Vorstellungen über Vorstellungen …

Über unsere Natur

 

Eines der größten Geheimnisse der Philosophie: Wie unterscheiden wir Tatsachen von Fiktionen? Wir empfinden den Unterschied und wir können ihn auch erinnern und darüber nachdenken. (Hume Treat. 1.3.7.7)

Dass unser  Denken uns selber verwirrend erscheint (Treat. 1.2.3.2), könnte daran liegen, dass wir nichts als Eindrücke und Vorstellungen haben. (Treat. 1.2.6.7) Sie werden durch unsere kreative Fähigkeit hergestellt … (Treat. 1.3.5.2)

Eindrücke und Vorstellungen sind inaktiv …(Treat. 1.3.4.2) Sie erscheinen ununterbrochen in unserem Gehirn . Wir können weder ihre Gestalt noch ihre Teile präziseren. (Treat. 1.2.5.29) Doch wir reden mit anderen über unsere Eindrücke und Vorstellungen, und verwechseln sie dabei leicht – das dürfte auch beim Nachdenken passieren.  (Treat. 1.2.5.19) 

Im Vordergrund steht, dass wir etwas mitteilen möchten … (Treat. 1.2.5.21) Fiktionales können wir nur als Fiktion mitteilen. Unser Denken wird in hohem Maße davon bestimmt, wie wir das,  was wir denken, erleben bzw. empfinden. (Treat. 1.3.8.2) Phantasien sind weniger lebhaft und nachhaltig. 

Es ist sehr schwierig, Denkprozesse ganz zutreffend und genau zu beschreiben. Unsere Alltagssprache ermöglicht kaum auf den Punkt gebrachte Unterschiede zwischen ihnen. (Treat. 1.3.8.15)

Die Physiologen kommen zu dem Schluss:  Auf keinen Fall kann das Gehirn mehr bieten, als das,  was ihm die Sinne vermitteln …(Treat. 1.3.2.2) Meine Fiktionen gehören ins Märchenland. 

Irrtuemer 1


Humes Philosophie als Ergebnis von ‚philosophieren‘ in eigener Sache

Die geringe Resonanz auf die aus meiner Sicht „sensationellen“ Texte Humes beschaeftigt mich. Wie kommt es, dass Humes Beschreibungen des Menschlichen, seine Aussagen ueber Kommunikation (’sympathizing‘), ja insgesamt Humes grundsaetzlich eigenstaendige neue Sichten, die anderen eigenstaendiges Philosophieren ermoeglichen koennen, so wenig Aufmerksamkeit finden? In den nachfolgenden Artikeln moechte ich veroeffentlichen, was ich dazu herausgefunden habe.

Der Personenkreis,  an den ich als moegliche Interessenten fuer Humes Philosophie denke, sind Menschen die ‚philosophieren‘ fasziniert. Mit ‚philosophieren‘ meine ich im Allgemeinen, ueber alles, was ich merke nachzudenken. Dieses ’nachdenken‘ bezieht sich auf Material, das das Leben zur Verfuegung stellt, besteht also aus Ereignissen und entsprechenden Erlebnissen, die mehr oder weniger angenehm waren. Aus diesen ziehen Menschen Schlussfolgerungen für ‚handeln‘ in der Gegenwart – d.h. sie lernen -, was üblicherweise mit dem Wort „Erfahrung“ bezeichnet wird. Menschen, die ‚philosophieren‘ fasziniert, interessieren sich in diesem Zusammenhang auch fuer das, was amtlich bestellte oder bekannte Philosophen zu sagen haben. Denn diese bestimmen mit ihren Auffassungen den oeffentlichen Diskurs.

Meine Beduerfnisse, denen ich mit meinem ‚philosophieren‘ zu entsprechen suche, beziehen sich auf mein ‚handeln‘ fuer mich und fuer andere. Es geht mir darum, eigene Orientierungen bzw. Kriterien fuer menschliches ‚handeln‘ zu entdecken, mit denen ich mein ‚handeln‘ verbessern kann.  Eine Reihe weiterer Merkmale meines  physistisch geprägten ‚philosophieren‘ findet sich unter Rolf Reinhold’s PHYSISTIK. Ich verdanke es dem Philosophen Rolf Reinhold, dass ich „das Rad nicht neu erfinden musste“, sondern die von ihm fuer sein Leben gefundenen Muster menschlichen Handelns als erste Orientierungen und Auffinden meiner Kriterien verwenden konnte. Da ich davor bereits bei toten und lebenden Metaphysikern (u.a.  Platon und Augstin von Thagaste) in die Schule gegangen war, ist es fuer mich auszerdem wichtig zu klaeren, weshalb die Metaphysik fuer mich keine Orientierungen und Kriterien zu Verfuegung stellte. Dies steht alles im Kontext meines Interesses am Humeschem ‚philosophieren‘.

