Irrtuemer 3


Hume’s unentdeckte Sachlichkeit

Die sehr weitreichenden Anregungen Humes fuer ‚handeln‘ Einzelner und fuer gemeinsames ‚handeln‘ von Gemeinschaften wurden in der Humeforschung bisher noch nicht bemerkt. In der Mitte des letzten Jahrhunderts – mit Gruendung der Hume Society – begann man Hume in einem internationalen Rahmen zu interpretieren. Humeforscher befassten sich seitdem mit Einzelfragen -„Stueckwerkinterpretationen“ (Streminger) – und Interpretationsproblemen, die m. E. die Sache Humes nur in Annaeherungsgraden erreichten. Mit der Entscheidung Hume ausgehend vom anatomischem Wissenstand seiner und dem neurobiologischen unserer Zeit zu interpretieren, glauben Rolf Reinhold und ich eine Basis gefunden zu haben, die Interpretationen moeglich machen koennte, die in der Sache treffender und fuer den Forschungsdiskurs anregender sein koennten. Bis jetzt machte man keinen Gebrauch von ähnlichen Hume-Rezeptionen wie sie z.B. bei Lossius und Ulrich, Mach und Wahle zu finden sind.  Humes Aussagen z.B. ueber ‚Kausalitaet‘ wurden als neue Kausalitaetstheorie aufgefasst (vgl. Paul Richter (1923): David Humes Kausalitaetstheorie. Bibliobazar 2009; Robert Gray A Refutation of Hume’s Theory of Causality. Hume Studies Volume 2, Number 2 (November, 1976), 76-85. Astrid von der Luehe (1993): David Humes aesthetische Kritik. Hamburg 1996, S. 26   ; ) . Humes Beschreibung des Sachverhaltes (‚beschreiben‘ dessen, was ‚ich sehe und berühre‘ unterscheidet sich m. E. von ‚theoretisieren‘!), dass Kausalitaet eine gewohnheitsmaeszige Annahme im Hinblick auf eine Reihe aehnlicher Ereignisse sei, geriet dabei aus dem Blick – ebenso die moeglichen Folgen dieser Annahme fuer wissenschaftliches und alltaegliches ‚handeln‘. Man beschaeftigte sich – statt mit einer interpretatorischen Einordnung seiner Auffassung von Kausalitaet in seine umfassenden Gedankengaenge – damit, den von Hume beschriebenen Sachverhalt von ‚Ursache‘ und ‚Folge‘  im metaphysischen Sinne als ‚Ursache-Wirkungs-Zusammenhang‘ zu diskutieren, zu kritisieren und zu widerlegen. Aus physistisch gepraegter Sicht war man wieder in der traditionellen Metaphysik und der Erkenntnistheorie gelandet. Davon hatte Hume sich schon vor Erscheinen der ABHANDLUNG (vgl. Brief an einen Arzt) abgesetzt. Seine ‚metaphysical reasonings‘ – die er fuer seine ‚principles‘ brauchte – haben den Charakter von ‚Ueberlegungen‘ und sie beziehen sich ausdruecklich auf seine Beobachtungen, nicht auf Theorien und vermutlich auch nicht auf einen ‚Raum des Bewusstseins‘: Jahrelang hat – was in diesem Zusammenhang auch interessant sein koennte – eine Reihe von international taetigen Forschern sich u. a. darueber den Kopf zerbrochen, ob Hume moeglicherweise seine Aussagen im TREATISE spaeter widerrufen habe. Der konkrete Anlass dafuer war eine einzige Textstelle (‚Announcement‘ zur „Untersuchung ueber den menschlichen Verstand“), die entgegen dem Kontext missinterpretiert wurde. William Edward Morris (Stanford Enzyclopedia of Philosophy) u.a. waren hier inzwischen aufklaerend taetig. Es koennte aber sein, dass einmal erfolgte metaphysisch geprägte Interpretationen Humescher Texte fuer die Interpreten nicht rational korrigierbar sind.

