern durch kategoriale und begriffliche Argumentation vollzogen wird“ (David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand. Übers. Raoul Richter. Kommentar v. Lambert Wiesing. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2007, S. 254). Weil Hume nach Wiesings Meinung ‚Empirie‘ als Beweise fuer seine philosophischen Forschungsergebnisse benutze – Humes Differenzierungen in diesem Punkt könnte er überlesen haben (vgl. u.a. David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand V,2) -, erklaert er das Humesche ‚philosophieren‘ fuer gescheitert. Wiesing meint, das Scheitern mache den „klassischen Wert“ Humes fuer die Philosophie aus. Hume habe aber eigentlich blosz „psychologische Betrachtungen“ angestellt (ebd.). Auch dies scheint unter deutschen Humeforschern unstrittig zu sein.

Lambert Wiesings Auffassung über Philosophieren duerfte unter universitaer ausgebildeten Philosophen und Humeforschern unstrittig sein, aber nicht unter philosophierenden Menschen, die ‚philosophieren‘ als koerperumfassende Aktivität ihres eigenen Lebens fasziniert. Diese ‚physistisch gepraegten‘ Philosophen folgen stets ihren eigenen Wegen zu ‚philosophieren‘, weil sie davon ausgehen, dass nur eigene Wege sie weiterbringen. Sie moechten ’sagen, was sie sehen und denken, was sie denken‘. Nichts was andere meinen, bleibt ungeprueft, auch Eigenes nicht.

Der Behauptung Wiesings, dass Empirie (Erfahrung) keine Beweise bringt, stimme ich mit Hume gern zu: Beweise sind nur innerhalb von in sich geschlossenen Systemen moeglich, wie sie z.B. die Mathematik produziert (vgl. Untersuchung ueber den menschlichen Verstand V,1.) Ereignisse, Situationen menschlichen Lebens aber, insbesondere ‚Menschen‘, sowie ‚handeln‘ und ‚denken‘ bezeichnen keine in sich geschlossenen Systeme. Von ihnen nimmt Hume an, dass sie philosophische Forschungsergebnisse liefern, die ausschließlich ‚probabilistischen‘ Charakter haben (vgl. z.B. Untersuchung ueber den menschlichen Verstand IV Abhandlung ueber die menschliche Natur 1.4.5. 30|35.) Die Begrenztheit probalistischer Aussagen akzeptiert Hume, weil sie  in der Natur der Sache liegen. Diese Sachen sind ‚impressions‘ und ’sensations‘, stets ‚peripherieoffen‘ und so veraenderbar. Menschen werden kontinuierlich durch koerperliche Eindrücke und Empfindungen pertubiert. Diese werden an der koerperlichen Peripherie oder durch entsprechende innere Organlagen ausgeloest und bilden die Basis unserer Entscheidungen. 

Solange dieses natuerliche Lernprinzip ausgeschlossen wird, ist fuer mich jede ‚kategoriale und begriffliche‘ Festlegung unbrauchbar, weil sie so tut, als sei sie vom Himmel gefallen. Wiesing laesst diesem Verstaendnis folgend die menschliche Physis auszen vor. Derartiges ‚wegsehen‘ ist m. E. nicht unter ‚psychologischen Betrachtungen‘ zu verbuchen. Dies entstammt einer nach wie vor lebendigen philosophischen Tradition Deutschlands, in der mehr oder weniger offensichtlich uralte Kategorien und Begriffe verwendet werden, die Autoritaetsabhaengigkeit signalisieren.

Kant hielt die menschliche Natur fuer philosophisch unerheblich, weil er die uneingeschraenkte Steuerbarkeit der menschlichen Physis durch Verstand und Vernunft als a priori gegeben ansah (vgl. Johann Kraus: Recension von Ulrich’s Eleutheriologie). Hume aber machte von der menschlichen Physis als Ausgangpunkt fuer seine Abhandlung ueber die menschliche Natur positiven Gebrauch. Anstatt wie Kant von Theorien des ‚denken‘  ging er von physiologischen Forschungserebnissen seiner Zeit und vor allem von seinem eigenen Beobachten menschlichen Verhaltens aus,  sein eigenes einschließlich. Die Tradition der „Kategorien und Begriffe“ duerfte also hinsichtlich Hume keine zutreffenden Kriterien der Interpretation zur Verfuegung stellen koennen, weil Hume ihr nicht folgte. Bereits als junger Mann hat Hume jede Unterordnung seines ‚philosophieren‘ unter alte Theorien abgelehnt. „Ich habe herausgefunden, dass die Philosophie ueber menschliches Handeln seit der Antike mit derselben Unzulaenglichkeit arbeitet wie die Naturwissenschaften. Beide gehen m. E. ausschlieszlich von Hypothesen und Spekulationen aus, anstatt sich auf Erfahrbares und Erforschbares zu beziehen…Man muss nicht viel mehr tun, um zu verwertbaren Ergebnissen zu kommen, als alle diese alten Theorien zugunsten der eigenen Sichten oder der anderer wegzuwerfen. Es duerfte letztlich von den Sichten anderer abhaengen, ob meine Schlussfolgerungen fuer zutreffend gehalten werden oder nicht. Innerhalb der letzten drei Jahre habe ich meine Schlussfolgerungen in einem Ausmasz vervielfacht, so dass ich damit viele Stapel Papier mit Notizen fuellen konnte, die ausschlieszlich das enthalten, wie ich die Dinge sehe.“ (David Hume: Brief an einen Arzt. Edinburgh 1734. Abgedruckt in John Hill Burton: Life and Correspondance of David Hume. Edinburgh 1846. Band I. S. 30 – 39.)