Humeforscher gehen von einem ganz anderen Ansatz des ‚philosophieren‘ aus als ich und kommen so zu anderen Humeinterpretationen. So schreibt z.B. Lambert Wiesing in seinem Kommentar zu Humes UNTERSUCHUNG UEBER DEN MENSCHLICHEN VERSTAND, es sei unter Philosophen unstrittig, „dass philosophische Forschung keine empirischen Beweise erbringt, sondern durch kategoriale und begriffliche Argumentation vollzogen wird“ (David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand. Übers. Raoul Richter. Kommentar v. Lambert Wiesing. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2007, S. 254). Weil Hume nach Wiesings Meinung ‚Empirie‘ als Beweise fuer seine philosophischen Forschungsergebnisse benutze – Humes Differenzierungen in diesem Punkt könnte er überlesen haben (vgl. u.a. David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand V,2) -, erklaert er das Humesche ‚philosophieren‘ fuer gescheitert. Wiesing meint, das Scheitern mache den „klassischen Wert“ Humes fuer die Philosophie aus. Hume habe aber eigentlich blosz „psychologische Betrachtungen“ angestellt (ebd.). Auch dies scheint unter deutschen Humeforschern unstrittig zu sein.

Lambert Wiesings Auffassung über Philosophieren duerfte unter universitaer ausgebildeten Philosophen und Humeforschern unstrittig sein, aber nicht unter philosophierenden Menschen, die ‚philosophieren‘ als koerperumfassende Aktivität ihres eigenen Lebens fasziniert. Diese ‚physistisch gepraegten‘ Philosophen folgen stets ihren eigenen Wegen zu ‚philosophieren‘, weil sie davon ausgehen, dass nur eigene Wege sie weiterbringen. Sie moechten ’sagen, was sie sehen und denken, was sie denken‘. Nichts was andere meinen, bleibt ungeprueft, auch Eigenes nicht.

Der Behauptung Wiesings, dass Empirie (Erfahrung) keine Beweise bringt, stimme ich mit Hume gern zu: Beweise sind nur innerhalb von in sich geschlossenen Systemen moeglich, wie sie z.B. die Mathematik produziert (vgl. Untersuchung ueber den menschlichen Verstand V,1.) Ereignisse, Situationen menschlichen Lebens aber, insbesondere ‚Menschen‘, sowie ‚handeln‘ und ‚denken‘ bezeichnen keine in sich geschlossenen Systeme. Von ihnen nimmt Hume an, dass sie philosophische Forschungsergebnisse liefern, die ausschließlich ‚probabilistischen‘ Charakter haben (vgl. z.B. Untersuchung ueber den menschlichen Verstand IV Abhandlung ueber die menschliche Natur 1.4.5. 30|35.) Die Begrenztheit probalistischer Aussagen akzeptiert Hume, weil sie  in der Natur der Sache liegen. Diese Sachen sind ‚impressions‘ und ’sensations‘, stets ‚peripherieoffen‘ und so veraenderbar. Menschen werden kontinuierlich durch koerperliche Eindrücke und Empfindungen pertubiert. Diese werden an der koerperlichen Peripherie oder durch entsprechende innere Organlagen ausgeloest und bilden die Basis unserer Entscheidungen. 

Solange dieses natuerliche Lernprinzip ausgeschlossen wird, ist fuer mich jede ‚kategoriale und begriffliche‘ Festlegung unbrauchbar, weil sie so tut, als sei sie vom Himmel gefallen. Wiesing laesst diesem Verstaendnis folgend die menschliche Physis auszen vor. Derartiges ‚wegsehen‘ ist m. E. nicht unter ‚psychologischen Betrachtungen‘ zu verbuchen. Dies entstammt einer nach wie vor lebendigen philosophischen Tradition Deutschlands, in der mehr oder weniger offensichtlich uralte Kategorien und Begriffe verwendet werden, die Autoritaetsabhaengigkeit signalisieren.

