Irrtuemer 1


Humes Philosophie als Ergebnis von ‚philosophieren‘ in eigener Sache

Die geringe Resonanz auf die aus meiner Sicht „sensationellen“ Texte Humes beschaeftigt mich. Wie kommt es, dass Humes Beschreibungen des Menschlichen, seine Aussagen ueber Kommunikation (’sympathizing‘), ja insgesamt Humes grundsaetzlich eigenstaendige neue Sichten, die anderen eigenstaendiges Philosophieren ermoeglichen koennen, so wenig Aufmerksamkeit finden? In den nachfolgenden Artikeln moechte ich veroeffentlichen, was ich dazu herausgefunden habe.

Der Personenkreis,  an den ich als moegliche Interessenten fuer Humes Philosophie denke, sind Menschen die ‚philosophieren‘ fasziniert. Mit ‚philosophieren‘ meine ich im Allgemeinen, ueber alles, was ich merke nachzudenken. Dieses ’nachdenken‘ bezieht sich auf Material, das das Leben zur Verfuegung stellt, besteht also aus Ereignissen und entsprechenden Erlebnissen, die mehr oder weniger angenehm waren. Aus diesen ziehen Menschen Schlussfolgerungen für ‚handeln‘ in der Gegenwart – d.h. sie lernen -, was üblicherweise mit dem Wort „Erfahrung“ bezeichnet wird. Menschen, die ‚philosophieren‘ fasziniert, interessieren sich in diesem Zusammenhang auch fuer das, was amtlich bestellte oder bekannte Philosophen zu sagen haben. Denn diese bestimmen mit ihren Auffassungen den oeffentlichen Diskurs.

Meine Beduerfnisse, denen ich mit meinem ‚philosophieren‘ zu entsprechen suche, beziehen sich auf mein ‚handeln‘ fuer mich und fuer andere. Es geht mir darum, eigene Orientierungen bzw. Kriterien fuer menschliches ‚handeln‘ zu entdecken, mit denen ich mein ‚handeln‘ verbessern kann.  Eine Reihe weiterer Merkmale meines  physistisch geprägten ‚philosophieren‘ findet sich unter Rolf Reinhold’s PHYSISTIK. Ich verdanke es dem Philosophen Rolf Reinhold, dass ich „das Rad nicht neu erfinden musste“, sondern die von ihm fuer sein Leben gefundenen Muster menschlichen Handelns als erste Orientierungen und Auffinden meiner Kriterien verwenden konnte. Da ich davor bereits bei toten und lebenden Metaphysikern (u.a.  Platon und Augstin von Thagaste) in die Schule gegangen war, ist es fuer mich auszerdem wichtig zu klaeren, weshalb die Metaphysik fuer mich keine Orientierungen und Kriterien zu Verfuegung stellte. Dies steht alles im Kontext meines Interesses am Humeschem ‚philosophieren‘.

Humeforscher gehen von einem ganz anderen Ansatz des ‚philosophieren‘ aus als ich und kommen so zu anderen Humeinterpretationen. So schreibt z.B. Lambert Wiesing in seinem Kommentar zu Humes UNTERSUCHUNG UEBER DEN MENSCHLICHEN VERSTAND, es sei unter Philosophen unstrittig, „dass philosophische Forschung keine empirischen Beweise erbringt, sondern durch kategoriale und begriffliche Argumentation vollzogen wird“ (David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand. Übers. Raoul Richter. Kommentar v. Lambert Wiesing. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2007, S. 254). Weil Hume nach Wiesings Meinung ‚Empirie‘ als Beweise fuer seine philosophischen Forschungsergebnisse benutze – Humes Differenzierungen in diesem Punkt könnte er überlesen haben (vgl. u.a. David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand V,2) -, erklaert er das Humesche ‚philosophieren‘ fuer gescheitert. Wiesing meint, das Scheitern mache den „klassischen Wert“ Humes fuer die Philosophie aus. Hume habe aber eigentlich blosz „psychologische Betrachtungen“ angestellt (ebd.). Auch dies scheint unter deutschen Humeforschern unstrittig zu sein.

Lambert Wiesings Auffassung über Philosophieren duerfte unter universitaer ausgebildeten Philosophen und Humeforschern unstrittig sein, aber nicht unter philosophierenden Menschen, die ‚philosophieren‘ als koerperumfassende Aktivität ihres eigenen Lebens fasziniert. Diese ‚physistisch gepraegten‘ Philosophen folgen stets ihren eigenen Wegen zu ‚philosophieren‘, weil sie davon ausgehen, dass nur eigene Wege sie weiterbringen. Sie moechten ’sagen, was sie sehen und denken, was sie denken‘. Nichts was andere meinen, bleibt ungeprueft, auch Eigenes nicht.