Menschenwissenschaft III


 

Hume wollte mit seiner MENSCHENWISSENSCHAFT sowohl die wissenschaftliche, gesellschaftliche und persoenliche Welt auf eine neue Basis stellen.

Seine ABHANDLUNG UEBER DIE MENSCHLICHE NATUR dokumentiert sowohl eine Vielzahl von Sachverhalten als auch seine Art und Weise darueber nachzudenken, außerdem entsprechende Ergebnisse, die er ueberwiegend als ‚principles‘ bezeichnet. Diese ‚principles‘ sind eine Art von Behauptungen von Mustern menschlichen Verhaltens , denen er Begruendungen (reasons) zuordnet, die sich im Kontext seines Hinsehens auf menschliches Verhalten (sein eigenes mit eingeschlossen) fuer ihn ergeben haben.

 Dieses Philosophieren scheint ohne langatmige, weitlaeufige Eroerterungen nicht auszukommen. Seine „experimental reasonings“, die die Abhandlung ueber die menschliche Natur und andere seiner Schriften fuellen, sind nicht „… leicht und muehelos zu begreifen“(Abh.Einl.3). Dies duerfte u. a. daran liegen, dass beim Ueberlegen vieles beruecksichtigt wird, um das ‚principle‘ zutreffend und brauchbar herzustellen. ‚principles‘, die so entstehen, sind nicht fuer die Ewigkeit geschaffen, sondern fuer den sich kontinuierlich veraendernden Alltag von Menschen. Charakterisierungen wie „Wissen“ und „Erkenntnisse“ kommen fuer sie nicht in Frage, denn diese beanspruchen Gewissheit. ‚principles‘ duerften eher ‚begruendete Vermutungen‘ sein, die wie Hume sich aeußert, vom ‚freizuegigen Eingestaendnis meiner Unwissenheit‘ getragen werden (Abh.Einl.10) Sie sind jederzeit revidierbar und veraenderbar. Dass Revidieren und Veraendern im Diskurs mit der „Gelehrtenrepublik“ seiner Zeit gelaenge, wuenschte sich Hume fuer die Veroeffentlichung seines TREATISE.

Es entsprach vermutlich seiner Auffassung von seiner Menschenwissenschaft genauso wie von Wissenschaft ueberhaupt, dass sie ein niemals endendes Forschen kennzeichnet. In unseren Wissenschaften ist immer noch von Zielen, Erkenntnissen und Fortschritt die Rede, sodass der Eindruck entsteht, Wissenschaftler glaubten, dass sie irgendwann einmal alle Raetsel der Welt geloest haben duerften. Ganz anders Hume: „Und obwohl ich anstrebe alle erreichbaren ‚principles‘ so allgemeingueltig wie moeglich zu fassen, indem ich der jeweiligen zu erforschenden Fragestellung bis in jedes Detail nachgegangen bin und dabei alle Ergebnisse auf elementarste und eine minimale Anzahl von Ursachen zurueckgefuehrt habe, bin ich sicher, dass das Erforschen der menschlichen Natur nie enden wird. Denn jede Hypothese, von der angenommen wird, dass sie die allerletzten urspruenglichen Eigenschaften der menschlichen Natur zum Vorschein bringen soll, ist ohne Hinsehen auf Sachverhalte als vorurteilsbehaftet und der Fantasie entsprungen abzulehnen.“ (Abh.Einl.8) Es scheint so, dass menschliche Sichtweisen und Sachverhalte sich staendig aendern. Davon auszugehen, dass wissenschaftliche und alltaegliche Kenntnisse je an ein Ende kommen, hieße diese Realitaet zu ignorieren.     