Kant hielt die menschliche Natur fuer philosophisch unerheblich, weil er die uneingeschraenkte Steuerbarkeit der menschlichen Physis durch Verstand und Vernunft als a priori gegeben ansah (vgl. Johann Kraus: Recension von Ulrich’s Eleutheriologie). Hume aber machte von der menschlichen Physis als Ausgangpunkt fuer seine Abhandlung ueber die menschliche Natur positiven Gebrauch. Anstatt wie Kant von Theorien des ‚denken‘  ging er von physiologischen Forschungserebnissen seiner Zeit und vor allem von seinem eigenen Beobachten menschlichen Verhaltens aus,  sein eigenes einschließlich. Die Tradition der „Kategorien und Begriffe“ duerfte also hinsichtlich Hume keine zutreffenden Kriterien der Interpretation zur Verfuegung stellen koennen, weil Hume ihr nicht folgte. Bereits als junger Mann hat Hume jede Unterordnung seines ‚philosophieren‘ unter alte Theorien abgelehnt. „Ich habe herausgefunden, dass die Philosophie ueber menschliches Handeln seit der Antike mit derselben Unzulaenglichkeit arbeitet wie die Naturwissenschaften. Beide gehen m. E. ausschlieszlich von Hypothesen und Spekulationen aus, anstatt sich auf Erfahrbares und Erforschbares zu beziehen…Man muss nicht viel mehr tun, um zu verwertbaren Ergebnissen zu kommen, als alle diese alten Theorien zugunsten der eigenen Sichten oder der anderer wegzuwerfen. Es duerfte letztlich von den Sichten anderer abhaengen, ob meine Schlussfolgerungen fuer zutreffend gehalten werden oder nicht. Innerhalb der letzten drei Jahre habe ich meine Schlussfolgerungen in einem Ausmasz vervielfacht, so dass ich damit viele Stapel Papier mit Notizen fuellen konnte, die ausschlieszlich das enthalten, wie ich die Dinge sehe.“ (David Hume: Brief an einen Arzt. Edinburgh 1734. Abgedruckt in John Hill Burton: Life and Correspondance of David Hume. Edinburgh 1846. Band I. S. 30 – 39.)

Menschenwissenschaft V


Wenn Wissenschaften, dem Menschen nuetzen moechten, dann muessen sie ohne Letztbegruendungen, ohne Wahrheit und Objektivitaet auskommen. (Abh.Einl.9)

„Auch wenn ich mich im Rahmen meiner Wissenschaft der menschlichen Natur sehr intensiv damit beschaeftigt habe, die allerletzten Prinzipien des Intellektes, der Affekte, des Handelns und der Fantasie zu klaeren, bin ich nicht in der Lage, zu sagen worin diese bestehen.“

Letztbegruendungen (‚ultimate principles‘) wie sie Menschen und Philosophen und andere Wissenschaftler in stiller Abhaengigkeit von christlich-theologischen Setzungen seit Jahrhunderten glauben finden zu koennen, sind laut Hume nicht zu finden. Er ging zwar davon aus ‚principles‘ entdeckt zu haben, wie Menschen sich die Welt begreifbar machen (‚human understanding‘), uebertrug diese auf alle Menschen, doch er hielt diese Art von Verallgemeinerung fuer revidierbar und optimierbar. Diese ‚principles‘ sind so etwas wie Muster menschlichen Verhaltens, die ausschließlich Resuemees seiner Beobachtungen sind. Er ging davon aus, dass andere zu anderen Resuemees kommen. Diese Grenzen menschlichen Nachdenkens duerfte er als ein ‚principle‘ der menschlichen Natur angesehen haben.

„Daher kann ich auch nicht wirklich darueber Auskunft geben, wie das menschliche Beduerfnis die Welt zu verstehen (‚human understanding‘), natuerlicherweise befriedigt werden kann.“

Im Unterschied zu seinen philosophierenden Zeitgenossen und den Philosophen nach ihm, stellte er an sich selber fest, dass ihn seine Fragen dann zur Ruhe kommen ließen, wenn er sie nicht beantworten konnte und darauf verzichtete, sich Antworten zu fantasieren. Diese Entscheidung, dort nicht mehr zu forschen, wo er keine Antworten finden konnte, scheint eine seltene Qualitaet philosophischen Denkens. Geben doch die meisten Menschen sogar da Antworten, wo sie eigentlich nichts wahrnehmen (’sensorieren‘). Der Kabarettist Hans-Dieter Huesch hatte das sich daraus ergebende wortreiche Verhalten als Eigenschaft des Niederrheiners aufs Korn genommen. Hume beschrieb seine Grenze so:

“ Wenn ich sehe, dass ich beim Nachdenken dort angelangt bin, wo sich fuer mich nichts mehr ergibt, kann ich mich beruhigt zurücklehnen. Andererseits eroeffnet mir diese Tatsache, dass mich meine große Unkenntnis ueber die allerletzten Prinzipien zur Ruhe kommen laesst, die Moeglichkeit, dass ich eventuell Gruende fuer die allgemeinsten und einfachsten Prinzipien des ‚human understanding‘ finden koennte, wenn ich dort forsche, wo ich sie beobachten kann. …“

‚experience‘, d.h. Hinsehen auf das, was man beobachten kann, duerfte stets der Maßstab fuer Hume’sches Resuemieren gewesen sein.