Dass Hume im besten Sinne als Skeptiker, naemlich vom ‚hinsehen‘ ausgehend philosophierte, wurde und wird z. B. unter der Behauptung begraben, er sei ein „titanenhafter Zerstoerer“ gewesen. Sofern darin die Betroffenheit von Metaphysikern bei der Lektuere Humes zum Ausdruck kommt, ist diese Behauptung fuer mich nachvollziehbar. Im wissenschaftlichen Bereich hat diese weitreichende Folgen, deren Preis hoch ist. Unzutreffende Sichten koennen unbeirrt weiter vermittelt werden. In der Folge verhindern solche Bewertungen interpretatorische und wissenschaftliche Weiterentwicklung. Auch Weltbilder koennen gesellschaftsweit so nicht veraendert werden, da bestimmte Aspekte gar nicht bemerkt werden duerfen und daher im professionellen und gesellschaftlichen Diskurs nicht auftauchen. Die interpretatorische Sicht, Hume habe statt Philosophie Psychologie betrieben, duerfte ein Beispiel fuer die Art von folgenreichem Irrtümern sein koennen, die von der Mehrheit der Fachleute seit Jahrhunderten einmuetig vertreten wird.

Beruehmte Philosophen haben Missverstaendnisse verbreitet. Humes „experimentelle Empirie“ leistete laut Bertrand Russell (1872-1970) und Karl Popper (1902-1994) einem „zerstoererischen Irrationalismus Vorschub“ (Wiesing ebd. S. 412.).  Dies   koennten die unbemerkt gebliebenen Folgen einer irrtuemlichen Auffassung der Bezeichnungen „Skeptizismus“ und „Skepsis“ sein. Der entscheidende Irrtum koennte darin bestehen, eine bestimmte selbstverstaendliche Auffassung ueber die Philosophie des Pyrrhon (365–360 v. Chr. bis ungefaehr 275–270 v. Chr.)  bzw. ueber die pyrrhonische Skepsis, Hume zu unterstellen, bzw. davon auszugehen, dass er Pyrrhoneer gewesen sei. Die phyrronische Skepsis stand und steht seit Jahrhunderten in dem Ruf, in die Sackgasse der voelligen Ungewissheit und Urteilsunfaehigkeit zu fuehren. (vgl.Jens Kuhlenkampf. David Hume: Eine Untersuchung ueber den menschlichen Verstand. Berlin 1997,S. 248ff. )

Hume selber hielt es fuer ausgeschlossen und duerfte es so fuer sich ebenfalls ausgeschlossen haben, dass es – so wie man Skeptiker charakterisierte – je einen solchen Menschen gegeben hat oder gibt, „… der weder eine eigene Meinung, noch eigene Grundsaetze hat, noch je ueber Handeln Theorien zu bilden in der Lage sei.“ (Untersuchung ueber den menschlichen Verstand XII,2.) Die Skepsis des ‚hinsehen‘ auf die Sache hielt Hume dagegen fuer unverzichtbar: „Eine an der Sache sich bemessende Skepsis scheint mir sehr plausibel, denn sie sorgt fuer die Unvoreingenommenheit meiner Urteilsfaehigkeit und entzieht mir alle jene Vorurteile, die ich durch Erziehung oder voreiliges Meinen uebernommen habe. Ich beginne mit klaren und sich aus der Sache ergebenden Grundannahmen, gehe behutsam und jeden Schritt sichernd weiter, ueberdenke immer wieder meine Schlussfolgerungen und pruefe die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen sehr genau. … ich halte dies fuer die einzige Methode, durch die ich hoffen kann, Zutreffendes herauszufinden und einigermaszen dauerhafte und gut begruendete Aussagen machen zu koennen.“ (ebd. XII,4)