 

Menschenwissenschaft II

Es ist … unmoeglich, vorherzusagen, welche Entwicklungen und Verbesserungen in den Wissenschaften moeglich waeren, waere durchweg bekannt, in welchem Maße und wie sich Menschen beobachtbare und erforschbare Ereignisse begreifbar machen, d.h. gemaeß welcher Gesetzmaeßigkeiten ‘human understanding’ zu stande kommt.(Abhandlung, Einleitung 4).

Es duerfte Menschen geben, die sagen: Aber das sind doch selbstverstaendliche Sachverhalte, die jeder kennt und sich abwenden. Es duerfte allgemein zu wenig bekannt sein, wie es in den Wissenschaften zugeht. Nachrichten darueber, dass Wissenschaftler betruegen, indem sie die von ihnen gewuenschten Ergebnisse selber produzieren, ohne die Realitaet zu befragen, halten sie fuer Ausnahmen, was zutreffend sein duerfte. Im Allgemeinen behalten sie ihr Vertrauen in wissenschaftliche Aussagen, ohne sich durch Wissenschaftsskandale zum Nachdenken anregen zu lassen. Moeglicherweise entspricht dies einem weit verbreiteten Sicherheitsbeduerfnis, Selbstverstaendliches behalten zu wollen. Selbstverstaendliches wurde hart erworben. Menschen werden von klein auf dazu angehalten, die Dinge so zu sehen, wie andere sie sehen, wie die Mehrheit sie sieht, anstatt dazu angehalten zu werden, ihren eigenen Augen zu trauen und die Schluesse, die sie daraus ziehen, zur Grundlage eigenen Handelns zu machen. Hume gehoerte zu diesen Menschen und Philosophen, die nur das für zutreffend akzeptieren, was sie selber beobachtet und reflektiert haben. Er verkoerperte ‚Aufklaerung‘ (Enlightment) in einer Art und Weise, wie sie Kant später nicht erreichte. Kants Aufruf, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, galt nur innerhalb von tradierten Sichtweisen und Werten für Denken und Handeln.  Humes Ansatz transzendiert, indem er dem Hinsehen den Vorzug vor Theorien gibt.

Menschen erlaeutern zu wollen, was es fuer die Wissenschaften heute fuer Folgen haben kann, wenn individuelle Moeglichkeiten, Faehigkeiten und Sichtweisen, außerdem allgemein menschliche Prinzipien des Wahrnehmens und Auswertens ihre Ergebnisse bestimmen, ist schwierig. In der Regel wird gesagt, wenn dieses Thema beruehrt wird: „Ja, wir wissen alle, dass unser Wissen subjektiv ist!“ oder so aehnlich. Dann gehen Menschen zur Tagesordnung ueber und behandeln wissenschaftliche Ergebnisse und das Wissen der Wissensgesellschaft so, als haetten sie Objektives vor sich. Damit folgen Laien und Wissenschaftler dem kulturellen Selbstverstaendnis, u. a. darueber was ‚richtig‘ und ‚falsch‘ ist, das sie von Kindesbeinen an uebernommen haben. Dieser Sachverhalt verbindet Wissenschaftler und Laien und duerfte vertrauensbildend wirken. Darin besteht im Wesentlichen die Schwierigkeit des Erlaeuterns.

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der ‚immensen Erlaeuterungsbeduerftigkeit‘ der MENSCHENWISSENSCHAFT. Dies wird am Umfang der ABHANDLUNG UEBER DIE MENSCHLICHE NATUR deutlich und zeigt sich in allen seinen weitschweifigen Erlaeuterungen. Damit nahm Hume 1739 in Kauf, dass andere schon deshalb keinen Blick in seine Abhandlung werfen wuerden. Aus seiner Sicht waren langwierige Erlaeuterungen in der Sache unumgehbar. Erst als seine ABHANDLUNG keine Resonanz fand, entschloss er sich den ersten Band seiner ABHANDLUNG verkuerzt unter dem Titel EINE UNTERSUCHUNG UEBER DEN MENSCHLICHEN VERSTAND herauszugeben. Diese Veroeffentlichung duerfte die unter deutschsprachigen Philosophen am besten bekannte Schrift Humes im 18. Jahrhundert gewesen sein. Heute liegen deutsche Uebersetzungen der meisten seiner Schriften vor. Doch die Hume-Forschung steckt in den Kinderschuhen.

„Seine Philosophie …, so Nobelpreistraeger Bertrand Russell, … fuehre in eine Sackgasse: ‚In der von ihm eingeschlagenen Richtung kommt man keinen Schritt weiter.'“ (Berliner Zeitung)
Das Unternehmen ‚revisiting Hume‘, das in diesem Blog vorgestellt wird, moechte dieses vernichtende Urteil Russells abschuetteln helfen, das die philosophische Zunft mehrheitlich teilt.