„I do not think a philosopher, who would apply himself so earnestly to the explaining the ultimate principles of the soul, would show himself a great master in that very science of human nature, which he pretends to explain, or very knowing in what is naturally satisfactory to the mind of man. … When we see, that we have arrived at the utmost extent of human reason, we sit down contented; tho’ we be perfectly satisfied in the main of our ignorance, and perceive that we can give no reason for our most general and most refined principles, beside our experience of their reality; …“ (Treat.Intro.9)

Menschenwissenschaft II

Es ist … unmoeglich, vorherzusagen, welche Entwicklungen und Verbesserungen in den Wissenschaften moeglich waeren, waere durchweg bekannt, in welchem Maße und wie sich Menschen beobachtbare und erforschbare Ereignisse begreifbar machen, d.h. gemaeß welcher Gesetzmaeßigkeiten ‘human understanding’ zu stande kommt.(Abhandlung, Einleitung 4).

Es duerfte Menschen geben, die sagen: Aber das sind doch selbstverstaendliche Sachverhalte, die jeder kennt und sich abwenden. Es duerfte allgemein zu wenig bekannt sein, wie es in den Wissenschaften zugeht. Nachrichten darueber, dass Wissenschaftler betruegen, indem sie die von ihnen gewuenschten Ergebnisse selber produzieren, ohne die Realitaet zu befragen, halten sie fuer Ausnahmen, was zutreffend sein duerfte. Im Allgemeinen behalten sie ihr Vertrauen in wissenschaftliche Aussagen, ohne sich durch Wissenschaftsskandale zum Nachdenken anregen zu lassen. Moeglicherweise entspricht dies einem weit verbreiteten Sicherheitsbeduerfnis, Selbstverstaendliches behalten zu wollen. Selbstverstaendliches wurde hart erworben. Menschen werden von klein auf dazu angehalten, die Dinge so zu sehen, wie andere sie sehen, wie die Mehrheit sie sieht, anstatt dazu angehalten zu werden, ihren eigenen Augen zu trauen und die Schluesse, die sie daraus ziehen, zur Grundlage eigenen Handelns zu machen. Hume gehoerte zu diesen Menschen und Philosophen, die nur das für zutreffend akzeptieren, was sie selber beobachtet und reflektiert haben. Er verkoerperte ‚Aufklaerung‘ (Enlightment) in einer Art und Weise, wie sie Kant später nicht erreichte. Kants Aufruf, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, galt nur innerhalb von tradierten Sichtweisen und Werten für Denken und Handeln.  Humes Ansatz transzendiert, indem er dem Hinsehen den Vorzug vor Theorien gibt.

Menschen erlaeutern zu wollen, was es fuer die Wissenschaften heute fuer Folgen haben kann, wenn individuelle Moeglichkeiten, Faehigkeiten und Sichtweisen, außerdem allgemein menschliche Prinzipien des Wahrnehmens und Auswertens ihre Ergebnisse bestimmen, ist schwierig. In der Regel wird gesagt, wenn dieses Thema beruehrt wird: „Ja, wir wissen alle, dass unser Wissen subjektiv ist!“ oder so aehnlich. Dann gehen Menschen zur Tagesordnung ueber und behandeln wissenschaftliche Ergebnisse und das Wissen der Wissensgesellschaft so, als haetten sie Objektives vor sich. Damit folgen Laien und Wissenschaftler dem kulturellen Selbstverstaendnis, u. a. darueber was ‚richtig‘ und ‚falsch‘ ist, das sie von Kindesbeinen an uebernommen haben. Dieser Sachverhalt verbindet Wissenschaftler und Laien und duerfte vertrauensbildend wirken. Darin besteht im Wesentlichen die Schwierigkeit des Erlaeuterns.

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der ‚immensen Erlaeuterungsbeduerftigkeit‘ der MENSCHENWISSENSCHAFT. Dies wird am Umfang der ABHANDLUNG UEBER DIE MENSCHLICHE NATUR deutlich und zeigt sich in allen seinen weitschweifigen Erlaeuterungen. Damit nahm Hume 1739 in Kauf, dass andere schon deshalb keinen Blick in seine Abhandlung werfen wuerden. Aus seiner Sicht waren langwierige Erlaeuterungen in der Sache unumgehbar. Erst als seine ABHANDLUNG keine Resonanz fand, entschloss er sich den ersten Band seiner ABHANDLUNG verkuerzt unter dem Titel EINE UNTERSUCHUNG UEBER DEN MENSCHLICHEN VERSTAND herauszugeben. Diese Veroeffentlichung duerfte die unter deutschsprachigen Philosophen am besten bekannte Schrift Humes im 18. Jahrhundert gewesen sein. Heute liegen deutsche Uebersetzungen der meisten seiner Schriften vor. Doch die Hume-Forschung steckt in den Kinderschuhen.