Der Behauptung Wiesings, dass Empirie (Erfahrung) keine Beweise bringt, stimme ich mit Hume gern zu: Beweise sind nur innerhalb von in sich geschlossenen Systemen moeglich, wie sie z.B. die Mathematik produziert (vgl. Untersuchung ueber den menschlichen Verstand V,1.) Ereignisse, Situationen menschlichen Lebens aber, insbesondere ‚Menschen‘, sowie ‚handeln‘ und ‚denken‘ bezeichnen keine in sich geschlossenen Systeme. Von ihnen nimmt Hume an, dass sie philosophische Forschungsergebnisse liefern, die ausschließlich ‚probabilistischen‘ Charakter haben (vgl. z.B. Untersuchung ueber den menschlichen Verstand IV Abhandlung ueber die menschliche Natur 1.4.5. 30|35.) Die Begrenztheit probalistischer Aussagen akzeptiert Hume, weil sie  in der Natur der Sache liegen. Diese Sachen sind ‚impressions‘ und ’sensations‘, stets ‚peripherieoffen‘ und so veraenderbar. Menschen werden kontinuierlich durch koerperliche Eindrücke und Empfindungen pertubiert. Diese werden an der koerperlichen Peripherie oder durch entsprechende innere Organlagen ausgeloest und bilden die Basis unserer Entscheidungen. 

Solange dieses natuerliche Lernprinzip ausgeschlossen wird, ist fuer mich jede ‚kategoriale und begriffliche‘ Festlegung unbrauchbar, weil sie so tut, als sei sie vom Himmel gefallen. Wiesing laesst diesem Verstaendnis folgend die menschliche Physis auszen vor. Derartiges ‚wegsehen‘ ist m. E. nicht unter ‚psychologischen Betrachtungen‘ zu verbuchen. Dies entstammt einer nach wie vor lebendigen philosophischen Tradition Deutschlands, in der mehr oder weniger offensichtlich uralte Kategorien und Begriffe verwendet werden, die Autoritaetsabhaengigkeit signalisieren.

Kant hielt die menschliche Natur fuer philosophisch unerheblich, weil er die uneingeschraenkte Steuerbarkeit der menschlichen Physis durch Verstand und Vernunft als a priori gegeben ansah (vgl. Johann Kraus: Recension von Ulrich’s Eleutheriologie). Hume aber machte von der menschlichen Physis als Ausgangpunkt fuer seine Abhandlung ueber die menschliche Natur positiven Gebrauch. Anstatt wie Kant von Theorien des ‚denken‘  ging er von physiologischen Forschungserebnissen seiner Zeit und vor allem von seinem eigenen Beobachten menschlichen Verhaltens aus,  sein eigenes einschließlich. Die Tradition der „Kategorien und Begriffe“ duerfte also hinsichtlich Hume keine zutreffenden Kriterien der Interpretation zur Verfuegung stellen koennen, weil Hume ihr nicht folgte. Bereits als junger Mann hat Hume jede Unterordnung seines ‚philosophieren‘ unter alte Theorien abgelehnt. „Ich habe herausgefunden, dass die Philosophie ueber menschliches Handeln seit der Antike mit derselben Unzulaenglichkeit arbeitet wie die Naturwissenschaften. Beide gehen m. E. ausschlieszlich von Hypothesen und Spekulationen aus, anstatt sich auf Erfahrbares und Erforschbares zu beziehen…Man muss nicht viel mehr tun, um zu verwertbaren Ergebnissen zu kommen, als alle diese alten Theorien zugunsten der eigenen Sichten oder der anderer wegzuwerfen. Es duerfte letztlich von den Sichten anderer abhaengen, ob meine Schlussfolgerungen fuer zutreffend gehalten werden oder nicht. Innerhalb der letzten drei Jahre habe ich meine Schlussfolgerungen in einem Ausmasz vervielfacht, so dass ich damit viele Stapel Papier mit Notizen fuellen konnte, die ausschlieszlich das enthalten, wie ich die Dinge sehe.“ (David Hume: Brief an einen Arzt. Edinburgh 1734. Abgedruckt in John Hill Burton: Life and Correspondance of David Hume. Edinburgh 1846. Band I. S. 30 – 39.)