Humes MENSCHENWISSENSCHAFTEN gehen vom Beobachten aus. Seine Ueberlegungen (‚reasonings‘), seine Prinzipien und Regeln der menschlichen Natur sind durch Hinsehen auf alltaegliches Verhalten von Menschen gewonnen. Er betrachtete seine Ergebnisse nicht als der ‚Weisheit letzter Schluss‘. Was ihn deutlich und positiv von vielen Philosophen unterscheidet. Er handelt nicht mit „Letztbegruendungen“. Denn damit vermeide ich klugerweise jenen Irrtum, den so viele begehen, wenn sie ihre Spekulationen und Behauptungen ueber die Welt als deren mit Sicherheit einzig richtigen Prinzipien hinstellen.“ (Abhandlung, Einleitung 9)

Letzte Sicherheit duerfte es fuer den Menschen nicht geben. Wohl aber Prinzipien – so wie Hume sie fand – , die Anleitung geben koennen. Im Uebrigen scheint seine Philosophie ein Angebot zum Gespraech mit anderen sein, die aehnlich wie er von ‚in der Sache begruendeten Behauptungen‘ ausgehen, die sich fuer sie durch ‚hinsehen‘ auf die Sachen ergeben haben.

„Da ich diese Forschungen umsichtig gesammelt und eingehend verglichen haben, gehe ich davon aus, dass ich darauf eine Wissenschaft gruenden kann, die sich zwar nicht durch Gewissheit auszeichnet, wohl aber nuetzlicher als alles andere sein duerfte, was Menschen sich aneignen koennen.“ (Abhandlung, Einleitung 10)   

 

Menschenwissenschaft I



Humes Anregungen einer WISSENSCHAFT UEBER DEN MENSCHEN werden seit Jahrhunderten uebersehen. Nur wenige sagen es laut, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse ‚menschengemacht sind‘. Was laege da naeher, als zu untersuchen, wie Menschen zu ihren Forschungsergebnissen kommen? Hume machte es vor, wie so eine Menschenwissenschaft aussehen könnte.


Transposition

Abhandlung ueber die menschliche Natur

Einleitung

4
Ich habe festgestellt, dass alle Wissenschaften mehr oder weniger eine Beziehung zur menschlichen Natur haben. Wie weit sie sich auch davon entfernen moegen, auf dem einen oder anderen Weg kehren sie zu ihr zurueck. Sogar Mathematik, Naturwissenschaft und natuerliche Religion haengen gewissermaßen von der Wissenschaft ueber den Menschen ab. Wissenschaftliche Ergebnisse ergeben sich naemlich aus dem, was Menschen perzipieren (bzw. sensorieren). Außerdem werden die Ergebnisse nur in der Art und Weise interpretiert, wie Menschen sie im Rahmen ihrer jeweiligen persoenlichen Moeglichkeiten und Faehigkeiten zu begreifen in der Lage sind. Es ist daher unmoeglich, vorherzusagen, welche Entwicklungen und Verbesserungen in den Wissenschaften moeglich waeren, waere durchweg bekannt, bis zu welchem Grad und wie sich Menschen beobachtbare und erforschbare Ereignisse begreifbar machen, d.h. gemaeß welcher Gesetzmaeßigkeiten ‚human understanding‘ zu stande kommt.

5
Wenn im Hinblick auf die moegliche Bedeutung des oben skizzierten ‚human understanding’ die Wissenschaften Mathematik, Naturwissenschaften und ’natuerliche Religion‘ entsprechend abhaengig von Kenntnissen ueber den Menschen sind, was duerfte dann fuer die anderen Wissenschaften erwartet werden koennen, deren Verbindung mit der menschlichen Natur enger und eigentlicher sind? Um diese Frage beantworten zu koennen, waere auch fuer sie darzulegen, auf welchen natuerlichen Grundlagen und in welcher Art und Weise Menschen ihre Ueberlegungen anstellen. Außerdem waere zu klaeren, wie unsere ‚ideas’ beschaffen sind. Im Hinblick auf moralische Fragen waere zu erlaeutern, wie Menschen sich ein allgemein akzeptiertes Verhalten aneignen. Dazu gehoert auch die Behandlung von Fragen im Hinblick auf Beduerfnis-, Interessen- und Gefuehlslagen, ebenso wie natuerliche Grundlagen oeffentlicher zwischenmenschlicher Beziehungen, die davon ausgehen, dass Menschen gesellschaftsweit miteinander verbunden und voneinander abhaengig sind.

