Kausalitaet I

Hume ueber Kausalitaet: ENQUIRY, IV, 8 ff.

Die Erinnerung an Erlebnisse bestätigt, dass Erfahrung nötig ist.

Wenn man sagt, dass die Ursachen und Wirkungen nicht durch Nachdenken, sondern nur durch Erfahrung festgestellt werden koennen, dann stimmen die Leute stets gerne zu fuer alle die Faelle, an die sie sich erinnern, wo ihnen dieser Zusammenhang vorher nicht bekannt war. … Man gebe einem Menschen, der keine Ahnung von Physik hat, zwei geglaettete Marmorplatten, die aufeinander liegen, fest miteinander zusammenhaengen und fordere ihn auf, sie voneinander zu loesen. Erst wenn er erfahren hat, dass die beiden Platten sich durch seitliches Verschieben mit weniger Kraft voneinander trennen lassen, als wenn er sie durch senkrechtes Abheben voneinander trennen moechte, wird er zwischen Bewegungsrichtung und Kraftaufwand einen Zusammenhang vermuten koennen. Bei solchen Ereignissen, die man nicht aus alltaeglichen Erlebnissen mit der Natur kennt, stimmen Menschen gern zu, dass man das nur durch Erfahrung wissen kann. Auch wird niemand behaupten, dass er die Explosionskraft eines entzuendeten Pulvers oder die Anziehungskraft eines Magneten a priori, also ohne Erfahrung nur durch Nachdenken entdecken koenne.

Ebenso wenig duerfte jemand bestreiten, dass man nur durch Erfahrung die Wirkungen einer komplizierten Maschine und das Funktionieren ihrer Teile kennen kann. Oder will moeglicherweise jemand behaupten, er wisse ohne Erfahrung, ob Milch und Brot – die fuer den Menschen taugen – ein passendes Nahrungsmittel fuer einen Baeren oder einen Tiger sein koennen?

Unsere Erfahrung veranlasst uns davon auszugehen, dass es beobachtbare Zusammenhaenge gaebe.

Diese Gewissheit aber, dass wir ohne Erfahrung keine Zusammenhaenge kennen koennen, verlaesst uns Menschen, wenn wir ueber Ereignisse reden, die wir schon von klein auf kennen, oder die natuerlichen Ereignissen aehneln oder die vermeintlich von einfachen Eigenschaften der Dinge abhaengen und nicht von irgendwelchen verborgenen Mechanismen. Da meint man nun ploetzlich, dass man den Zusammenhang durch blosses Nachdenken und ohne jede Erfahrung entdecken kann. Man tut dann so, als ob man – ploetzlich in die Welt gestellt – schon vorher wisse, dass eine Billardkugel der anderen durch Stossen seine Bewegung weitergeben koenne. Da meinen Menschen, dass man keine Erfahrung brauche, um diesen Zusammenhang schon vorhersagen zu koennen. Daraus kann man schliessen, wie stark die Macht der Gewohnheit ist. Da wo sie am staerksten ist, verbirgt sie nicht nur unsere ganz natuerliche Unkenntnis, sondern sie verbirgt auch sich selbst. …

Naturgesetze und Bewegungen sind Produkte unserer Erfahrung.

Moeglicherweise koennen die folgenden Beschreibungen ausreichen, zu erlaeutern, dass alle Naturgesetze und alle Bewegungen der Koerper ausnahmslos nur durch Erfahrung kennen gelernt werden. Wird uns zum Beispiel ein unbekannter Gegenstand gebracht, und wir sollen angeben, welche Wirkung von ihm ausgehen wird, ohne fruehere Erfahrungen zu Rate zu ziehen, so ist doch die Frage, wie soll ein Mensch dabei vorgehen, um zu einer zutreffenden Aussage zu kommen. Nun er muss sich eine moegliche Wirkung ausdenken oder sie erfinden. Klar ist dabei, dass eine derartige Aussage ganz willkuerlich sein duerfte. Menschen koennen in diesem Fall keine Wirkung am unbekannten Gegenstand entdecken, auch wenn sie ihn ganz genau untersuchen und pruefen.

Ohne Erfahrung – apriori – koennen Menschen sich keine Vorstellungen von zukünftigen Ereignissen machen.

Das duerfte daran liegen, dass Ursache und Wirkung voellig verschieden voneinander sind. Die Bewegung der zweiten Billardkugel ist ein ganz anderes Ereignis als die Bewegung der ersten. Die Bewegung der ersten Kugel enthaelt keinerlei Hinweis auf die Bewegung der zweiten. Ein Stein oder ein Metallklumpen faellt sofort, wenn ich ihn loslasse. Betrachte ich ihn aber bevor ich diese Erfahrung gemacht habe, also a priori, hat da schon jemals jemand etwas an ihm entdeckt, dass Menschen veranlassen koennte, sich eine Vorstellung davon zu machen, dass er nach unten fallen duerfte, anstatt nach oben oder zur Seite?

Der Zusammenhang  zwischen zwei Ereignissen wird apriorisch beliebig  gesetzt.