„Seine Philosophie …, so Nobelpreistraeger Bertrand Russell, … fuehre in eine Sackgasse: ‚In der von ihm eingeschlagenen Richtung kommt man keinen Schritt weiter.'“ (Berliner Zeitung)
Das Unternehmen ‚revisiting Hume‘, das in diesem Blog vorgestellt wird, moechte dieses vernichtende Urteil Russells abschuetteln helfen, das die philosophische Zunft mehrheitlich teilt.

Humes MENSCHENWISSENSCHAFTEN gehen vom Beobachten aus. Seine Ueberlegungen (‚reasonings‘), seine Prinzipien und Regeln der menschlichen Natur sind durch Hinsehen auf alltaegliches Verhalten von Menschen gewonnen. Er betrachtete seine Ergebnisse nicht als der ‚Weisheit letzter Schluss‘. Was ihn deutlich und positiv von vielen Philosophen unterscheidet. Er handelt nicht mit „Letztbegruendungen“. Denn damit vermeide ich klugerweise jenen Irrtum, den so viele begehen, wenn sie ihre Spekulationen und Behauptungen ueber die Welt als deren mit Sicherheit einzig richtigen Prinzipien hinstellen.“ (Abhandlung, Einleitung 9)

Letzte Sicherheit duerfte es fuer den Menschen nicht geben. Wohl aber Prinzipien – so wie Hume sie fand – , die Anleitung geben koennen. Im Uebrigen scheint seine Philosophie ein Angebot zum Gespraech mit anderen sein, die aehnlich wie er von ‚in der Sache begruendeten Behauptungen‘ ausgehen, die sich fuer sie durch ‚hinsehen‘ auf die Sachen ergeben haben.

„Da ich diese Forschungen umsichtig gesammelt und eingehend verglichen haben, gehe ich davon aus, dass ich darauf eine Wissenschaft gruenden kann, die sich zwar nicht durch Gewissheit auszeichnet, wohl aber nuetzlicher als alles andere sein duerfte, was Menschen sich aneignen koennen.“ (Abhandlung, Einleitung 10)   

 

Resuemee: sympathy = sympathizing




’sympathizing‘ als Grundprinzip interindividueller Kontakte

Menschen teilen im Kontakt das miteinander, was sie sensorieren, schrieb Hume einleitend. Dieses Verhalten bezeichnete er als ’sympathizing‘. Etwas von ’sympathize‘ duerfte noch im gegenwaertigen Wortgebrauch von ‚Sympathisanten‘ bzw. ‚mit anderen sympathisieren‘ anklingen, wenn auch mit der Mitbedeutung ‚parteiisch‘. Hume scheint damit aber – unabhaengig von Zustimmung oder Ablehnung – ein Grundprinzip menschlichen Kontaktverhaltens zu bezeichnen. ’sympathize‘ zeige sich darin, dass Menschen Einstellungen und Empfindungen anderer erst einmal offen und positiv aufnehmen, auch wenn sie von den eigenen abweichen. Besonders deutlich ließe sich dies an Kindern beobachten, meinte Hume. Menschen neigten außerdem dazu, ihre Einstellungen und Empfindungen mit anderen Menschen abzustimmen. Dies koennte die Ursache dafuer sein, dass Menschen einer Nation ein uniformes Verhalten auspraegen. In einem Brief an einen Freund lassen sich einige Gedanken des 23jaehrigen Hume ueber den Unterschied zwischen Franzosen und Englaendern nachlesen, die dies illustrieren koennen (siehe ‚Politeness‘). Menschen erleben ferner im Kontakt mit anderen eine groeßere Empfindungsvielfalt als wenn sie alleine sind und werden im Kontakt mit anderen von deren Empfindungen angesteckt.

’sympathizing‘ heißt: Anzeichen von Empfindungen anderer rufen eigene Empfindungen hervor

Wie ist derartiges moeglich? fragte sich Hume, der sich davon nuetzliche Antworten fuer seine anthropologischen Forschungen versprach. Er fand eine Antwort, die viele von uns ueberraschen duerfte. Er meinte, dass jeder Einzelne anlaesslich der Wirkungen, die Empfindungen in Gesten, Mimik und Sprache hervorrufen – also die Anzeichen dieser Empfindungen -, im Kontakt mit anderen sensoriert. Dieses ’sensorieren‘ rufe blasse Vorstellungen beim Einzelnen hervor, anlaesslich derer Menschen Vermutungen darueber entwickeln, wie der andere im Moment empfindet. Die Staerke dieser Vorstellungen nehme derart zu, so dass wir schließlich den Eindruck haben, dasselbe zu empfinden wie unser Gegenueber. ‚Zeichen anderer bewirken, dass wir uns an Eigenes erinnern.‘ erlaeuterte Augustin Thagaste in seinem Dialog „ueber den Lehrer“.

