„‚Epitemik‘ soll sein „Kunde von EINSICHTEN in menschliche Begrenztheit“, erläutert Rolf Reinhold diese Bezeichnung auf seiner gleichnamigen Webseite. In diesem Sinne wende ich ‚Epistemik‘ als Charakteristikum auf Humesches ‚philosophieren‘ an.
Hume’s Kriterien für die Grenzen seines Philosophierens.
‚Ich habe die Grenzen und die Schwachstellen menschlichen Denkens ausreichend einzuschätzen gelernt,‘ ,meinte Hume (vgl. Enquiry concerning Human Understanding, VII, 24.) und bezieht dies auf die Vorstellungen gewisser Philosophen, die „den Willen und die geistige Flexibilität (Gottes) nicht nur für die höchste und letzte Ursache aller Dinge, sondern auch für die einzigste Ursache jedes einzelnen Ereignisses (halten), das sich in der Natur zeigt.“ (ebd.21) Vergleichbares dürfte heutzutage von weniger Philosophen als zu Hume’s Zeit geäußert werden. Er konnte kirchliche Autoritäten nicht ungestraft in Frage stellen und entsprechend heftig fielen Reaktionen von fundamentalistischen Theologen aus. Bei Menschen – die sich selber nicht für christlich gläubig halten – kann man heute Ausläufern und Nachwirkungen dieses Denkens begegnen.
Hume ist ein Philosoph, der nicht nur hinsieht – und ‚hinsehen‘ zu seinem philosophischen Programm rechnet (vgl. ‚Untersuchung über den menschlichen Verstand‘ I, 9) – , sondern auch hinhört. Er tut beides akribisch und er bezieht dabei alles mit ein, was ihm dazu einfällt, bzw. was er kennt oder worauf andere ihn aufmerksam gemacht haben. Im VII. Kapitel seiner ENQUIRY beschäftigt er sich mit der Frage: Was meinen Menschen – Laien und Wissenschaftler –, wenn sie Wörter wie ‚Kraft‘, ‚Macht‘ oder ‚Energie‘ verwenden, also davon ausgehen, es gäbe ’notwendige Verbindungen‘ zwischen verschiedenen Ereignissen?
Für die Humanwissenschaften – alle Wissenschaften, die sich mit Forschungen am Menschen beschäftigen – meint Hume, dazu feststellen zu können:
“ Die entscheidenden Hindernisse unserer Bemühungen um die Weiterentwicklung der humanen … Wissenschaften sind (m.E.) die ungeklärten Vorstellungen und die Mehrdeutigkeit der Wörter. … Es gibt in den humanen Wissenschaften Vorstellungen wie ‚Macht’, ‚Kraft’, ‚Energie’ oder ‚notwendige Verbindung’, … diese Vorstellungen …haben aber den Nachteil, dass sie ungeklärter und ungenauer sind, als jede andere Vorstellung. Deshalb möchte ich es in diesem Kapitel unternehmen, so genau wie möglich herauszuarbeiten, worauf diese Termini hinweisen. (Möglicherweise) kann ich so einige Unklarheiten beseitigen… „ (ebd. 2)
Eine Art philosophisches ‚Mikroskop‘ möchte er verwenden, um der Vorstellung auf die Spur zu kommen, die diese unterschiedlichen Termini bezeichnen. Hume bezieht dazu seine bereits an anderer Stelle (vgl.ebd.II.Kapitel) beschriebene und erläuterte Auffassung mit ein, dass Vorstellungen nur dann entstehen können, wenn Menschen etwas wahrgenommen bzw. sensoriert haben. Dieses Etwas bezeichnet Hume – nach meinen bisherigen Forschungen durchgängig – mit ‚impression‘.