Resuemee: sympathy = sympathizing




’sympathizing‘ als Grundprinzip interindividueller Kontakte

Menschen teilen im Kontakt das miteinander, was sie sensorieren, schrieb Hume einleitend. Dieses Verhalten bezeichnete er als ’sympathizing‘. Etwas von ’sympathize‘ duerfte noch im gegenwaertigen Wortgebrauch von ‚Sympathisanten‘ bzw. ‚mit anderen sympathisieren‘ anklingen, wenn auch mit der Mitbedeutung ‚parteiisch‘. Hume scheint damit aber – unabhaengig von Zustimmung oder Ablehnung – ein Grundprinzip menschlichen Kontaktverhaltens zu bezeichnen. ’sympathize‘ zeige sich darin, dass Menschen Einstellungen und Empfindungen anderer erst einmal offen und positiv aufnehmen, auch wenn sie von den eigenen abweichen. Besonders deutlich ließe sich dies an Kindern beobachten, meinte Hume. Menschen neigten außerdem dazu, ihre Einstellungen und Empfindungen mit anderen Menschen abzustimmen. Dies koennte die Ursache dafuer sein, dass Menschen einer Nation ein uniformes Verhalten auspraegen. In einem Brief an einen Freund lassen sich einige Gedanken des 23jaehrigen Hume ueber den Unterschied zwischen Franzosen und Englaendern nachlesen, die dies illustrieren koennen (siehe ‚Politeness‘). Menschen erleben ferner im Kontakt mit anderen eine groeßere Empfindungsvielfalt als wenn sie alleine sind und werden im Kontakt mit anderen von deren Empfindungen angesteckt.

’sympathizing‘ heißt: Anzeichen von Empfindungen anderer rufen eigene Empfindungen hervor

Wie ist derartiges moeglich? fragte sich Hume, der sich davon nuetzliche Antworten fuer seine anthropologischen Forschungen versprach. Er fand eine Antwort, die viele von uns ueberraschen duerfte. Er meinte, dass jeder Einzelne anlaesslich der Wirkungen, die Empfindungen in Gesten, Mimik und Sprache hervorrufen – also die Anzeichen dieser Empfindungen -, im Kontakt mit anderen sensoriert. Dieses ’sensorieren‘ rufe blasse Vorstellungen beim Einzelnen hervor, anlaesslich derer Menschen Vermutungen darueber entwickeln, wie der andere im Moment empfindet. Die Staerke dieser Vorstellungen nehme derart zu, so dass wir schließlich den Eindruck haben, dasselbe zu empfinden wie unser Gegenueber. ‚Zeichen anderer bewirken, dass wir uns an Eigenes erinnern.‘ erlaeuterte Augustin Thagaste in seinem Dialog „ueber den Lehrer“.

sympathy‘ unterscheidet sich von Empathie

Heutzutage – und es spricht einiges dafuer, dass dies auch schon zu Humes Zeiten so gewesen sein koennte – ist allgemein die Vorstellung vorherrschend, wir koennten uns in andere einfuehlen, i.S. von ‚hineinversetzen‘. Es gibt dafuer die Bezeichnung ‚Empathie‘. Empathie wird oft sogar als Faehigkeit aufgefasst, die die einen haben und die anderen nicht, bzw. graduell unterschiedlich sei. Hume scheint dagegen festzustellen: Es sind nichts weiter als unsere eigenen Empfindungen, die wir ’sympathizing‘ sensorieren. Er schloss dies daraus, dass die Vorstellung von uns selber nur das umfasse, was zu uns selber gehoert. Das was zu einem anderen Menschen gehoere, liege jenseits dieser Vorstellung. Anlaesslich dieser Sachverhalte duerfe man annehmen, dass es fuer Menschen unmoeglich sei,  Empfindungen anderer zu empfinden. ‚Der Mensch begegnet ueberall nur sich selber.‘, aeußerte der Physiker Werner Heisenberg. ‚Fuer mich sind die Dinge so, wie ich sie empfinde und fuer dich so, wie du sie empfindest.‘ koennte Protagoras in abgewandelter Form des zweiten Teiles seines beruehmten ‚homo-mensura-Satzes‘ gesagt haben.