So willkuerlich, wie jede Idee oder Erfindung einer bestimmten Wirkung eines singulaeren oder erstmaligen Naturereignisses ohne Erfahrung ist, so willkuerlich scheint mir auch das behauptete Band oder die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung, welche es angeblich moeglich machen soll, vorauszusagen, dass nur eine ganz bestimmte Wirkung von einer Ursache ausgehen kann. Wenn ich z.B. sehe, wie eine Billardkugel auf eine andere zurollt, kann ich mir zwar vorstellen, dass die andere sich gleich bewegen wird und dass diese Bewegung eine Folge dessen ist, dass die erste sie beruehrt bzw. sie anstoesst. Aber kann ich mir nicht genauso gut 100 andere Wirkungen vorstellen? Moeglicherweise, dass die Kugeln still liegen bleiben? Oder das die erste nach dem Stoss zurueckrollt oder in irgendeine andere Richtung wegspringt? Alle diese Annahmen sind moeglich und denkbar. Wie soll ich mich im Vorwege entscheiden? Welche von den vielen Moeglichkeiten duerfte eintreten? Alle Gruende, die ich mir denke, geben mir a priori keinen Anhaltspunkt fuer meine Entscheidung.

Kurz gesagt: die Wirkung ist von ihrer Ursache verschieden, deshalb kann ich die Wirkung nicht in der Ursache finden. D.h. jede Idee und jede Erfindung einer moeglichen Wirkung duerfte voellig willkuerlich bleiben. Und selbst dann, wenn ich die Wirkung einer bestimmten Ursache kenne, bleibt die Verbindung mit der Ursache genauso willkuerlich, weil es denkbar und vorstellbar ist, dass es viele andere Wirkungen gibt. Meint man also, dass man ein Ereignis ohne Hinsehen und Erfahrung im Voraus bestimmen oder Ursache und Wirkung schlussfolgern koenne, so entbehrt dies jeder Grundlage.

Menschen können schlussfolgern,  Ereignismuster bilden, aber keine Letztbegründungen finden.

Diese Sachverhalte verwehren es einem nachdenklichen Philosophen, dem die Grenzen seines Denkens bekannt sind, zu behaupten, er koenne die letzte Ursache irgendeines Naturereignisses bezeichnen oder die exakte Wirkung demonstrieren, die infolge der Ursache geschieht, die jedes Ereignis im Universum herstellt. Die hoechste Leistung, die wir denkend dabei erbringen koennen, ist durch Schlussfolgerungen aus Analogie, Erfahrung und Hinsehen die Menge der Ereignismuster, die wir an den Naturphaenomenen feststellen, auf einige einfache zu reduzieren und die vielen einzelnen Wirkungen auf einige wenige allgemeine Ursachen zu beziehen. Die Ursachen dieser allgemeinen Ursachen entdecken zu wollen, scheint mir ein vergebliches Unterfangen, ausserdem duerften wir wohl kaum Erklaerungen finden, die uns wirklich zufrieden stellen duerften. Diese letzten Anfaenge und Prinzipien duerften unserem Forscherdrang und unseren Forschungen nicht zugaenglich sein.

Humes menschliche Dimensionen der Epistemik I


Hume, Descartes und RRRR

Immer wieder kann man bei der Lektuere Humes von ‚Grenzen‘ lesen.
‘Ich habe die Grenzen und die Schwachstellen menschlichen Denkens ausreichend einzuschaetzen gelernt’ ,meinte Hume (vgl. Enquiry concerning Human Understanding, VII, 24.)

‚Ausreichend‘ koennte ein Indiz dafuer sein, dass Grenzen menschlichen Denkens nicht leicht zu akzeptieren sind. Schon ein Blick in die neuzeitliche Geschichte auf Descartes kann belegen, – was auch Hume erwaehnte – dass Philosophen dazu neigen, davon auszugehen, dem menschlichen Denken seien keine Grenzen gesetzt.

Descartes stellte fest – nachdem er erst einmal alles in Zweifel gezogen hatte,

dass mit klaren und eindeutig bestimmbaren Ideen, alles, was von wissenschaftlichem Interesse ist, in den Griff zu bringen sei. Diese Ideen seien durch die Gewissheit des eigenen Geistes und der Vollkommenheit Gottes angemessene Instrumente fuer die Objektivitaet unseres Wissens.

Denn da sich nun ergeben hat, dass selbst Gegenstaende und Ereignisse nicht wirklich von den Sinnen oder von dem Vorstellen, sondern ausschliesslich vom Verstande erkannt werden, und dass diese Erkenntnis nicht auf dem Fuehlen oder Sehen derselben beruht, sondern darauf, dass der Verstand sie auffasst, so erkenne ich klar, dass nichts leichter und sicherer von mir erkannt werden kann als mein Geist.“

http://www.zeno.org/Philosophie/M/Descartes,+René/Untersuchungen+ueber+die+Grundlagen+der+Philosophie/2.+Ueber+die+Natur+der+menschlichen+Seele,+und+dass+sie+uns+bekannter+ist+als+ihr+Koerper René Descartes‘ philosophische Werke. Abteilung 2, Berlin 1870, S. 39.

Rationale Menschen denken rational.

‚Ratio‘ ist eigentlich das Ergebnis einer Berechnung. Philosophisch haben professionelle Denker diese Rechnerei als ‚Vernunft‘ gekuert. In dem Wort „rationieren“, im Sinne von da wird etwas eingeteilt, weil dieses Etwas eventuell knapp bemessen ist, kommt ein weiterer Aspekt zum Ausdruck. Augustin Thagaste hat diese Rechnerei zur Grundfunktion des Geistes gemacht, die ihn – wie einst Prometheus an die kaukasischen Felsen geschmiedet – zum vernuenftig denken bestimme, wenn er denn nur moechte und hat dies fuer den sichersten Weg zu Gott gehalten. Descartes denkt aehnlich. Er moechte denkend die ganze Welt fassen, und schafft sich einen Gott der ihm gleich ist, nur eben voellig vollkommen. Und damit die relative Vollkommenheit des Denkens in Einklang mit der Vollkommenheit des Denkens Gottes ist, wird die Funktion der Physis als voellig unwichtig abgetan. Mittelalterliche Askese assoziiere ich und die Anekdote, dass Papst Benediktus der Deutsche als junger Professor in Tuebingen zu einer Studentin gesagt haben soll: ‚Ach wissen Sie, wir Kleriker sind ja vom Hals abwaerts empfindungslos.‘