6
Ich gehe daher davon aus: Um zu verwertbaren Ergebnissen kommen zu koennen, duerfte die Untersuchung des ‚human understanding‘ das einzige erfolgreiche Mittel fuer meine philosophischen Forschungen sein. … Indem ich so die menschliche Natur selber untersuche, wende ich mich unmittelbar dem zentralen Bezugspunkt jeder dieser Wissenschaften zu … Wenn es mir gelingt, in der menschlichen Natur grundlegende Prinzipien des ‚human understanding‘ zu entdecken, duerfte es ohne weiteres moeglich sein, diese Kenntnisse auf andere Wissenschaften erfolgreich anzuwenden. Von da aus duerften diese Kenntnisse auf alle jene Wissenschaften ausgedehnt werden koennen, die sich eingehend mit dem menschlichen Leben beschaeftigen. Im Anschluss daran duerften ohne Probleme die Kenntnisse vollstaendiger entdeckt werden koennen, die sich durch Gegenstaende bloßer Faszination ergeben. Ich behaupte, es gibt einerseits keine Frage von Belang, deren Antwort nicht in der Wissenschaft ueber den MENSCHEN enthalten sein duerfte. Andererseits duerfte keine Frage zutreffend beantwortet werden koennen, bevor diese Wissenschaft nicht bekannt ist. Wenn ich also vorhabe, die Grundlagen der menschlichen Natur zu offen zu legen, habe ich vor ein komplettes wissenschaftliches Gebaeude zu entwerfen, das auf einer fast voellig neuen Basis steht. Die einzige, wie ich annehme, von der aus einigermaßen gesichert geforscht werden kann.

7
Wenn die Wissenschaft ueber den Menschen die einzige ergiebige Basis fuer alle anderen Wissenschaften sein soll, dann sind Erforschen* und Beobachten die einzig moegliche Basis fuer sie selber.

*experience wird mit einer lexikalisch moeglichen Variante wiedergegeben, die eine philosophiehistorische Kritik mit einschließt. Die philosophiegeschichtlichen Kategorien „Empirismus“, „Empirie“ bzw. „Empiriker“ , die haeufig aus erkenntnistheoretischer Sicht auf Hume angewandt wird, scheinen mir ohne naeheres Hinsehen auf das, was Hume im Kontext zu ‚experience‘ ausfuehrt, geeignet das Missverstaendnis zu erzeugen, Hume habe sich mit erkenntnistheoretischen Fragen beschaeftigt.

Orginal

Treatise of Human Nature

Introduction

4

’Tis evident, that all the sciences have a relation, greater or less, to human nature; and that however wide any of them may seem to run from it, they still return back by one passage or another. Even Mathematics, Natural Philosophy, and Natural Religion, are in some measure dependent on the science of Man; since they lie under the cognizance of men, and are judged of by their powers and faculties. ’Tis impossible to tell what changes and improvements we might make in these sciences were we thoroughly acquainted with the extent and force of human understanding, and cou’d explain the nature of the ideas we employ, and of the operations we perform in our reasonings.

5
If therefore the sciences of Mathematics, Natural Philosophy, and Natural Religion, have such a dependence on the knowledge of man, what may be expected in the other sciences, whose connexion with human nature is more close and intimate? The sole end of logic is to explain the principles and operations of our reasoning faculty, and the nature of our ideas: morals and criticism regard our tastes and sentiments: and politics consider men as united in society, and dependent on each other.


6 Here then is the only expedient, from which we can hope for success in our philosophical researches, to leave the tedious lingring method, which we have hitherto followed, and instead of taking now and then a castle or village on the frontier, to march up directly to the capital or center of these sciences, to human nature itself; which being once masters of, we may every where else hope for an easy victory. From this station we may extend our conquests over all those sciences, which more intimately concern human life, and may afterwards proceed at leisure to discover more fully those, which are the objects of pure curiosity. There is no question of importance, whose decision is not compriz’d in the science of man; and there is none, which can be decided with any certainty, before we become acquainted with that science. In pretending therefore to explain the principles of human nature, we in effect propose a compleat system of the sciences, built on a foundation almost entirely new, and the only one upon which they can stand with any security.  7 And as the science of man is the only solid foundation for the other sciences, so the only solid foundation we can give to this science itself must be laid on experience* and observation.  *An act of knowledge, one or more, by which single facts or general truths are ascertained; experimental knowledge; (Webster’s Revised Unabridged Dictionary)


			

revisiting: sympathy 2


Wie ist sympathisieren moeglich?

Seine Antwort gibt Hume – wie dies bei ihm durchgaengig der Fall ist – als Resuemee seines eigenen ‚hinsehen‘ (observing). Ein Humesches Resuemee hat – so ein Resuemee meiner Transpositionsarbeiten – stets den Charakter von versuchsweisen Schlussfolgerungen, die Hume bereit ist jederzeit zu revidieren. Im Untertitel seiner ‚Abhandlung über die menschliche Natur‘ wird dieser Charakter von Hume als „experimental Method of reasoning“ bezeichnet. Dieser Terminus wird von anderen mit ’naturwissenschaftlicher Methode‘ oder ‚Methode der Erfahrung‘ transponiert. Damit kommt m.E. das vorsichtige Finden und das Humesche Bewerten eigener Resuemees als Annahmen überhaupt nicht in den Blick.