Resuemee: sympathy = sympathizing




’sympathizing‘ als Grundprinzip interindividueller Kontakte

Menschen teilen im Kontakt das miteinander, was sie sensorieren, schrieb Hume einleitend. Dieses Verhalten bezeichnete er als ’sympathizing‘. Etwas von ’sympathize‘ duerfte noch im gegenwaertigen Wortgebrauch von ‚Sympathisanten‘ bzw. ‚mit anderen sympathisieren‘ anklingen, wenn auch mit der Mitbedeutung ‚parteiisch‘. Hume scheint damit aber – unabhaengig von Zustimmung oder Ablehnung – ein Grundprinzip menschlichen Kontaktverhaltens zu bezeichnen. ’sympathize‘ zeige sich darin, dass Menschen Einstellungen und Empfindungen anderer erst einmal offen und positiv aufnehmen, auch wenn sie von den eigenen abweichen. Besonders deutlich ließe sich dies an Kindern beobachten, meinte Hume. Menschen neigten außerdem dazu, ihre Einstellungen und Empfindungen mit anderen Menschen abzustimmen. Dies koennte die Ursache dafuer sein, dass Menschen einer Nation ein uniformes Verhalten auspraegen. In einem Brief an einen Freund lassen sich einige Gedanken des 23jaehrigen Hume ueber den Unterschied zwischen Franzosen und Englaendern nachlesen, die dies illustrieren koennen (siehe ‚Politeness‘). Menschen erleben ferner im Kontakt mit anderen eine groeßere Empfindungsvielfalt als wenn sie alleine sind und werden im Kontakt mit anderen von deren Empfindungen angesteckt.

’sympathizing‘ heißt: Anzeichen von Empfindungen anderer rufen eigene Empfindungen hervor

Wie ist derartiges moeglich? fragte sich Hume, der sich davon nuetzliche Antworten fuer seine anthropologischen Forschungen versprach. Er fand eine Antwort, die viele von uns ueberraschen duerfte. Er meinte, dass jeder Einzelne anlaesslich der Wirkungen, die Empfindungen in Gesten, Mimik und Sprache hervorrufen – also die Anzeichen dieser Empfindungen -, im Kontakt mit anderen sensoriert. Dieses ’sensorieren‘ rufe blasse Vorstellungen beim Einzelnen hervor, anlaesslich derer Menschen Vermutungen darueber entwickeln, wie der andere im Moment empfindet. Die Staerke dieser Vorstellungen nehme derart zu, so dass wir schließlich den Eindruck haben, dasselbe zu empfinden wie unser Gegenueber. ‚Zeichen anderer bewirken, dass wir uns an Eigenes erinnern.‘ erlaeuterte Augustin Thagaste in seinem Dialog „ueber den Lehrer“.

sympathy‘ unterscheidet sich von Empathie

Heutzutage – und es spricht einiges dafuer, dass dies auch schon zu Humes Zeiten so gewesen sein koennte – ist allgemein die Vorstellung vorherrschend, wir koennten uns in andere einfuehlen, i.S. von ‚hineinversetzen‘. Es gibt dafuer die Bezeichnung ‚Empathie‘. Empathie wird oft sogar als Faehigkeit aufgefasst, die die einen haben und die anderen nicht, bzw. graduell unterschiedlich sei. Hume scheint dagegen festzustellen: Es sind nichts weiter als unsere eigenen Empfindungen, die wir ’sympathizing‘ sensorieren. Er schloss dies daraus, dass die Vorstellung von uns selber nur das umfasse, was zu uns selber gehoert. Das was zu einem anderen Menschen gehoere, liege jenseits dieser Vorstellung. Anlaesslich dieser Sachverhalte duerfe man annehmen, dass es fuer Menschen unmoeglich sei,  Empfindungen anderer zu empfinden. ‚Der Mensch begegnet ueberall nur sich selber.‘, aeußerte der Physiker Werner Heisenberg. ‚Fuer mich sind die Dinge so, wie ich sie empfinde und fuer dich so, wie du sie empfindest.‘ koennte Protagoras in abgewandelter Form des zweiten Teiles seines beruehmten ‚homo-mensura-Satzes‘ gesagt haben.

Rahmenbedingungen von ’sympathy‘

Dieses ’sympathizing‘ werde dadurch beguenstigt, dass Menschen physiologisch aehnlich funktionieren duerften. Ferner sei der unmittelbare Kontakt, seien enge Beziehungen, gemeinsame Gewohnheiten und gemeinsame Erziehung Bedingungen, die ’sympathizing‘ in einem hohen Maße ermoeglichten.