„Da ich nun ein denkendes Ding bin, das eine Vorstellung von Gott hat, so muss auch von meiner Ursache, welche sie auch sei, gelten, dass sie ein denkendes Ding ist, und dass sie eine Vorstellung von allen Vollkommenheiten hat, die ich Gott zuerkenne, und man kann von dieser Ursache wieder fragen, ob sie von sich oder einem Anderen herruehrt. Wenn sie vollkommen ist, so erhellt aus dem Obigen, dass sie Gott selbst ist, denn hat sie die Kraft, durch sich zu | sein, so hat sie unzweifelhaft auch die Kraft, in Wirklichkeit alle Vollkommenheiten zu besitzen, deren Vorstellung sie in sich hat, d.h. alle die, welche ich als in Gott enthalten vorstelle.

http://www.zeno.org/Philosophie/M/Descartes,+René/Untersuchungen+ueber+die+Grundlagen+der+Philosophie/3.+Ueber+Gott,+und+dass+er+ist
Rene Descartes: Philosophische Untersuchungen I 03. Ueber Gott, und dass er istRené Descartes‘ philosophische Werke. Abteilung 2, Berlin 1870, S. 66|7.

So rechnete Descartes sich Gott aus:

Ich bin ein denkend Ding – also ist Gott ein denkend Ding.
Ich kann mir Gott nur vollkommen denken – also ist Gott vollkommen und zwar so vollkommen, vollkommener geht es gar nicht, ergo gibt es nach Gott nichts mehr! Alles, was ich mir denke, ist auch in Gott enthalten.

Eine Milchmaedchenrechnung ist das in meinen Augen. Sie verraet allzu leicht die Absicht ihres Urhebers und bei mir verstimmt sich da was, so als haette ein kalter Luftzug meinen Nacken beruehrt, sodass ich mich spontan umdrehe, um zu sehen was da sein koennte.

Pluralog

Doch der Schrecken kommt aus meinen Eingeweiden, die erschrecken darueber, dass nur noch der Kopf und sie nichts mehr mit meinem Leben zu tun haben koennten. Das geht doch gar nicht!, schreien einige 1000 Neuronen laut. Ohne Input kein Output, das weiss doch jeder spaetestens seit dieser inputversessene Roboter einen amerikanischen Pass bekommen hat.

Wie kommt es, dass Menschen nicht merken, was sie sich antun, wenn sie selbst glauben, sie seien ein „denkend Ding“.
Da ist nur Kant dran schuld, der hat doch die Vernunft zum Primaten gemachte, ruepelt meine Leber und laeuft gruen an.
Aber das kann doch fuer Descartes nicht zutreffen, der hat doch 300 Jahre frueher philosophiert, gibt mein vorderer Stirnlappen zu bedenken.
Dann eben die Kirche, meint mein rechtes Ohr.
Auch in der Kirche sind doch Menschen, faellt meinem linken Knie ein.
Mein Bauch sagt: Denkt doch an die RRRR-Erklaerung.
Das hast Dir doch gerade ausgedacht, piepst meine Zirbeldruese.
RRRR – rollt meine Nase vor sich hin. Ich glaube, ich kann’s schon riechen.
Die RolfReinholdRichardRorty Erklaerung.
Die beiden Typen kenn ich, schmatzt die Zunge.

Keinen Hut auf, aber davon reden

Nun komme ich und sage: Seid mal alle still, so kann ich doch nicht denken. Protestgeschrei wird laut: Wir denken doch alle mit. Ja, das mag schon sein, aber ihr seid zu laut. Wie soll ich da alles unter einen Hut kriegen. Die Haare wispern: Die hat gar keinen Hut auf. Alles Metaphorik, raunen meine Stimmbaender, die wir inszenieren.

RRRR

Also, was ist das nun mit der RRRR-Erklaerung? fragen die Fuesse, wir muessen das alles wieder ausbaden.
Die RRRR-Erklaerung ist ganz einfach: Alles, was Menschen tun, ist kontingent.
Oder wie Rolf Reinhold sagt: Niemand macht freiwillig Fehler.
Das kann man wenigstens kapieren, schnurrt meine Bauchspeicheldruese.
Ich mache auch immer nur das, was gerade dran ist. Und wenn die anderen nicht richtig funktionieren, bin ich auch dysfunktional.

Man koennte auch sagen, melde ich mich wieder, Menschen sehen ihre Grenzen nicht, weil sie Grenzen haben. Das sind aber zwei Arten von Grenzen. Die letzteren sind die kontingenten, die dadurch entstehen, dass jeder alles so machen moechte, wie die anderen es machen. Weil Menschen es moegen, wenn andere sie akzeptieren. Und die anderen sind Grenzen, die man entdeckt, wenn man die Dinge so macht, wie man sie selbst machen moechte.

Dass Du Grenzen hast, siehst Du? fragen die Amygdalaes.
Ich glaub schon.

Hume: „Ich möchte Erfahrbares und Erforschbares studieren!“

Dass es sich lohnen duerfte, Hume zu revisitieren, koennte auch folgendes Resuemee des 22jaehrigen Philosophen nahe legen.