Sympathie im Sprachgebrauch zu Hume’s Zeiten

Zu Humes Zeiten war mit ‚Sympathie‘ im oeffentlichen Sprachgebrauch noch ein Teil der vielfaeltigen griechisch-lateinischen Mitbedeutungen lebendig, die sich auf Physiologisches bezogen. z.B. stand Sympathie fuer ‚mitempfinden, gleiche empfindung, teilhaben an einer beschaffenheit, natuerliche uebereinstimmung von dingen, natuerlicher zusammenhang, wechselbeziehung‘. Gelaeufig war auch noch der eingeschraenktere physiologisch-medizinische Sprachgebrauch, der mit ‚Sympathie‘ den Zusammenhang des erkrankten Organs mit Symptomen an anderen noch intakten Organen beschrieb. Zunehmend aber entstanden im Laufe des 17./18. Jahrhunderts ausgepraegte, metaphorisierte Bedeutungszweige, die mit Sympathie vor allem seelische Beziehungen zwischen Menschen beschrieben. (vgl. ‚Sympathie‘ im DWB) Heute wird unter Sympathie fast ausschlieszlich “Zuneigung, bzw. eine positive gefuehlsmaeszige Einstellung zu jemand anderem” (Duden: Bedeutungswoerterbuch) verstanden.

Sympathie als (neuro)physiologisches Aktivitätsprinzip

Hume bezeichnet mit ’sympathy‘ aus meiner Sicht ein (neuro-)physiologisches Prinzip, das der jeweilige Mensch autonom jeweils situativ unterschiedlich auspraegt – und zwar abhängig vom individuellen Erleben und der als Erfahrung bezeichneten Auswertung des Erlebten. Beides entspricht nach Auskunft der Neurowissenschaften neurophysiologischen Aktivitaetsmustern.

Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur, 2.1.11.3

Wenn mein ICH durch Sympathisieren mit Gefuehlen anderer angesteckt wird, sensoriert es zuerst deren Wirkungen. Als Wirkungen bezeichne ich alle sensorierbaren Anzeichen in Koerperhaltung, Mimik, Gestik und in sprachlichen Aeuszerungen von Meinungen und Beobachtungen. Mein ICH sensoriert diese Anzeichen, und so wird ihm eine ‚idea‘ (eine erste eigene schwache Vorstellung) von den Gefuehlen des anderen ermoeglicht. Diese ‚idea‘ wird fuer mein ICH im Handumdrehen staerker und heftiger sensorierbar und verwandelt sich in eine ‚impression‘ (eine sehr starke, lebhafte Vorstellung). Diese erreicht einen entsprechenden Grad von Kraft und Lebendigkeit und ruft in mir genauso eine Emotion hervor, wie jede andere eigene Empfindung.

Orginal

Treatise of Human Nature, 2.1.11.3

When any affection is infus’d by sympathy, it is at first known only by its effects, and by those external signs in the countenance and conversation, which convey an idea of it. This idea is presently converted into an impression, and acquires such a degree of force and vivacity, as to become the very passion itself, and produce an equal emotion, as any original affection.

Skepsis 2

Auszug aus Enquiry of Human Unterstanding, Section XII

Skepsis, die es nicht gibt

(2) Ein Skeptiker wird als einer der Feinde der Religion betrachtet, der unvermeidlich die Empoerung aller religioesen und streng metaphysisch denkenden Philosophen hervorrufen dürfte.  Sie halten ihn fuer einen Menschen, der weder eine eigene Meinung, noch eigene Grundsaetze hat, noch je ueber Handeln und Theorien zu bilden in der Lage sei. M.E. duerfte es auszuschliessen sein, dass man einem Menschen mit einer derart desolaten Verfassung begegnen duerfte oder ihm je begegnet ist. Dies ergibt die sehr nahe liegende Frage: Wie ist eigentlich ein Skeptiker? Ausserdem: Wie weit koennen, philosophische Prinzipien entwickelt werden, wenn sie Moegliches und Ungewisses in Betracht ziehen?