Ich folgere: Menschliche Empfindungen, deren Anzeichen wir außerhalb dieser guenstigen Bedingungen sensorieren, duerften uns daher mehr oder weniger fremd bleiben, da es uns nur in geringem Maße gelingt, zu Gesten, Mimik und Sprache anderer Nationen und Kulturen adaequate eigene Empfindungen zu erzeugen. Sich ueber diese Unterschiede Klarheit zu verschaffen und jenseits davon sich auf Gemeinsames zu einigen, duerfte dann vermutlich nuetzlich sein.

revisiting: sympathy 4


Transposition

Abhandlung ueber die menschliche Natur 2.1.11.5/6

2.1.11.5

Es scheint so zu sein, dass menschliche Individuen von Natur aus einander sehr aehnlich sind. Diese Aehnlichkeit macht es erklaerlich, dass ein ICH bei einem anderen ICH Empfindungen bzw. Muster von Empfindungen bemerkt, die es parallel dazu bei sich entdecken kann. Das Prinzip „Aehnlichkeit“ duerfte fuer die Denkfabrik „Gehirn“ wie fuer den Koerper gelten. Denn auch wenn Koerperteile von Individuen sich voneinander in Form und Groeße unterscheiden, so bleibt deren anatomische Beschaffenheit und Zusammenstellung im Allgemeinen gleich.

Die Aehnlichkeit zwischen Individuen duerfte fuer jedes ICH eine sehr große Rolle spielen und sie scheint trotz der Variationsvielfalt von Individuen bewahrt werden zu koennen. Die Aehnlichkeit zwischen Individuen duerfte sehr viel dazu beitragen koennen, dass ein ICH Zugang zu den Empfindungen eines anderen ICH erhaelt und nutzbringend und zu seiner eigenen Freude fuer die Kommunikation verwenden kann. Entsprechend scheint es die graduelle Wirksamkeit der Sympathie zu beeinflussen, wenn – außer der allgemeinen Aehnlichkeit natuerlicher Anlagen von Individuen – weitere spezifische Aehnlichkeiten wie Sitten, Charakter, Land und Sprache hinzukommen. Je enger der Kontakt durch diese Aehnlichkeiten zwischen einem ICH und einem anderen ICH ist, desto leichter duerfte ein ICH fantasierend einen Wechsel von den sensorierbaren Anzeichen der Empfindungen des anderen ICH zu seinen Empfindungen herbeifuehren koennen. Dieser Wechsel duerfte im Zusammenhang mit einer lebhaften Vorstellungs- und Empfangsbereitschaft stehen, die kontinuierlich eine Vorstellung von mir selber kreiirt.

2.1.11.6

Die Aehnlichkeit von Individuen duerfte aber nicht der einzige Zusammenhang sein, der auf diese Weise wirkt. Deren Wirkung duerfte auch von anderen Zusammenhaengen – die diese begleiten – verstaerkt werden koennen. Die Empfindungen eines anderen ICH haben einen geringen Einfluss auf mich, wenn es weit von mir entfernt sind. Es duerfte vermutlich der Kontext einer raeumlich nahen Gleichzeitigkeit noetig sein, um Empfindungen vollstaendig teilen zu koennen. Blutsverwandtschaftliche Beziehungen – eine Art kausaler Zusammenhang – duerften manchmal den gleichen Effekt haben, aehnlich wie jede Art zwischenmenschlicher Beziehungen, die in der gleichen, oben beschriebenen Weise etwas in Gang bringen duerften wie auch Erziehung und Gewohnheit. Dazu aber spaeter mehr.

Im Rahmen aller diese Beziehungen bzw. Zusammenhaenge duerfte es moeglich sein, eine ‚impression‘ d.h.eine lebhafte, starke eigene Empfindung auf die Vorstellung von Gefuehlen oder Empfindungen anderer zu uebertragen (zu der uns interindividuell sensorierbare Zeichen anregen), um so in der staerksten und lebhaftesten Art und Weise eigene Empfindungen zu empfangen.