„Ich habe herausgefunden, dass die Philosophie ueber menschliches Handeln seit der Antike mit derselben Unzulaenglichkeit arbeitet wie die Naturwissenschaften. Beide gehen m.E. ausschließlich von Hypothesen, d.h. ueberwiegend von Erfindungen aus, anstatt sich auf Erfahrbares und Erforschbares zu beziehen. Jeder Philosoph bemueht seine Fantasie und errichtet Chimaeren inner- und zwischenmenschlicher Tugenden (Idealitaeten) und erfuellender Lebenskonzepte, ohne die menschliche Natur mit einzubeziehen, von der – aus meiner Sicht – jede philosophische Schlussfolgerung ueber gesellschaftsweit praktizierte Mitmenschlichkeit ausgehen muesste.

Deshalb moechte ich vor allem Erfahrbares und Erforschbares studieren und dieses als Quelle von Kenntnissen sowohl fuer aesthetische wie fuer humane Wissenschaften verwenden. Ich halte es inzwischen fuer eine Tatsache, dass die meisten verstorbenen Philosophen Opfer ihrer eigenen ueberragenden geistigen Faehigkeiten geworden sind.

Außerdem bin ich sicher, dass man nicht viel mehr tun muss, um zu verwertbaren Ergebnissen zu kommen, als alle diese alten Vorurteile zugunsten der eigenen Meinung oder der anderer wegzuwerfen. Davon duerfte es letztlich abhaengen, ob meine Schlussfolgerungen fuer zutreffend gehalten werden oder nicht. Innerhalb der letzten drei Jahre habe ich meine Schlussfolgerungen in einem Ausmaß vervielfacht, dass ich damit viele Stapel Papier mit Notizen fuellen konnte, die nichts weiter als meine eigenen Erfindungen enthalten.“

Diese Notizen bildeten die schriftliche Grundlage fuer Humes „Treatise Of Human Nature“.

(David Hume: Brief an einen Arzt. Edinburgh 1734. Abgedruckt in John Hill Burton: Life and Correspondance of David Hume. Edinburgh 1846. Band I. S. 30 – 39. Die Veroeffentlichung ist als PDF im Widget „Ueber Hume“ verlinkt und komplett downladbar bei Google-Buch.)

Revisit Hume

Die Idee dazu ist kaum ein Jahr alt. Es ergab sich mit anderen die Gelegenheit im Netz zu einem Hume-Diskurs. Mir fiel – im Unterschied zu den anderen Beteiligten – die Lektuere der ENQUIRY CONCERNING HUMAN UNDERSTANDING – von mir inzwischen als UNTERSUCHUNG UEBER MENSCHLICHES DENKEN transponiert – leicht und ich konnte Hume’s Darstellungen nachvollziehen und mir konkrete Vorstellungen darueber machen, wovon er jeweils sprach.

Dies war vor vielen Jahren anders gewesen. Meine erste Lektuere Humes war schnell beendet gewesen. Ich konnte mit Hume nichts anfangen: Das soll Philosophie sein? Philosophie war fuer mich damals etwas bei dem Menschen von Introspektion ausgehen, apriorische Schlussfolgerungen ziehen und diese Ergebnisse auf ihr Handeln und Denken anwenden. Auf diese Weise war ich meine eigene Schulmeisterin geworden und disziplinierte mein Leben im Kontext traditionellen Philosophierens. Fuer Neigungen, Affekte – die laut Hume eine zentrale Rolle in der menschlichen Natur spielten – und für Alltägliches und Situatives  war in meinem rationalistischen und dogmatischen Philosophieren kein Raum. So was hat jeder Mensch, darueber philosophiert man nicht.

Was ich damals noch nicht ahnte, im Laufe der Zeit hat sich Metaphysik … in Luft aufgeloest. Fuer mein alltaegliches Handeln und Denken erwies sie sich zunehmend als untauglich. Mein dogmatisch gepraegtes Reflektieren schraenkte mich ein. Fuer mich mussten die Dinge in bestimmter Weise sein, ich musste in bestimmter Weise handeln und denken und das reduzierte mein Entscheiden. Die Sackgassen meines Handelns und Denkens vermehrten sich bedrohlich. Andere dachten und handelten auf ihre Weise.

Mit ‚physistisch philosophieren‘ – das sich Rolf Reinhold forschend selber erarbeitet hat – kam frische Luft in meinen engen Auffassungen und neue Moeglichkeiten zu handeln. Ich lernte dogmatische Sichten in Frage zustellen und sie schließlich fallen zu lassen. Als ich dann vor knapp einem Jahr mit der neuerlichen Lektuere Hume’s begann, kam mir eine aehnlich frische Luft entgegen und sie evozierte moegliche Zusammenhaenge zu ‚physistisch philosophieren‘.

Daraus entstand das Projekt, Hume zu revisitieren. Im Moment arbeite ich daran – sofern ich Energie neben meinem Beruf finde – die ENQUIRY unter meiner neuen Sichtweise physistisch zu transponieren. In diesem Blog veroeffentliche ich Ausschnitte aus meinen Transpositionen und erste Resuemees dieser Arbeit.

Rolf Reinholds Philosophie

Rolf Reinhold ist Philosoph und Berater. Seine Beratungskonzepte sind sehr ungewoehnlich und auch für mich waren und sind sie noch immer wieder gewoehnungsbeduerftig. Menschen juengerer Generationen als die meine duerften dazu leichter Zugang finden können. Die Beratungskonzepte sind hocheffizient, wie ich erlebe. Ich habe mich vor Jahren darauf eingelassen, indem ich meinen ‚impressions‘ folgte, die mir nahe legten, dass seine Konzepte halten könnten, was sie versprachen.