„Finden wir also zuerst die ‚impression‘ oder ursprüngliche Empfindung, von denen diese Vorstellung herrührt. … Um … zweitens die ‚impression‘ zu überprüfen, die diese Vorstellung nachahmt.“ (ebd. 5/6)
Die Untersuchung der ’notwendigen Verbindung‘ KAUSALITÄT zwischen äußeren Ereignissen hatte für Hume bereits ergeben, dass beim Hinsehen auf die. Ereignisse, die miteinander in einem kausalen Zusammenhang sollen, keinerlei Anhaltspunkte dafür zu finden waren, dass ein bestimmtes Ereignis notwendigerweise ein bestimmtes anderes Ereignis bewirkt. Ähnliches ergibt sich nun für ihn auch für andere ’notwendige Verbindungen‘:
„Kein Ereignis enthüllt uns durch eines seiner sinnlichen Eigenschaften irgendeine Macht oder Energie. Es liefert uns keinen Grund zu vermuten, dass es irgendetwas veranlassen oder in Gang setzen könne, das wir ihm als seine Wirkung zuschreiben könnten.“ (ebd. 8)
Ob diese Aussage zutreffend sein könnte, lässt sich für jeden leicht dadurch entscheiden, sich die Frage zu beantworten, ob er in der Lage sei für ein Ereignis, das er zum ersten Mal erlebte, zutreffende Wirkungen vorauszusagen. Der australische Hume-Forscher ‚John Passmore‘ beschreibt im ersten Teil des verlinkten Videos ein imaginiertes Beispiel, um daran zu erläutern, worum es Hume hier geht.
Wenn es also offensichtlich keine äußere ‚impression‘ gibt, möglicherweise gibt es dann eine innere ‚impression‘, aus der die Vorstellung einer ’notwendigen Verbindung‘ entspringt, fährt Hume fort und knüpft an Bekanntes an, indem er die ’notwendige Verbindung‘ thematisiert, die wir glauben willentlich erzeugen zu können:
„Auf die Frage, ob Menschen über innere Macht verfügen, dürfte man die Antwort erhalten, dass wir in jedem Moment unseres Handelns von der Anwesenheit einer solchen inneren Macht überzeugt sind. Wir fühlen – sagen wir -, dass wir durch einen einfachen Befehl unseres Willens, Körperteile bewegen und unsere Gedanken lenken können. Aus eigenem, Antrieb erzeugen wir so Körperbewegungen oder erfinden neue Ideen. Weil wir uns – wie wir sagen – dessen bewusst sind, kennen wir die Wirksamkeit unseres Willens…“ (ebd. 9)
Haben wir nicht alle diese Willenskraft? Sind wir nicht alle mächtig genug, das zu tun, was wir wollen? Jemandem Willensschwäche nahe zu legen oder gar zu unterstellen, ruft in der Regel heftige Abwehr hervor. Meist helfen uns andere, die groß genug sind, um sich schwach zu bekennen, wie z.B. Hanns Dieter Hüsch: „Egal, was ich koche – am Schluss wird’s immer Gulasch. Doch ich geb’s [Kochen] nicht auf. Vielleicht gelingt mir eines Tages irgendetwas. Und wenn nicht, man kann nicht alles haben, sein und können.“, meinte er mal zum Thema. Ich habe vor Jahren darüber bloß gelacht und ein bisschen hinterher sinniert. Seit ich ‚physistisch philosophiere‘ scheint mir Hüsch’s Aussage auf ganz schlichte Weise eine alltägliche Binsenweisheit zu enthalten, die in der Geschichte der Philosophie nie ein wichtiges Thema gewesen ist, die aber den Fortschritt in den Humanwissenschaften befördern dürfte: Unser ‚Willen‘ – was immer das auch sein könnte –funktioniert nicht so, wie die philosophischen Systeme und Konzepte dies vorsehen. Das räumt auch jeder gern ein. Doch das scheint nichts daran zu ändern, dass Westeuropäer und Nordamerikaner in der Regel den Einfluss des Willens für eine Tatsache halten.
„Ich habe mehrmals, und besonders in meiner Logik darauf hingewiesen, es komme nur dann vor, dass wir etwas absichtlich tun, wenn wir es schon unabsichtlich getan haben.“ [Condillac: Abhandlung über die Empfindungen. Quellen Philosophie: Empirismus, Skeptizismus, Rationalismus, S. 10637/8 (vgl. Condill.-Empf., S. 90-91)]
Hume schildert seine Sichtweise auf die gängigen Auffassungen über den Willen so:
„Zuerst wenden ich mich der Aussage zu, dass der Wille Einfluss auf die körperlichen Organe habe. Diesen Einfluss halten wir für eine Tatsache – so wie andere Naturereignisse auch -, die wir aus Erfahrung gut kennen. Es zeigt sich aus Erfahrung, dass dieser Einfluss niemals vorhersehbar ist. Es zeigt sich keine ursächliche Energie oder Macht, die den Willen mit der Wirkung verbindet und daher eine zwangsläufige Folge des einen aus dem anderen nahe legte. Wir sind uns aber in jedem Augenblick bewusst: Die Bewegung unseres Körpers folge der Befehlsgewalt unseres Willen. Aber das wodurch dieses bewirkt wird, die Energie durch welche eine solch außergewöhnliche Leistung erbracht wird, die ist uns nicht unmittelbar zugänglich.“ (ebd. 10)
Nun erläutert er 3 Aspekte, die den Leser dazu veranlassen können, das eben von ihm Behauptete zu überprüfen und sich ein eigenes Bild zu machen.