Zu Beginn dieser Abhandlung habe ich festgestellt, dass alle schwachen und blassen Empfindungen (‚ideas‘) starke, lebhafte Empfindungen (‚impressions‘) nachahmen duerften. Beide Arten von Empfindungen unterscheiden sich lediglich durch die verschiedenen Grade ihrer Staerke und Lebhaftigkeit, die ein Mensch empfindet. Die Bestandteile der unterschiedlichen Empfindungen duerften gleich sein. Auch die Art und Weise der Konstellationen der beiden Empfindungsarten duerften einander entsprechen. Auch duerfte eine lebhafte ‚idea‘ von etwas sich immer einer ‚impression‘ annaehern koennen. Allein die Staerke bestimmter Fantasien z.B. kann einen Menschen sich krank fuehlen und Schmerzen empfinden lassen. Ja, er kann sorgar richtig krank werden, wenn er oft daran denkt.

Doch am bemerkenswertesten duerfte sein, dass es prinzipiell moeglich ist, denkend und fuehlend lebhafte ‚ideas‘ in eine ‚impression‘ zu verwandeln. Die eigenen Empfindungen duerften wahrscheinlich vom ICH abhaengen, d.h. von inneren Prozessen und Aktivitaeten des Individuums als von irgendeinem anderen aeuszeren Reiz. Begruendungen und Erklaerungen entstehen vermutlich gleichfalls durch fantasieren und kreiieren lebhafter ‚ideas‘.

Dies alles duerfte die Natur und die Ursache der Sympathie ausmachen. Auf diese Weise duerfte ein ICH zu begruendeten Vermutungen ueber Einstellungen und Empfindungen eines anderen ICH kommen koennen, wann immer es Anzeichen dafuer sensorieren kann.

Original

Treatise of Human Nature 2.1.11.5/6

2.1.11.5

Now ’tis obvious, that nature has preserv’d a great resemblance among all human creatures, and that we never remark any passion or principle in others, of which, in some degree or other, we may not find a parallel in ourselves. The case is the same with the fabric of the mind, as with that of the body. However the parts may differ in shape or size, their structure and composition are in general the same.

There is a very remarkable resemblance, which preserves itself amidst all their variety; and this resemblance must very much contribute to make us enter into the sentiments of others, and embrace them with facility and pleasure. Accordingly we find, that where, beside the general resemblance of our natures, there is any peculiar similarity in our manners, or character, or country, or language, it facilitates the sympathy. The stronger the relation is betwixt ourselves and any object, the more easily does the imagination make the transition, and convey to the related idea the vivacity of conception, with which we always form the idea of our own person.

2.1.11.6

Nor is resemblance the only relation, which has this effect, but receives new force from other relations, that may accompany it. The sentiments of others have little influence, when far remov’d from us, and require the relation of contiguity, to make them communicate themselves entirely. The relations of blood, being a species of causation, may sometimes contribute to the same effect; as also acquaintance, which operates in the same manner with education and custom; as we shall see more fully afterwards. All these relations, when united together, convey the impression or consciousness of our own person to the idea of the sentiments or passions of others, and makes us conceive them in the strongest and most lively manner.

revisiting: sympathy 3



Hume verknüpft seine Beschreibung, dass jede Art verbaler bzw. nonverbaler Aeuszerungen anderer das eigene ICH veranlassen, dazu passende und ihm entsprechende Vorstellungen, Empfindungen und Emotionen hervorzubringen., im folgenden mit einem weiteren Sachverhalt, den er glaubt, festgestellt zu haben:

Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur, 2.1.11.4

Es ist für mich offensichtlich, dass ich mich kontinuierlich und unmittelbar mehr oder weniger stark selber sensoriere. Außerdem gehe ich davon aus, dass mir stets eine bewusste und lebhafte Vorstellung von mir  selber zur Verfügung stehe. Dieses ICH kann sich jedoch nicht vorstellen, dass irgendetwas, das zu ihm gehört, außerhalb des von sich selber Sensorierten oder seiner Vorstellung von sich sei.
Ein anderes ICH, das mit meinem ICH in Kontakt steht, dürfte eine ähnlich lebhafte Vorstellung von sich haben wie mein ICH, und vermutlich entsprechend der Art und Weise, wie dies oben erläutert wurde, Empfindungen von mir mitfühlen können. Der interindividuelle Kontakt dürfte einen beträchtlichen Einfluss darauf haben, wenn auch nicht so stark wie dies in Ursache-Folge-Beziehungen der Fall sein dürfte. „Ähnlichkeit mit“ ebenso wie „Nähe zu Eigenem“ dürften weitere Einflussgrößen sein, die aus Sicht des ICH nicht bestritten werden können. Im vorliegenden Fall scheint sich dieser Zusammenhang gleichsam aufzudrängen: Mein ICH verhält sich nämlich so, als assoziiere es von interindividuell sensorierbaren Zeichen im Sinne von Ursache und Folge auf etwas, das bei ihm so ähnlich oder für ihn selber nahe liegend zu sein scheint.
[Vgl. dazu Enquiry III,2: Es werden solche Vorstellungen miteinander verknüpft, die sich ähneln, die dicht beieinander liegen und die sich eine aus der anderen ergeben.]