Rahmenbedingungen von ’sympathy‘

Dieses ’sympathizing‘ werde dadurch beguenstigt, dass Menschen physiologisch aehnlich funktionieren duerften. Ferner sei der unmittelbare Kontakt, seien enge Beziehungen, gemeinsame Gewohnheiten und gemeinsame Erziehung Bedingungen, die ’sympathizing‘ in einem hohen Maße ermoeglichten.

Ich folgere: Menschliche Empfindungen, deren Anzeichen wir außerhalb dieser guenstigen Bedingungen sensorieren, duerften uns daher mehr oder weniger fremd bleiben, da es uns nur in geringem Maße gelingt, zu Gesten, Mimik und Sprache anderer Nationen und Kulturen adaequate eigene Empfindungen zu erzeugen. Sich ueber diese Unterschiede Klarheit zu verschaffen und jenseits davon sich auf Gemeinsames zu einigen, duerfte dann vermutlich nuetzlich sein.

revisiting: sympathy 3



Hume verknüpft seine Beschreibung, dass jede Art verbaler bzw. nonverbaler Aeuszerungen anderer das eigene ICH veranlassen, dazu passende und ihm entsprechende Vorstellungen, Empfindungen und Emotionen hervorzubringen., im folgenden mit einem weiteren Sachverhalt, den er glaubt, festgestellt zu haben:

Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur, 2.1.11.4

Es ist für mich offensichtlich, dass ich mich kontinuierlich und unmittelbar mehr oder weniger stark selber sensoriere. Außerdem gehe ich davon aus, dass mir stets eine bewusste und lebhafte Vorstellung von mir  selber zur Verfügung stehe. Dieses ICH kann sich jedoch nicht vorstellen, dass irgendetwas, das zu ihm gehört, außerhalb des von sich selber Sensorierten oder seiner Vorstellung von sich sei.
Ein anderes ICH, das mit meinem ICH in Kontakt steht, dürfte eine ähnlich lebhafte Vorstellung von sich haben wie mein ICH, und vermutlich entsprechend der Art und Weise, wie dies oben erläutert wurde, Empfindungen von mir mitfühlen können. Der interindividuelle Kontakt dürfte einen beträchtlichen Einfluss darauf haben, wenn auch nicht so stark wie dies in Ursache-Folge-Beziehungen der Fall sein dürfte. „Ähnlichkeit mit“ ebenso wie „Nähe zu Eigenem“ dürften weitere Einflussgrößen sein, die aus Sicht des ICH nicht bestritten werden können. Im vorliegenden Fall scheint sich dieser Zusammenhang gleichsam aufzudrängen: Mein ICH verhält sich nämlich so, als assoziiere es von interindividuell sensorierbaren Zeichen im Sinne von Ursache und Folge auf etwas, das bei ihm so ähnlich oder für ihn selber nahe liegend zu sein scheint.
[Vgl. dazu Enquiry III,2: Es werden solche Vorstellungen miteinander verknüpft, die sich ähneln, die dicht beieinander liegen und die sich eine aus der anderen ergeben.]

Original

Treatise of Human Nature, 2.1.11.4

Tis evident, that the idea, or rather impression of ourselves is always intimately present with us, and that our consciousness gives us so lively a conception of our own person, that ’tis not possible to imagine, that any thing can in this particular go beyond it. Whatever object, therefore, is related to ourselves must be conceived with a like vivacity of conception, according to the foregoing principles; and tho’ this relation shou’d not be so strong as that of causation, it must still have a considerable influence. Resemblance and contiguity are relations not to be neglected; especially when by an inference from cause and effect, and by the observation of external signs, we are inform’d of the real existence of the object, which is resembling or contiguous.
[View also: Enquiry Concerning Human Understanding III,2:To me, there appear to be only three principles of connexion among ideas, namely, Resemblance, Contiguity in time or place, and Cause or Effect.]

Kausalitaet I

Hume ueber Kausalitaet: ENQUIRY, IV, 8 ff.

Die Erinnerung an Erlebnisse bestätigt, dass Erfahrung nötig ist.