„Jeder Mensch, der lernt, sich ausnahmslos an den eigenen Werten zu orientieren, wird zwar auf neue und andere Arten von Widerstand stoszen, aber seine Lebensqualitaet betraechtlich erhoehen. Unsere Hauptaktivität ist ERMOEGLICHEN: indem wir Ihnen die Wirkung menschlicher Gewohnheiten im Denken, Handeln und Verhalten deutlich machen, koennen Sie frei darüber entscheiden, WIE Sie ‚generell handeln‘ wollen.“ Eingangsseite

“ Ich halte die Orientierung des Handelns an individuellen Werten und Empfindungen für die allerwichtigste und grundlegende  menschliche Qualitaet. … Philosophen, die so wie ich denken, stellen gegensaetzliche Charakteristica plastisch nebeneinander und lassen menschliche Qualitaeten des Handelns erstrebenswert und lebenswert erscheinen. Sie lenken unsere Schritte auf diesem Weg mit gruendlichst erwogenen, lebenspraktischen Hinweisen und anschaulichsten Beispielen. Sie lassen uns den Unterschied zwischen Defiziten und Qualitaeten unseres Handelns merken.“ (Hume: Untersuchung über menschliches Denken I,1. ENQUIRY CONCERNING HUMAN UNDERSTANDIGN I,1)
Hinter diesen Konzepten stehen die Resuemees und Reflexionen von ‚physisitisch philosophieren‘, die die lebenslange Forschungsarbeit Rolf Reinholds hervorgebracht hat.

Empfehlungen für philosophische Zugaenge zu Rolf Reinholds umfangreicher Webseite:

Eigenstaendig Philosophieren

Zwei Jahre nach dem Erscheinen der ersten beiden Baende der Abhandlung Ueber die menschliche natur schrieb Hume 1740: Die Philosophie, fuer die „…ich hier eintrete, scheint mir derartig faszinierend Neues zu beschreiben, sodass …[sie] die Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit verdient.“*

*Im Vorwort der ZUSAMMENFASSUNG UEBER EIN KUERZLICH ERSCHIENENES BUCH mit dem Titel ABHANDLUNG UEBER DIE MENSCHLICHE NATUR, 1741.

Die Aufmerksamkeit blieb damals aus. Hume entschloss sich – anonym – Werbung in eigener Sache mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Gedanken der ABHANDLUNG zu machen, „um die Leserschaft zu vergroeßern“ (ebd.) Die Kritik christlich-religioeser Fundamentalisten war die einzige Antwort, aber sie war fuer den von Hume gewuenschten philosophischen Diskurs untauglich. Sie hat Hume Schaden zugefuegt.  Hume resuemiert: “ Ich werde mich damit begnuegen muessen, eine Zeitlang geduldig darauf zu warten, bis die Meinung der gelehrten Welt diesen Darlegungen wird zustimmen koennen.“ (ebd.) Eine breite Zustimmung zu den Hume’schen Darlegungen ist bis heute ausgeblieben. Acht Jahre spaeter in der ENQUIRY  CONCERNING HUMAN UNDERSTANDING erwaehnt er das Schweigen auf die Veroeffentlichung seiner Philosophie als moegliche Folge seines jahrelangen und weltabgeschiedenen Forschens in seiner eigenen „inneren Fabrik“. Ueber diese energieverbrauchende und zeitlich ausgedehnte Arbeit, habe er wohl vergessen, dass er ein soziales Wesen sei*, bzw. Beschraenkungen durch andere akzeptieren muesse,  koennte man aus seinen Darlegungen schließen.

*Vgl. UNTERSUCHUNGEN UEBER MENSCHLICHES DENKEN I,7. Ueblicherweise heißt der deutsche Titel Untersuchung ueber den menschlichen Verstand. Weil ‚VERSTAND‘ aber metaphysische Mitbedeutungen assoziiert, die m.E. nicht zum Hume’schen Philosophieren passen und deshalb auch den Zugang dazu mindestens erschweren, habe ich ihn veraendert. Ich werde dazu noch spaeter Naeheres erlaeutern.

Der wissenschaftlichen Welt seiner Zeit und ihren aufgeklaerten Buergern scheint entgangen zu sein, welche reiche Moeglichkeiten des Philosophierens Hume’s Veroeffentlichungen boten.


Habe Mut,

Dich ohne fremde Leitung Deines eigenen Denkens zu bedienen.

Hume ging davon aus, dass seine Philosophie jedem Menschen eigenstaendige Antworten wuerde ermoeglichen koennen, was dem aufgeklaerten Ideal seiner Zeit „handeln und denken ohne Bevormundung durch Autoritaeten“ entsprach. „Derartige gewagte Versuche, wie dieses Buch sie unternommen hat,“, so faehrt er in der ZUSAMMENFASSUNG fort, „scheinen mir in jedem Fall von Vorteil fuer die weltweite Wissenschaftsgemeinschaft, denn sie schuetteln das Joch der Autoritaeten ab und koennen Menschen daran gewoehnen eigenstaendig zu denken. Sie geben Anregungen, die bereits eigenstaendig denkende Menschen produktiv weiter verfolgen koennen und fordern zum Widerspruch heraus, weil sie Sachverhalte erlaeutern, deren implizite Irrtuemer bisher noch niemand aufgefallen sind.“ (Im Vorwort der Zusammenfassung.)