sympathy‘ unterscheidet sich von Empathie

Heutzutage – und es spricht einiges dafuer, dass dies auch schon zu Humes Zeiten so gewesen sein koennte – ist allgemein die Vorstellung vorherrschend, wir koennten uns in andere einfuehlen, i.S. von ‚hineinversetzen‘. Es gibt dafuer die Bezeichnung ‚Empathie‘. Empathie wird oft sogar als Faehigkeit aufgefasst, die die einen haben und die anderen nicht, bzw. graduell unterschiedlich sei. Hume scheint dagegen festzustellen: Es sind nichts weiter als unsere eigenen Empfindungen, die wir ’sympathizing‘ sensorieren. Er schloss dies daraus, dass die Vorstellung von uns selber nur das umfasse, was zu uns selber gehoert. Das was zu einem anderen Menschen gehoere, liege jenseits dieser Vorstellung. Anlaesslich dieser Sachverhalte duerfe man annehmen, dass es fuer Menschen unmoeglich sei,  Empfindungen anderer zu empfinden. ‚Der Mensch begegnet ueberall nur sich selber.‘, aeußerte der Physiker Werner Heisenberg. ‚Fuer mich sind die Dinge so, wie ich sie empfinde und fuer dich so, wie du sie empfindest.‘ koennte Protagoras in abgewandelter Form des zweiten Teiles seines beruehmten ‚homo-mensura-Satzes‘ gesagt haben.

Rahmenbedingungen von ’sympathy‘

Dieses ’sympathizing‘ werde dadurch beguenstigt, dass Menschen physiologisch aehnlich funktionieren duerften. Ferner sei der unmittelbare Kontakt, seien enge Beziehungen, gemeinsame Gewohnheiten und gemeinsame Erziehung Bedingungen, die ’sympathizing‘ in einem hohen Maße ermoeglichten.

Ich folgere: Menschliche Empfindungen, deren Anzeichen wir außerhalb dieser guenstigen Bedingungen sensorieren, duerften uns daher mehr oder weniger fremd bleiben, da es uns nur in geringem Maße gelingt, zu Gesten, Mimik und Sprache anderer Nationen und Kulturen adaequate eigene Empfindungen zu erzeugen. Sich ueber diese Unterschiede Klarheit zu verschaffen und jenseits davon sich auf Gemeinsames zu einigen, duerfte dann vermutlich nuetzlich sein.

Skepsis 2

Auszug aus Enquiry of Human Unterstanding, Section XII

Skepsis, die es nicht gibt

(2) Ein Skeptiker wird als einer der Feinde der Religion betrachtet, der unvermeidlich die Empoerung aller religioesen und streng metaphysisch denkenden Philosophen hervorrufen dürfte.  Sie halten ihn fuer einen Menschen, der weder eine eigene Meinung, noch eigene Grundsaetze hat, noch je ueber Handeln und Theorien zu bilden in der Lage sei. M.E. duerfte es auszuschliessen sein, dass man einem Menschen mit einer derart desolaten Verfassung begegnen duerfte oder ihm je begegnet ist. Dies ergibt die sehr nahe liegende Frage: Wie ist eigentlich ein Skeptiker? Ausserdem: Wie weit koennen, philosophische Prinzipien entwickelt werden, wenn sie Moegliches und Ungewisses in Betracht ziehen?

Skepsis, die unverzichtbar scheint

(4) Folgende naeher erlaeuterte Art von Skepsis scheint allerdings eine notwendige Bedingung fuer systematisches Forschen zu sein, denn sie sorgt fuer die Unvoreingenommenheit unserer Urteilsfaehigkeit und entwoehnt uns von allen jenen Vorurteilen, die wir durch Erziehung oder voreiliges Meinen aufgenommen haben. Diese Art gemaessigter Skepsis scheint mir ausserdem sehr plausibel.
Wir beginnen [beim systematischen Forschen] im Sinne dieser Skepsis mit klaren und sich aus der Sache ergebenden Grundannahmen, gehen behutsam und jeden Schritt sichernd weiter, ueberdenken immer wieder unsere Schlussfolgerungen und pruefen die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen sehr genau. Zwar werden wir auf diese Weise nur langsam und in geringem Masse vorankommen, aber ich halte dies fuer die einzigen Methoden, durch die wir hoffen koennen, Zutreffendes herauszufinden und einigermassen verlaessliche und begruendete Aussagen machen zu koennen.

Skepsis als Folge wissenschaftlicher Theorien

(5) Im Gefolge von Wissenschaft und Forschung stellt sich im Zusammenhang mit deren spezifischen Theorien, mit denen diese ueblicherweise beschaeftigt sind, eine weitere Art von Skepsis ein: Menschen muessen dabei naemlich entdecken, dass sie einerseits voellig verwirrt werden bzw. dass sie nicht in der Lage sind, [sich von den Ergebnissen der Wissenschaften] eine verlaessliche Vorstellungen zu machen.