Wenn man sagt, dass die Ursachen und Wirkungen nicht durch Nachdenken, sondern nur durch Erfahrung festgestellt werden koennen, dann stimmen die Leute stets gerne zu fuer alle die Faelle, an die sie sich erinnern, wo ihnen dieser Zusammenhang vorher nicht bekannt war. … Man gebe einem Menschen, der keine Ahnung von Physik hat, zwei geglaettete Marmorplatten, die aufeinander liegen, fest miteinander zusammenhaengen und fordere ihn auf, sie voneinander zu loesen. Erst wenn er erfahren hat, dass die beiden Platten sich durch seitliches Verschieben mit weniger Kraft voneinander trennen lassen, als wenn er sie durch senkrechtes Abheben voneinander trennen moechte, wird er zwischen Bewegungsrichtung und Kraftaufwand einen Zusammenhang vermuten koennen. Bei solchen Ereignissen, die man nicht aus alltaeglichen Erlebnissen mit der Natur kennt, stimmen Menschen gern zu, dass man das nur durch Erfahrung wissen kann. Auch wird niemand behaupten, dass er die Explosionskraft eines entzuendeten Pulvers oder die Anziehungskraft eines Magneten a priori, also ohne Erfahrung nur durch Nachdenken entdecken koenne.

Ebenso wenig duerfte jemand bestreiten, dass man nur durch Erfahrung die Wirkungen einer komplizierten Maschine und das Funktionieren ihrer Teile kennen kann. Oder will moeglicherweise jemand behaupten, er wisse ohne Erfahrung, ob Milch und Brot – die fuer den Menschen taugen – ein passendes Nahrungsmittel fuer einen Baeren oder einen Tiger sein koennen?

Unsere Erfahrung veranlasst uns davon auszugehen, dass es beobachtbare Zusammenhaenge gaebe.

Diese Gewissheit aber, dass wir ohne Erfahrung keine Zusammenhaenge kennen koennen, verlaesst uns Menschen, wenn wir ueber Ereignisse reden, die wir schon von klein auf kennen, oder die natuerlichen Ereignissen aehneln oder die vermeintlich von einfachen Eigenschaften der Dinge abhaengen und nicht von irgendwelchen verborgenen Mechanismen. Da meint man nun ploetzlich, dass man den Zusammenhang durch blosses Nachdenken und ohne jede Erfahrung entdecken kann. Man tut dann so, als ob man – ploetzlich in die Welt gestellt – schon vorher wisse, dass eine Billardkugel der anderen durch Stossen seine Bewegung weitergeben koenne. Da meinen Menschen, dass man keine Erfahrung brauche, um diesen Zusammenhang schon vorhersagen zu koennen. Daraus kann man schliessen, wie stark die Macht der Gewohnheit ist. Da wo sie am staerksten ist, verbirgt sie nicht nur unsere ganz natuerliche Unkenntnis, sondern sie verbirgt auch sich selbst. …

Naturgesetze und Bewegungen sind Produkte unserer Erfahrung.

Moeglicherweise koennen die folgenden Beschreibungen ausreichen, zu erlaeutern, dass alle Naturgesetze und alle Bewegungen der Koerper ausnahmslos nur durch Erfahrung kennen gelernt werden. Wird uns zum Beispiel ein unbekannter Gegenstand gebracht, und wir sollen angeben, welche Wirkung von ihm ausgehen wird, ohne fruehere Erfahrungen zu Rate zu ziehen, so ist doch die Frage, wie soll ein Mensch dabei vorgehen, um zu einer zutreffenden Aussage zu kommen. Nun er muss sich eine moegliche Wirkung ausdenken oder sie erfinden. Klar ist dabei, dass eine derartige Aussage ganz willkuerlich sein duerfte. Menschen koennen in diesem Fall keine Wirkung am unbekannten Gegenstand entdecken, auch wenn sie ihn ganz genau untersuchen und pruefen.

Ohne Erfahrung – apriori – koennen Menschen sich keine Vorstellungen von zukünftigen Ereignissen machen.