Skepsis, die unverzichtbar scheint

(4) Folgende naeher erlaeuterte Art von Skepsis scheint allerdings eine notwendige Bedingung fuer systematisches Forschen zu sein, denn sie sorgt fuer die Unvoreingenommenheit unserer Urteilsfaehigkeit und entwoehnt uns von allen jenen Vorurteilen, die wir durch Erziehung oder voreiliges Meinen aufgenommen haben. Diese Art gemaessigter Skepsis scheint mir ausserdem sehr plausibel.
Wir beginnen [beim systematischen Forschen] im Sinne dieser Skepsis mit klaren und sich aus der Sache ergebenden Grundannahmen, gehen behutsam und jeden Schritt sichernd weiter, ueberdenken immer wieder unsere Schlussfolgerungen und pruefen die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen sehr genau. Zwar werden wir auf diese Weise nur langsam und in geringem Masse vorankommen, aber ich halte dies fuer die einzigen Methoden, durch die wir hoffen koennen, Zutreffendes herauszufinden und einigermassen verlaessliche und begruendete Aussagen machen zu koennen.

Skepsis als Folge wissenschaftlicher Theorien

(5) Im Gefolge von Wissenschaft und Forschung stellt sich im Zusammenhang mit deren spezifischen Theorien, mit denen diese ueblicherweise beschaeftigt sind, eine weitere Art von Skepsis ein: Menschen muessen dabei naemlich entdecken, dass sie einerseits voellig verwirrt werden bzw. dass sie nicht in der Lage sind, [sich von den Ergebnissen der Wissenschaften] eine verlaessliche Vorstellungen zu machen.


Original

Sceptic as an enemy must not exist

(2) The Sceptic is another enemy of religion, who naturally provokes the indignation of all divines and graver philosophers; though it is certain, that no man ever met with any such absurd creature, or conversed with a man, who had no opinion or principle concerning any subject, either of action or speculation. This begets a very natural question; What is meant by a sceptic? And how far it is possible to push these philosophical principles of doubt and uncertainty?

this Sceptic is necessary

(4) It must, however, be confessed, that this species of scepticism, when more moderate, may be understood in a very reasonable sense, and is a necessary preparative to the study of philosophy, by preserving a proper impartiality in our judgments, and weaning our mind from all those prejudices, which we may have imbibed from education or rash opinion. To begin with clear and self-evident principles, to advance by timorous and sure steps, to review frequently our conclusions, and examine accurately all their consequences; though by these means we shall make both a slow and a short progress in our systems; are the only methods, by which we can ever hope to reach truth, and attain a proper stability and certainty in our determinations.

t his Sceptic is a product of sciences

(5) There is another species of scepticism, consequent to science and enquiry, when men are supposed to have discovered, either the absolute fallaciousness of their mental faculties, or their unfitness to reach any fixed determination in all those curious subjects of speculation, about which they are commonly employed.

Hume: „Ich möchte Erfahrbares und Erforschbares studieren!“

Dass es sich lohnen duerfte, Hume zu revisitieren, koennte auch folgendes Resuemee des 22jaehrigen Philosophen nahe legen.

„Ich habe herausgefunden, dass die Philosophie ueber menschliches Handeln seit der Antike mit derselben Unzulaenglichkeit arbeitet wie die Naturwissenschaften. Beide gehen m.E. ausschließlich von Hypothesen, d.h. ueberwiegend von Erfindungen aus, anstatt sich auf Erfahrbares und Erforschbares zu beziehen. Jeder Philosoph bemueht seine Fantasie und errichtet Chimaeren inner- und zwischenmenschlicher Tugenden (Idealitaeten) und erfuellender Lebenskonzepte, ohne die menschliche Natur mit einzubeziehen, von der – aus meiner Sicht – jede philosophische Schlussfolgerung ueber gesellschaftsweit praktizierte Mitmenschlichkeit ausgehen muesste.

Deshalb moechte ich vor allem Erfahrbares und Erforschbares studieren und dieses als Quelle von Kenntnissen sowohl fuer aesthetische wie fuer humane Wissenschaften verwenden. Ich halte es inzwischen fuer eine Tatsache, dass die meisten verstorbenen Philosophen Opfer ihrer eigenen ueberragenden geistigen Faehigkeiten geworden sind.

Außerdem bin ich sicher, dass man nicht viel mehr tun muss, um zu verwertbaren Ergebnissen zu kommen, als alle diese alten Vorurteile zugunsten der eigenen Meinung oder der anderer wegzuwerfen. Davon duerfte es letztlich abhaengen, ob meine Schlussfolgerungen fuer zutreffend gehalten werden oder nicht. Innerhalb der letzten drei Jahre habe ich meine Schlussfolgerungen in einem Ausmaß vervielfacht, dass ich damit viele Stapel Papier mit Notizen fuellen konnte, die nichts weiter als meine eigenen Erfindungen enthalten.“

Diese Notizen bildeten die schriftliche Grundlage fuer Humes „Treatise Of Human Nature“.