Mit diesem Ansatz Anleitung und Anregung zum eigenstaendigen Handeln und Denken geben zu wollen, unterscheidet sich Hume’s Philosophie deutlich von metaphysischen Philosophien, weshalb in ihr m.E.– abgesehen von gleichen Lautzeichenfolgen* – keine Beruehrungspunkte mit diesen zu finden sind. Seine Empirie entspricht nicht der Empirie wie Metaphysiker bzw. Philosophen des Geistes, der Sprache oder Materialisten sie fassen. Er hat weder eine neue Erkenntnistheorie, noch eine neue Kausalitaetstheorie entwickelt. Seinen vielfaeltigen Beschreibungen sind derartige Konstrukte m.E. nur zu unterstellen, wenn man vieles ueberliest.

*“Lautzeichenfolge“ steht für Wort.


ASPEKTUALISIEREN

Seine experimentelle Methode des Philosophierens geht vom Prinzip des ASPEKTUALISIEREN aus. D.h. er geht um die Dinge herum, die er zum Thema macht. Betrachtet sie von allen Zeiten, beschreibt, was er sieht und ueberlaesst es dem jeweiligen Leser, zu pruefen und eigenes zu schlussfolgern. Dies scheint Hume-Forscher zu irritieren. Es wird nach eindeutigen, klar definierten Auffassungen Hume’s geforscht. Es werden ihm Unterlassungen, Widerspruechlichkeiten und Banalitaeten unterstellt.

So wird z.B. zu Humes Beschreibungen, wie Erfahrungen und Gewohnheit unser Denken ueber die Welt bestimmen, kommentiert: „… die Entstehung unserer Meinungen ueber die Welt richtig zu erklaeren, heißt nicht, einen Beleg dafuer zu liefern, dass unsere Meinungen ueber die Welt auch richtig sind.“ *

*Jens Kuhlenkampff: David Hume. Muenchen 1989, S. 71.

Hume erlaeuterte dazu: Wenn ich die menschliche Neigung, eine Vielzahl aehnlicher aufeinanderfolgender Ereignisse als Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufzufassen, mit Gewohnheit bezeichne, “ … bedeutet dies nur, dass ich ein Wort verwende, ohne damit eine letzte unhintergehbare Begruendung zu liefern. Ich weise lediglich auf ein Muster menschlichen Verhaltens hin, dass allgemein anerkannt wird und das mir in seinen Auswirkungen wohl vertraut ist.“ * Und er fuegte hinzu: ‚Eventuell wird es uns eines Tages moeglich sein, mehr darueber herauszufinden.*

*Hume: UNTERSUCHUNG ÜBER MENSCHLICHES DENKEN V,5.


KAPIERBARes Philosophieren

Hume wollte Menschliches kapierbar darstellen. Dabei dachte er an einen eigenstaendig denkenden und handelnden Leser oder zumindest an einen, der dies sein moechte. Diesen moechte er mit von ihm entdeckten Hinweisen – anstatt mit Wahrheiten – darin unterstuetzen, eigene Antworten auf Fragen zu finden. Dabei zu behaupten, das eine waere ‚richtig‘ und das andere ‚falsch‘ koennte im Kontext Hume’scher Philosophie bedeuten in voraufklaererische Denkweisen zurueckzufallen. Hume hat meiner Meinung nach fuer sich aus seinen Beobachtungen Schlussfolgerungen gezogen – die er fuer zutreffend hielt – und die er anderen diskursiv zur Verfuegung stellte.

Aufklärung

 

 

Sachgemäßer Gebrauch menschlicher Physis

Es entspricht einem von Vertretern unterschiedlichster Wissenschaften komponierten Bild unserer europäischen Geschichte, bestimmte Jahrhunderte als aufgeklärt zu bezeichnen und andere nicht. Von Kant stammte für die deutsche Sicht auf die Zeit der Aufklärung die bekannte Aufforderung an seine zeitgenössischen Wissenschaftskollegen: „Habe Mut Dich Deines Verstandes zu bedienen!“ Im Kontext erläuterte er dazu: Der Mensch solle sich aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien. Selbstverschuldet sei diese dann, wenn Menschen nicht den Mut fänden, ohne Leitung durch fremde Autoritäten eigenständig zu denken (Vgl. Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Erstdruck in: Berlinische Monatsschrift, Dezember 1784, S. 481-494. In der elektronischen Edition des Bonner Kant Korpus unter http://www.korpora.org/Kant/aa08/035.html) Möglicherweise dachte er dabei daran, welchen Mut er aufbringen musste, um in Anwesenheit von preußischen Sicherheitsbeamten öffentlich seine Sichten über Gott und die Welt vorzutragen, die gemäß oberster Anordnung darauf zu achten hatten, dass niemand in Preußen christliche Auffassungen in Frage stellte.

Eventuell aber hatte er dabei noch mehr im Blick, wie entmutigend auf ihn die erzwungene Übernahme fremden Denkens und Handelns als Kind, Schüler und Student gewirkt hatte und wie schwer es ihm schließlich gefallen war, eigene Wege zu finden. „Es ist … für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat  sie sogar lieb gewonnen und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon  machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalsten Graben einen nur unsicheren Sprung thun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher giebt es nur Wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit heraus zu wickeln und dennoch einen sicheren Gang zu thun. “ (http://www.korpora.org/Kant/aa08/036.html)

 

 

Dialog

Schlussfolgerungen aus meiner diskontinuierlichen und schwierigen Entwicklung zu einem ‚mutigen‘ Selberdenken lassen mich vermuten, dass die konkreten Veränderungen in den mit ‚Aufklärung‘ bezeichneten Jahrhunderten Vorläufer gehabt haben dürften, die weit davor zu finden sein könnten.