Das duerfte daran liegen, dass Ursache und Wirkung voellig verschieden voneinander sind. Die Bewegung der zweiten Billardkugel ist ein ganz anderes Ereignis als die Bewegung der ersten. Die Bewegung der ersten Kugel enthaelt keinerlei Hinweis auf die Bewegung der zweiten. Ein Stein oder ein Metallklumpen faellt sofort, wenn ich ihn loslasse. Betrachte ich ihn aber bevor ich diese Erfahrung gemacht habe, also a priori, hat da schon jemals jemand etwas an ihm entdeckt, dass Menschen veranlassen koennte, sich eine Vorstellung davon zu machen, dass er nach unten fallen duerfte, anstatt nach oben oder zur Seite?

Der Zusammenhang  zwischen zwei Ereignissen wird apriorisch beliebig  gesetzt.

So willkuerlich, wie jede Idee oder Erfindung einer bestimmten Wirkung eines singulaeren oder erstmaligen Naturereignisses ohne Erfahrung ist, so willkuerlich scheint mir auch das behauptete Band oder die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung, welche es angeblich moeglich machen soll, vorauszusagen, dass nur eine ganz bestimmte Wirkung von einer Ursache ausgehen kann. Wenn ich z.B. sehe, wie eine Billardkugel auf eine andere zurollt, kann ich mir zwar vorstellen, dass die andere sich gleich bewegen wird und dass diese Bewegung eine Folge dessen ist, dass die erste sie beruehrt bzw. sie anstoesst. Aber kann ich mir nicht genauso gut 100 andere Wirkungen vorstellen? Moeglicherweise, dass die Kugeln still liegen bleiben? Oder das die erste nach dem Stoss zurueckrollt oder in irgendeine andere Richtung wegspringt? Alle diese Annahmen sind moeglich und denkbar. Wie soll ich mich im Vorwege entscheiden? Welche von den vielen Moeglichkeiten duerfte eintreten? Alle Gruende, die ich mir denke, geben mir a priori keinen Anhaltspunkt fuer meine Entscheidung.

Kurz gesagt: die Wirkung ist von ihrer Ursache verschieden, deshalb kann ich die Wirkung nicht in der Ursache finden. D.h. jede Idee und jede Erfindung einer moeglichen Wirkung duerfte voellig willkuerlich bleiben. Und selbst dann, wenn ich die Wirkung einer bestimmten Ursache kenne, bleibt die Verbindung mit der Ursache genauso willkuerlich, weil es denkbar und vorstellbar ist, dass es viele andere Wirkungen gibt. Meint man also, dass man ein Ereignis ohne Hinsehen und Erfahrung im Voraus bestimmen oder Ursache und Wirkung schlussfolgern koenne, so entbehrt dies jeder Grundlage.

Menschen können schlussfolgern,  Ereignismuster bilden, aber keine Letztbegründungen finden.

Diese Sachverhalte verwehren es einem nachdenklichen Philosophen, dem die Grenzen seines Denkens bekannt sind, zu behaupten, er koenne die letzte Ursache irgendeines Naturereignisses bezeichnen oder die exakte Wirkung demonstrieren, die infolge der Ursache geschieht, die jedes Ereignis im Universum herstellt. Die hoechste Leistung, die wir denkend dabei erbringen koennen, ist durch Schlussfolgerungen aus Analogie, Erfahrung und Hinsehen die Menge der Ereignismuster, die wir an den Naturphaenomenen feststellen, auf einige einfache zu reduzieren und die vielen einzelnen Wirkungen auf einige wenige allgemeine Ursachen zu beziehen. Die Ursachen dieser allgemeinen Ursachen entdecken zu wollen, scheint mir ein vergebliches Unterfangen, ausserdem duerften wir wohl kaum Erklaerungen finden, die uns wirklich zufrieden stellen duerften. Diese letzten Anfaenge und Prinzipien duerften unserem Forscherdrang und unseren Forschungen nicht zugaenglich sein.