Original

Treatise of Human Nature, 2.1.11.4

Tis evident, that the idea, or rather impression of ourselves is always intimately present with us, and that our consciousness gives us so lively a conception of our own person, that ’tis not possible to imagine, that any thing can in this particular go beyond it. Whatever object, therefore, is related to ourselves must be conceived with a like vivacity of conception, according to the foregoing principles; and tho’ this relation shou’d not be so strong as that of causation, it must still have a considerable influence. Resemblance and contiguity are relations not to be neglected; especially when by an inference from cause and effect, and by the observation of external signs, we are inform’d of the real existence of the object, which is resembling or contiguous.
[View also: Enquiry Concerning Human Understanding III,2:To me, there appear to be only three principles of connexion among ideas, namely, Resemblance, Contiguity in time or place, and Cause or Effect.]

revisiting: sympathy 2


Wie ist sympathisieren moeglich?

Seine Antwort gibt Hume – wie dies bei ihm durchgaengig der Fall ist – als Resuemee seines eigenen ‚hinsehen‘ (observing). Ein Humesches Resuemee hat – so ein Resuemee meiner Transpositionsarbeiten – stets den Charakter von versuchsweisen Schlussfolgerungen, die Hume bereit ist jederzeit zu revidieren. Im Untertitel seiner ‚Abhandlung über die menschliche Natur‘ wird dieser Charakter von Hume als „experimental Method of reasoning“ bezeichnet. Dieser Terminus wird von anderen mit ’naturwissenschaftlicher Methode‘ oder ‚Methode der Erfahrung‘ transponiert. Damit kommt m.E. das vorsichtige Finden und das Humesche Bewerten eigener Resuemees als Annahmen überhaupt nicht in den Blick.

Sympathie im Sprachgebrauch zu Hume’s Zeiten

Zu Humes Zeiten war mit ‚Sympathie‘ im oeffentlichen Sprachgebrauch noch ein Teil der vielfaeltigen griechisch-lateinischen Mitbedeutungen lebendig, die sich auf Physiologisches bezogen. z.B. stand Sympathie fuer ‚mitempfinden, gleiche empfindung, teilhaben an einer beschaffenheit, natuerliche uebereinstimmung von dingen, natuerlicher zusammenhang, wechselbeziehung‘. Gelaeufig war auch noch der eingeschraenktere physiologisch-medizinische Sprachgebrauch, der mit ‚Sympathie‘ den Zusammenhang des erkrankten Organs mit Symptomen an anderen noch intakten Organen beschrieb. Zunehmend aber entstanden im Laufe des 17./18. Jahrhunderts ausgepraegte, metaphorisierte Bedeutungszweige, die mit Sympathie vor allem seelische Beziehungen zwischen Menschen beschrieben. (vgl. ‚Sympathie‘ im DWB) Heute wird unter Sympathie fast ausschlieszlich “Zuneigung, bzw. eine positive gefuehlsmaeszige Einstellung zu jemand anderem” (Duden: Bedeutungswoerterbuch) verstanden.

Sympathie als (neuro)physiologisches Aktivitätsprinzip

Hume bezeichnet mit ’sympathy‘ aus meiner Sicht ein (neuro-)physiologisches Prinzip, das der jeweilige Mensch autonom jeweils situativ unterschiedlich auspraegt – und zwar abhängig vom individuellen Erleben und der als Erfahrung bezeichneten Auswertung des Erlebten. Beides entspricht nach Auskunft der Neurowissenschaften neurophysiologischen Aktivitaetsmustern.

Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur, 2.1.11.3

Wenn mein ICH durch Sympathisieren mit Gefuehlen anderer angesteckt wird, sensoriert es zuerst deren Wirkungen. Als Wirkungen bezeichne ich alle sensorierbaren Anzeichen in Koerperhaltung, Mimik, Gestik und in sprachlichen Aeuszerungen von Meinungen und Beobachtungen. Mein ICH sensoriert diese Anzeichen, und so wird ihm eine ‚idea‘ (eine erste eigene schwache Vorstellung) von den Gefuehlen des anderen ermoeglicht. Diese ‚idea‘ wird fuer mein ICH im Handumdrehen staerker und heftiger sensorierbar und verwandelt sich in eine ‚impression‘ (eine sehr starke, lebhafte Vorstellung). Diese erreicht einen entsprechenden Grad von Kraft und Lebendigkeit und ruft in mir genauso eine Emotion hervor, wie jede andere eigene Empfindung.