Es stellt sich außerdem die Frage, im Hinblick worauf ein Mensch den eigenständigen Gebrauch seines Verstandes ausübt und optimiert, wenn er eigene Wege gehen möchte und welches der Rahmen dafür sein könnte, wenn Eigenes gefunden und gedacht werden möchte.

Erste Hinweise zu einer Antwort, hatte ich schon als junges Mädchen beim platonischen Sokrates gefunden. Zum einen faszinierten mich die Dialoge. Seine Fragen stellten andere vor Fragen, die diese sich ohne ihn möglicherweise nicht gestellt haben dürften. Zum zweiten faszinierte mich, dass er konsequent seinen eigenen Entscheidungen und Werten folgte, auch wenn sie ihm Nachteile einbrachten. Und drittens gefiel mir, dass er nicht vorgab, über etwas Bescheid zu wissen, was er nicht kannte.

Dialog, eigenes Entscheiden und Orientieren an eigenen Kenntnissen waren dann die Aktivitäten und Ideale, denen ich in den Jahrzehnten bis heute folge. Es hat mich viel Zeit und Energie gekostet, herauszufinden, was an ‚metaphysischen Erkenntnissen‘ dran sei, die ich im Anschluss an meine Faszination für den platonischen Sokrates, bei Platon und Augustinus, bei Descartes, Pascal und Kant interessiert erkundete. Dies geschah über viele Jahre gemeinsam im Dialog über die metaphysischen und erkenntnistheoretischen Forschungen meines ersten Philosophieprofessors, im Laufe dessen sich eine freundschaftliche Verbindung entwickelte. Eigenständige Forschungen auf diesem Gebiet – zu denen er mich herausforderte – haben mich schlussfolgern lassen, dass an Kenntnissen auf dem Gebiet der Metaphysik und der Erkenntnistheorie im Hinblick auf Vernunft, Geist, Wahrheit, Seele … für mich nichts zu finden war. Letzteres wurde mir erst nach und nach klar, indem andere mich fragten und ich mich in Gesprächen in Frage stellen ließ. Rolf Reinhold schoss in dieser Hinsicht den Vogel ab, indem er für mich überzeugend meinte: „Ich weiß nicht, was Geist ist!“ Meine Behauptung, ich könne ihm das erklären, ließ sich falsifizieren.

So entwickelte sich ein weiterer wichtiger Dialog in meinem Leben, der mit einem Experiment für mich begann. Dieses Experiment möchte ich heute als „Aufklärung“ bezeichnen. Es ermöglichte mir und ermöglicht es noch eigenen Entscheidungen und Werten zu folgen und mich an meinen eigenen Kenntnissen zu orientieren.

 

Orientierung an Kenntnissen

David Hume’s Kenntnisse über Grundlagen und Funktionsweisen menschlichen Denkens und Handelns – kurz zusammengefasst seine Kenntnisse über die menschliche Natur – die ich hier ausschnittweise veröffentliche, sind in den letzten Monaten zu einem weiteren faszinierenden Gegenstand geworden, bei deren Erforschung ich mir weitere Anregung für mein Selberdenken und Entscheiden erhoffe. Als ich noch damit beschäftigt war, ‚metaphysische Erkenntnisse‘ zum Bezugsrahmen meines eigenen Denkens zu machen, konnte ich mit Hume wenig anfangen. Ein Schicksal das auch heute noch viele Hume-Interpretatoren auf ihre je eigene Weise erleiden.

Im Unterschied zu früher verzichte ich auf ‚Erkenntnisse‘ und beziehe mich auf Kenntnisse. ‚Kenntnisse‘ waren auch für die bekanntesten schottischen Aufklärer Locke und Hume Ausgangspunkt für ihren Wunsch, philosophie-wissenschaftliche Verbesserungen zu erreichen, die dem einzelnen und der Gesellschaft Anleitungen zu einem lebenswerten Leben liefern könnten. Sie taten dies im Gespräch untereinander mit Naturwissenschaftlern, insbesondere Medizinern.

Die Ideen zu neuen Konzepten über die menschliche Natur waren schon seit längerem im Umlauf. Allerdings wurde der Zugriff auf sie erschwert, weil die ‚Natur des Menschen‘ durch die christlich-theologische Philosophie mit konträren metaphysischen Denkfiguren und intelligiblen Erkenntnissen gläubig erklärt war. Diese Erklärungen wurden als Wissen gehandelt, von Laien gläubig übernommen und umgesetzt.  Diese Tradition konnte man kritisieren, aber man konnte sie nicht einfach aushebeln. Jeder dieser Aufklärer brauchte angesichts dieser starken Übermacht Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und eigene Sichten auf anderer Grundlage zu publizieren.

Philosophische Aufklärer

‚Alles, was Menschen je über Menschen gedacht und geschrieben hatten, führe zu ähnlichen Aussagen über den Menschen,‘ meinte der Italiener  Pico della Mirandola (1463-94). Sein in diesem Sinne projektierter „Weltfriedenskongress“  fand nicht statt. Die von ihm dazu vorbereiteten Thesen wurden von der römischen Kurie als häretisch abgelehnt und er starb im Gefolge kirchlicher Feindseligkeiten vor dem Jahr 1497, in dem sein „Weltfriedenskongress“ in Rom stattfinden sollte. Seine Schriften wurden posthum europaweit verbreitet.