Original

Sceptic as an enemy must not exist

(2) The Sceptic is another enemy of religion, who naturally provokes the indignation of all divines and graver philosophers; though it is certain, that no man ever met with any such absurd creature, or conversed with a man, who had no opinion or principle concerning any subject, either of action or speculation. This begets a very natural question; What is meant by a sceptic? And how far it is possible to push these philosophical principles of doubt and uncertainty?

this Sceptic is necessary

(4) It must, however, be confessed, that this species of scepticism, when more moderate, may be understood in a very reasonable sense, and is a necessary preparative to the study of philosophy, by preserving a proper impartiality in our judgments, and weaning our mind from all those prejudices, which we may have imbibed from education or rash opinion. To begin with clear and self-evident principles, to advance by timorous and sure steps, to review frequently our conclusions, and examine accurately all their consequences; though by these means we shall make both a slow and a short progress in our systems; are the only methods, by which we can ever hope to reach truth, and attain a proper stability and certainty in our determinations.

t his Sceptic is a product of sciences

(5) There is another species of scepticism, consequent to science and enquiry, when men are supposed to have discovered, either the absolute fallaciousness of their mental faculties, or their unfitness to reach any fixed determination in all those curious subjects of speculation, about which they are commonly employed.

Kausalitaet I

Hume ueber Kausalitaet: ENQUIRY, IV, 8 ff.

Die Erinnerung an Erlebnisse bestätigt, dass Erfahrung nötig ist.

Wenn man sagt, dass die Ursachen und Wirkungen nicht durch Nachdenken, sondern nur durch Erfahrung festgestellt werden koennen, dann stimmen die Leute stets gerne zu fuer alle die Faelle, an die sie sich erinnern, wo ihnen dieser Zusammenhang vorher nicht bekannt war. … Man gebe einem Menschen, der keine Ahnung von Physik hat, zwei geglaettete Marmorplatten, die aufeinander liegen, fest miteinander zusammenhaengen und fordere ihn auf, sie voneinander zu loesen. Erst wenn er erfahren hat, dass die beiden Platten sich durch seitliches Verschieben mit weniger Kraft voneinander trennen lassen, als wenn er sie durch senkrechtes Abheben voneinander trennen moechte, wird er zwischen Bewegungsrichtung und Kraftaufwand einen Zusammenhang vermuten koennen. Bei solchen Ereignissen, die man nicht aus alltaeglichen Erlebnissen mit der Natur kennt, stimmen Menschen gern zu, dass man das nur durch Erfahrung wissen kann. Auch wird niemand behaupten, dass er die Explosionskraft eines entzuendeten Pulvers oder die Anziehungskraft eines Magneten a priori, also ohne Erfahrung nur durch Nachdenken entdecken koenne.

Ebenso wenig duerfte jemand bestreiten, dass man nur durch Erfahrung die Wirkungen einer komplizierten Maschine und das Funktionieren ihrer Teile kennen kann. Oder will moeglicherweise jemand behaupten, er wisse ohne Erfahrung, ob Milch und Brot – die fuer den Menschen taugen – ein passendes Nahrungsmittel fuer einen Baeren oder einen Tiger sein koennen?

Unsere Erfahrung veranlasst uns davon auszugehen, dass es beobachtbare Zusammenhaenge gaebe.

Diese Gewissheit aber, dass wir ohne Erfahrung keine Zusammenhaenge kennen koennen, verlaesst uns Menschen, wenn wir ueber Ereignisse reden, die wir schon von klein auf kennen, oder die natuerlichen Ereignissen aehneln oder die vermeintlich von einfachen Eigenschaften der Dinge abhaengen und nicht von irgendwelchen verborgenen Mechanismen. Da meint man nun ploetzlich, dass man den Zusammenhang durch blosses Nachdenken und ohne jede Erfahrung entdecken kann. Man tut dann so, als ob man – ploetzlich in die Welt gestellt – schon vorher wisse, dass eine Billardkugel der anderen durch Stossen seine Bewegung weitergeben koenne. Da meinen Menschen, dass man keine Erfahrung brauche, um diesen Zusammenhang schon vorhersagen zu koennen. Daraus kann man schliessen, wie stark die Macht der Gewohnheit ist. Da wo sie am staerksten ist, verbirgt sie nicht nur unsere ganz natuerliche Unkenntnis, sondern sie verbirgt auch sich selbst. …

Naturgesetze und Bewegungen sind Produkte unserer Erfahrung.