Orginal

Treatise of Human Nature, 2.1.11.3

When any affection is infus’d by sympathy, it is at first known only by its effects, and by those external signs in the countenance and conversation, which convey an idea of it. This idea is presently converted into an impression, and acquires such a degree of force and vivacity, as to become the very passion itself, and produce an equal emotion, as any original affection.

revisiting: sympathy 1



Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur 2.1.11.2

Menschen zeigen ein bemerkenswertes Charakteristikum, das sowohl als Phänomen als auch hinsichtlich seiner Folgen deutlich unter anderen hervorsticht. Jeder Mensch hat das Beduerfnis gemeinsam mit anderen das zu teilen, was er sensoriert: d.h. er möchte mit anderen sympathisieren. Er tritt zu anderen in Kontakt, indem er sich ueber Neigungen, Interessen und Ansichten unterhaelt, auch wenn diese von seinen eigenen verschieden sind oder gar im Widerspruch zu ihnen stehen. Das ist nicht nur deutlich beim kindlichen ICH zu sehen, das ganz selbstverständlich Auffassungen anderer übernimmt und so mit anderen in Kontakt bleibt. Auch ein erwachsenes ICH mit einem differenzierten Urteils- und Denkvermoegen findet es sehr schwierig, bei eigenen Beweggruenden und Auffassungen zu bleiben, wenn diese zu denen von Freunden oder Lebenspartnern im Widerspruch stehen. Ich nehme an, dass dieses Verhaltensmuster die ausgeprägte Uniformität bewirkt, die bei Menschen einer Nation hinsichtlich Emotionen und Denkweise beobachtet werden kann. … Ein froh gestimmtes ICH befindet sich im nu in der gleichen Stimmung wie seine Begleiter. Auch ein in sich gekehrtes und missgelauntes ICH nimmt die Stimmung seiner Landsleute und seines Bekanntenkreises an. Wenn ein anderer froehlich ist, fuehle ich mich merklich gelassen und heiter. Ist jemand verärgert oder betruebt, fuehle ich mich augenblicklich niedergeschlagen. Empfindungen wie ich hasse, ich bin verstimmt, ich werde anerkannt, ich liebe, ich bin mutig, ich bin heiter, ich bin niedergeschlagen, erlebe ich oefter im Kontakt mit anderen, als dass sie – wenn ich  alleine bin – von meinem eigenen angeborenen Temperament und meiner momentanen Stimmung ausgehen. Ein derart bemerkenswertes Phänomen verdient Aufmerksamkeit. Ich moechte ihm nachspueren und herausfinden, welches die grundlegenden Prinzipien sein dürften, die „sympathisieren“ ermoeglichen könnten.

Anmerkung: ICH bezeichnet die allgemeine Einheit Koerper (traditionell: Mensch) bzw. die näher bestimmte Einheit Koerper (traditionell: ich). Dieser gewöhnungsbedürftige Terminus soll den ausschlieszlich von mir unterstellten physiologischen Charakter ‚Mensch‘ deutlich machen und wird hier experimentell verwendet. Möglicherweise eignet er sich nicht für die Transposition.

Orginal

Treatise of Human Nature 2.1.11.2

No quality of human nature is more remarkable, both in itself and in its consequences, than that propensity we have to sympathize with others, and to receive by communication their inclinations and sentiments, however different from, or even contrary to our own. This is not only conspicuous in children, who implicitly embrace every opinion propos’d to them; but also in men of the greatest judgment and understanding, who find it very difficult to follow their own reason or inclination, in opposition to that of their friends and daily companions. To this principle we ought to ascribe the great uniformity we may observe in the humours and turn of thinking of those of the same nation; and ’tis much more probable, that this resemblance arises from sympathy, than from any influence of the soil and climate, which, tho’ they continue invariably the same, are not able to preserve the character of a nation the same for a century together. A good-natur’d man finds himself in an instant of the same humour with his company; and even the proudest and most surly take a tincture from their countrymen and acquaintance. A chearful countenance infuses a sensible complacency and serenity into my mind; as an angry or sorrowful one throws a sudden damp upon me. Hatred, resentment, esteem, love, courage, mirth and melancholy; all these paszions I feel more from communication than from my own natural temper and disposition. So remarkable a phaenomenon merits our attention, and must be trac’d up to its first principles.