„Erstens: Es ist üblich davon auszugehen, dass es eine Verbindung zwischen Seele und Körper gibt. Weiter wird behauptet, dass diese Verbindung einer unterstellten geistigen Substanz einen Einfluss auf Physisches dergestalt ermögliche, dass ein gewichtsloser, unsichtbarer Gedanke große Körperteile bewegen könne. … Träfe es zu, dass uns die dazu nötige Macht oder Energie bewusst wäre, dann sollten wir diese eigentlich kennen. Wir sollten auch deren Verbindung zu ihrer Wirkung kennen. Wir sollten ferner das geheime Band zwischen Seele und Körper kennen und auch die Natur dieser beiden Substanzen, von denen die eine in der Lage sein soll, auf die andere einzuwirken.“ (ebd. 11)
„ Zweitens: Wir können nicht alle Teile unseres Körpers mit dieser Macht bewegen. Denn wir können – außer durch Erfahrung feststellen – nicht begründen, wieso es auffallende Unterschiede der Wirkung dieser Macht gibt. Warum beeinflusst der Wille Zunge und Finger, nicht aber Herz und der Leber? Derartige Fragen dürften uns kaum in Verlegenheit bringen können, wenn wir wüssten, wie der Einfluss des Willens im ersten Fall sich gestaltet. Wir wüssten dann nämlich … wieso die Macht unseres Willens über die Teile unseres Körpers durch bestimmte Grenzen eingeschränkt wird. Ferner dürften wir dann darüber informiert sein, wieso sein Einfluss auf diese Grenzen beschränkt ist und nicht weiter reicht.“ (ebd. 12)
„Drittens: Von der Anatomie lernen wir, dass der direkte Gegenstand der Macht einer willentlich hervorzurufenden Bewegung, nicht das zu bewegende Glied selbst ist, sondern zuerst gewisse Muskeln, Nerven und ‚Lebensgeister’ (möglicherweise elektrische Impulse). Mit Hilfe dieser wird die Bewegung nach und nach weitergeleitet, bis sie schließlich das Körperteil erreicht, das das eigentliche Ziel unserer willentlichen Entscheidung ist. … Da will ein Mensch ein bestimmtes Ereignis auslösen. Plötzlich – und ihm unbekannt – tritt ein anderes Ereignis ein: Gänzlich verschieden von dem einen – das er anstrebte -, wird etwas anderes in Gang gesetzt. Dieses Ereignis wiederum erzeugt ein weiteres, das ihm gleichfalls unbekannt ist. Dies geschieht so oft, bis schließlich – nach einer langen Abfolge von Ereignissen – das erwünschte Ereignis geschieht. “ (ebd. 14)
So weit, so gut – und was folgt daraus?
„Wir können nur sagen: Ein Ereignis folgt dem anderen. Ereignisse treten einander begleitend auf, aber niemals scheinen sie verbunden zu sein. Und da ja gilt, dass wir keine Vorstellung von etwas haben können, was wir nicht sensorieren können, bleibt uns nur der unvermeidliche Schluss, dass alle diese Wörter – ob wir sie in wissenschaftlichen Erörterungen oder im alltäglichen Leben verwenden – völlig bedeutungslos sind.“ (ebd. 26)
„Wir stehen auch heute noch in der Tradition der geistigen Entwicklung des ganzen Abendlandes und stoßen auf ihre Strukturen, sobald wir uns grundsätzlich mit den Dingen unseres Lebens beschäftigen, …“ Werner Heisenberg: Das Naturbild der heutigen Physik, Hamburg (rororo) 1966, 36.