(David Hume: Brief an einen Arzt. Edinburgh 1734. Abgedruckt in John Hill Burton: Life and Correspondance of David Hume. Edinburgh 1846. Band I. S. 30 – 39. Die Veroeffentlichung ist als PDF im Widget „Ueber Hume“ verlinkt und komplett downladbar bei Google-Buch.)

Philosophische Aufklärer

‚Alles, was Menschen je über Menschen gedacht und geschrieben hatten, führe zu ähnlichen Aussagen über den Menschen,‘ meinte der Italiener  Pico della Mirandola (1463-94). Sein in diesem Sinne projektierter „Weltfriedenskongress“  fand nicht statt. Die von ihm dazu vorbereiteten Thesen wurden von der römischen Kurie als häretisch abgelehnt und er starb im Gefolge kirchlicher Feindseligkeiten vor dem Jahr 1497, in dem sein „Weltfriedenskongress“ in Rom stattfinden sollte. Seine Schriften wurden posthum europaweit verbreitet.

Neben den primär literarisch-wissenschaftlich begründeten Idealen des Pico della Mirandola und anderer italienischer Humanisten wie Ficino und Sayonarola waren schon früher im Norden Europas sensoristisch orientierte und so philosophisch-wissenschaftlich grundlegend andere Sichten entwickelt und wirksam geworden.

Roger Bacon (1214-92/4), ein englischer Franziskaner, meinte – für seine Zeit ketzerisch aufklärend – ‚ohne sinnliche Erfahrung taugt die bestbegründetste Theorie nichts‘ (vgl. das von Google-Buch und dem Verlag Kessinger Pub. Co. zur Verfügung gestellte OPUS MAJUS  C-583.)

Sein jüngerer schottischer Zeitgenosse Johannes Duns Scotus (1266-1308) äußerte laut die Überzeugung, dass Philosophen davon ausgehen sollten, dass alles, was Wissenschaften für Aussagen über den Menschen notwendigerweise brauchen, sich aus ganz natürlichen Ursachen ergäbe (Vgl. die von Google-Buch und dem Felix-Meiner-Verlag zur Verfügung gestellte deutsch-lateinische Ausgabe ‚Über die Erkennbarkeit Gottes‘, Prolog Quaestio 1,4) . Philosophen könnten auf „geistig-geistliche Wahrheitserkenntnisse“ verzichten, wie sie die augustinische und aquinatische Wissenschaftstradition für möglich und unerlässlich hielt.

Wilhelm von Ockham (1285-1347) – politisch aktiv und philosophisch allen Autoritäten widersprechend – hielt Theorien für Produkte von ‚impressions‘ und Ideen für Konzepte des Wahrnehmens bzw. des Sensorierens. Ockham bestritt jede kirchliche Autorität für weltliche Angelegenheiten und insbesondere für die Wissenschaften. (vgl. u.a. die bei Google-Buch zur Verfügung gestellten Titel: Henry Hart Milman: The History of Latin Christianity. Bd.VI, London 1855, S. 473. Jan P. Beckham: Wilhelm von Ockham. München, Becksche Verlagsbuchhandlung, 1995, S. 57.) W

Mit Bacon, Scotus und Ockham begann in England eine im Ansatz ametaphysische und sensoristische philosophische Tradition, zu der sich später auch der schottische Aufklärer David Hume gesellte. (Vgl. z.B. den von Google-Buch und dem Bibliobazaar-Verlag 2009  zur Verfügung gestellten Titel James Seth (Edinburgh): English Philosophers and Schools of Philosophy., S. 11 u.a.)

Die mit Bezeichnungen wie  ‚Geist‘ , ‚Vernunft‘ , ‚Intelligibilität‘ operierende scholastisch-kirchliche, philosophische Wissenschaftsautorität wurde im Zuge dieses ansatzweise ‚physistisch philosophieren‘  grundsätzlich abgelehnt.

Kant – einer der letzten Aufklärer – hat sich mit dem aus meiner Sicht unproduktiven Spagat seiner Transzendentalphilosophie zwischen diesen beiden unterschiedlichen Ursprüngen des Philosophierens für den Primat der ‚ Vernunft‘ und damit möglicherweise für die alte, scholastische Metaphysik entschieden. Ein Umstand, der eventuell mit dazu beigetragen hat, dass gegenwärtige Philosophen – kaum merklich, aber wirksam  – in (mittel)alte(rliche)n  ontologischen Denkfiguren stecken. Diese verwehren es ihnen – neben anderem – mehrheitlich,  sensoristischen philosophischen Ansätzen nachgehen und diese im Diskurs philosophisch-wissenschaftlich nutzbar machen zu können.  Philosophierende Naturwissenschaftler sprangen bisher in die Lücken.