Moeglicherweise koennen die folgenden Beschreibungen ausreichen, zu erlaeutern, dass alle Naturgesetze und alle Bewegungen der Koerper ausnahmslos nur durch Erfahrung kennen gelernt werden. Wird uns zum Beispiel ein unbekannter Gegenstand gebracht, und wir sollen angeben, welche Wirkung von ihm ausgehen wird, ohne fruehere Erfahrungen zu Rate zu ziehen, so ist doch die Frage, wie soll ein Mensch dabei vorgehen, um zu einer zutreffenden Aussage zu kommen. Nun er muss sich eine moegliche Wirkung ausdenken oder sie erfinden. Klar ist dabei, dass eine derartige Aussage ganz willkuerlich sein duerfte. Menschen koennen in diesem Fall keine Wirkung am unbekannten Gegenstand entdecken, auch wenn sie ihn ganz genau untersuchen und pruefen.

Ohne Erfahrung – apriori – koennen Menschen sich keine Vorstellungen von zukünftigen Ereignissen machen.

Das duerfte daran liegen, dass Ursache und Wirkung voellig verschieden voneinander sind. Die Bewegung der zweiten Billardkugel ist ein ganz anderes Ereignis als die Bewegung der ersten. Die Bewegung der ersten Kugel enthaelt keinerlei Hinweis auf die Bewegung der zweiten. Ein Stein oder ein Metallklumpen faellt sofort, wenn ich ihn loslasse. Betrachte ich ihn aber bevor ich diese Erfahrung gemacht habe, also a priori, hat da schon jemals jemand etwas an ihm entdeckt, dass Menschen veranlassen koennte, sich eine Vorstellung davon zu machen, dass er nach unten fallen duerfte, anstatt nach oben oder zur Seite?

Der Zusammenhang  zwischen zwei Ereignissen wird apriorisch beliebig  gesetzt.

So willkuerlich, wie jede Idee oder Erfindung einer bestimmten Wirkung eines singulaeren oder erstmaligen Naturereignisses ohne Erfahrung ist, so willkuerlich scheint mir auch das behauptete Band oder die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung, welche es angeblich moeglich machen soll, vorauszusagen, dass nur eine ganz bestimmte Wirkung von einer Ursache ausgehen kann. Wenn ich z.B. sehe, wie eine Billardkugel auf eine andere zurollt, kann ich mir zwar vorstellen, dass die andere sich gleich bewegen wird und dass diese Bewegung eine Folge dessen ist, dass die erste sie beruehrt bzw. sie anstoesst. Aber kann ich mir nicht genauso gut 100 andere Wirkungen vorstellen? Moeglicherweise, dass die Kugeln still liegen bleiben? Oder das die erste nach dem Stoss zurueckrollt oder in irgendeine andere Richtung wegspringt? Alle diese Annahmen sind moeglich und denkbar. Wie soll ich mich im Vorwege entscheiden? Welche von den vielen Moeglichkeiten duerfte eintreten? Alle Gruende, die ich mir denke, geben mir a priori keinen Anhaltspunkt fuer meine Entscheidung.

Kurz gesagt: die Wirkung ist von ihrer Ursache verschieden, deshalb kann ich die Wirkung nicht in der Ursache finden. D.h. jede Idee und jede Erfindung einer moeglichen Wirkung duerfte voellig willkuerlich bleiben. Und selbst dann, wenn ich die Wirkung einer bestimmten Ursache kenne, bleibt die Verbindung mit der Ursache genauso willkuerlich, weil es denkbar und vorstellbar ist, dass es viele andere Wirkungen gibt. Meint man also, dass man ein Ereignis ohne Hinsehen und Erfahrung im Voraus bestimmen oder Ursache und Wirkung schlussfolgern koenne, so entbehrt dies jeder Grundlage.

Menschen können schlussfolgern,  Ereignismuster bilden, aber keine Letztbegründungen finden.

Diese Sachverhalte verwehren es einem nachdenklichen Philosophen, dem die Grenzen seines Denkens bekannt sind, zu behaupten, er koenne die letzte Ursache irgendeines Naturereignisses bezeichnen oder die exakte Wirkung demonstrieren, die infolge der Ursache geschieht, die jedes Ereignis im Universum herstellt. Die hoechste Leistung, die wir denkend dabei erbringen koennen, ist durch Schlussfolgerungen aus Analogie, Erfahrung und Hinsehen die Menge der Ereignismuster, die wir an den Naturphaenomenen feststellen, auf einige einfache zu reduzieren und die vielen einzelnen Wirkungen auf einige wenige allgemeine Ursachen zu beziehen. Die Ursachen dieser allgemeinen Ursachen entdecken zu wollen, scheint mir ein vergebliches Unterfangen, ausserdem duerften wir wohl kaum Erklaerungen finden, die uns wirklich zufrieden stellen duerften. Diese letzten Anfaenge und Prinzipien duerften unserem Forscherdrang und unseren Forschungen nicht zugaenglich sein.