revisiting Hume: sympathisieren – Sympathie



In den folgenden Artikeln – mit heute beginnend – werde ich einige aufeinander folgende Abschnitte aus dem zweiten Band von Humes dreibaendigem Jugendwerk „Eine Abhandlung ueber die menschliche Natur“ veroeffentlichen. Thema dieser Abschnitte ist das Zentrum des Menschlichen – im traditionellen philosophischen Sprachgebrauch mit Moralitaet bzw. Ethik bezeichnet: Gemaesz Humescher Auffassung von ‚philosophieren‘ – wie ich sie aus seinen Texten entnehme – geht es genauer um die Kreation des Zwischenmenschlichen und wie es vom jeweils eigenen Innermenschlichen ermoeglicht werden kann. Metaphysisch formuliert: Wie werden aus Egoisten Altruisten? Der dazu passende christliche Terminus duerfte „Naechstenliebe“ sein.

Meine deutschen Texte sind Transpositionen der englischen. D.h. ich rekonstruiere Hume-Texte in deutsche, indem ich die englischen in einen von mir ausgewaehlten und charakterisierten Rahmen setze. Die bisher in diesem Blog veröffentlichten Texten entsprechen diesem Rahmen weitestgehend auch schon. Ich verwendete in den Texten über ’sympathisieren‘ entschiedener Termini, die meinem ‚physistisch philosophieren‘  gemaeszer sind. Wie immer bei solchen Anlaessen weise ich darauf hin, dass viele griffige Bezeichnungen von Rolf Reinhold stammen. Ich habe und hatte bisher nicht die Energie sie in vergleichbarer Qualitaet selber zu finden.

Mein Rahmen ist im Wesentlichen gepraegt

  • durch Rolf Reinholds Rahmen ‚Physistik‘,
  • durch die Annahme, dass Hume philosophierend von ‚hinsehen‘ und ‚(neuro) physiologischen Kenntnissen ausging.
  • durch mein ‚physistisch philosophieren‘
  • durch das Kriterium ‚Stimmigkeit‘.
  • durch jede einzelne Entscheidung englische Termini und Syntax in ganz bestimmter Weise entsprechend meines Gebrauchs des Deutschen zu rekonstruieren.

Dies ergibt im Ergebnis ein konsequentes Uebertragen, das triviales Uebersetzen ausschlieszt. Letzteres duerfte m.E. untauglich sein um herauszufinden, ob aeltere philosophische Texte ueberhaupt Anregungen für Loesungen von gegenwaertige Probleme geben können. Aeltere, von einem metapyhysisch geprägten Rahmen ausgehende  Hume-Uebersetzungen – wie z.B. die von Kirchmann – hindern aus meiner Sicht den Leser daran, sich Vorstellungen von der Art und Weise des Humeschen ‚philosophieren‘ machen zu können. Hinweise anderer Uebersetzer oder von Herausgebern, dass eine bestimmte Hume-Uebersetzung ’nahe am Orginal‘ sei und damit ’nah am Humeschen Gedankengut‘ halte ich fuer fragwuerdig.* Dies entspricht aus meiner Sicht lediglich der verbreiteten Gewohnheit inhaltliche Korrektheit zu behaupten, ohne den jeweils eigenen Uebersetzungsrahmen zu reflektieren. Es gibt vereinzelte Hinweise darauf, dass auch ausgewiesene Fachleute meine Sichtweise teilen.

*Wolfgang Sohst – Herausgeber einer Neuauflage der von Theodor Lipps verfassten 100Jahre alten Hume-Uebersetzung der „Abhandlung über die menschliche Natur – folgte in seinem Vorwort der Idee einer moeglichst behutsamen Modernisierung der Lippschen Uebersetzung. D.h. der Lippsche Text wurde an die neuste Rechtschreibung angepasst und einer stilistische Modernisierung unterzogen. Inhaltliche Optimierungen im Sinne eines stimmigeren Bezuges zwischen heute und gestern wurden unterlassen. Grund für diese Zurueckhaltung sei die Qualitaet  der Lippschen Uebersetzung, die eine ‚gewinnbringende Naehe zum Humeschen Gedankengut‘ aufweise. Ich vermisse Erläuterungen von Lipps über seinen Rahmen, innerhalb dessen er übersetzte. Oder ging er davon aus, dass der sich von selber versteht? (Vgl. David Hume: Traktat über die menschliche Natur. Berlin (xenomoi) 2004, S. 1.)
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