Neben den primär literarisch-wissenschaftlich begründeten Idealen des Pico della Mirandola und anderer italienischer Humanisten wie Ficino und Sayonarola waren schon früher im Norden Europas sensoristisch orientierte und so philosophisch-wissenschaftlich grundlegend andere Sichten entwickelt und wirksam geworden.

Roger Bacon (1214-92/4), ein englischer Franziskaner, meinte – für seine Zeit ketzerisch aufklärend – ‚ohne sinnliche Erfahrung taugt die bestbegründetste Theorie nichts‘ (vgl. das von Google-Buch und dem Verlag Kessinger Pub. Co. zur Verfügung gestellte OPUS MAJUS  C-583.)

Sein jüngerer schottischer Zeitgenosse Johannes Duns Scotus (1266-1308) äußerte laut die Überzeugung, dass Philosophen davon ausgehen sollten, dass alles, was Wissenschaften für Aussagen über den Menschen notwendigerweise brauchen, sich aus ganz natürlichen Ursachen ergäbe (Vgl. die von Google-Buch und dem Felix-Meiner-Verlag zur Verfügung gestellte deutsch-lateinische Ausgabe ‚Über die Erkennbarkeit Gottes‘, Prolog Quaestio 1,4) . Philosophen könnten auf „geistig-geistliche Wahrheitserkenntnisse“ verzichten, wie sie die augustinische und aquinatische Wissenschaftstradition für möglich und unerlässlich hielt.

Wilhelm von Ockham (1285-1347) – politisch aktiv und philosophisch allen Autoritäten widersprechend – hielt Theorien für Produkte von ‚impressions‘ und Ideen für Konzepte des Wahrnehmens bzw. des Sensorierens. Ockham bestritt jede kirchliche Autorität für weltliche Angelegenheiten und insbesondere für die Wissenschaften. (vgl. u.a. die bei Google-Buch zur Verfügung gestellten Titel: Henry Hart Milman: The History of Latin Christianity. Bd.VI, London 1855, S. 473. Jan P. Beckham: Wilhelm von Ockham. München, Becksche Verlagsbuchhandlung, 1995, S. 57.) W

Mit Bacon, Scotus und Ockham begann in England eine im Ansatz ametaphysische und sensoristische philosophische Tradition, zu der sich später auch der schottische Aufklärer David Hume gesellte. (Vgl. z.B. den von Google-Buch und dem Bibliobazaar-Verlag 2009  zur Verfügung gestellten Titel James Seth (Edinburgh): English Philosophers and Schools of Philosophy., S. 11 u.a.)

Die mit Bezeichnungen wie  ‚Geist‘ , ‚Vernunft‘ , ‚Intelligibilität‘ operierende scholastisch-kirchliche, philosophische Wissenschaftsautorität wurde im Zuge dieses ansatzweise ‚physistisch philosophieren‘  grundsätzlich abgelehnt.

Kant – einer der letzten Aufklärer – hat sich mit dem aus meiner Sicht unproduktiven Spagat seiner Transzendentalphilosophie zwischen diesen beiden unterschiedlichen Ursprüngen des Philosophierens für den Primat der ‚ Vernunft‘ und damit möglicherweise für die alte, scholastische Metaphysik entschieden. Ein Umstand, der eventuell mit dazu beigetragen hat, dass gegenwärtige Philosophen – kaum merklich, aber wirksam  – in (mittel)alte(rliche)n  ontologischen Denkfiguren stecken. Diese verwehren es ihnen – neben anderem – mehrheitlich,  sensoristischen philosophischen Ansätzen nachgehen und diese im Diskurs philosophisch-wissenschaftlich nutzbar machen zu können.  Philosophierende Naturwissenschaftler sprangen bisher in die Lücken.

Skepsis 1

Hume sah sich mit der ersten Veröffentlichung seiner ABHANDLUNG ÜBER DIE MENSCHLICHE NATUR den Anfeindungen der christlichen Fundamentalisten – Hume nannte sie biblisch ‚Zeloten‘ – ausgesetzt. Diese Anfeindungen begleiteten ihn sein ganzes Leben und verhinderten eine akademische Laufbahn, die er sich gewünscht hatte. Im Folgenden aus dem XII. Abschnitt seiner ENQUIRY grenzte er sich von der klerikal-philosophischen Sicht auf Skeptiker ab und skizzierte seine eigene Skepsis.

„Der Skeptiker wird als einer der Feinde der Religion betrachte, was unvermeidlich die Empörung aller religiösen und streng scholastisch denkenden Philosophen hervorrufen muss. Sie halten ihn für einen Menschen, der weder eine fundierte Meinung, noch eigene Grundsätze hat, noch je über Handeln und Kenntnisse zu bilden in der Lage sei.  M.E. dürfte es auszuschließen sein, dass man einem Menschen mit einer derart desolaten Verfassung begegnen dürfte oder ihm je begegnet ist.“ (ENQUIRY XII,2)

„Aus meiner Sicht allerdings ist eine bestimmte Art von Skepsis eine notwendige Bedingung für das wissenschaftliche Studium. Diese von mir praktizierte gemäßigtere Skepsis scheint mir sehr plausibel, denn sie sorgt für die Unvoreingenommenheit unserer Urteilsfähigkeit und entzieht uns alle jene Vorurteile, die wir durch Erziehung, Bildung oder unreflektiert übernommene  Überzeugungen aufgenommen haben.  Wir beginnen im Sinne dieser Skepsis mit klaren und sich aus der Sache ergebenden Grundannahmen, gehen behutsam und jeden Schritt sichernd weiter, überdenken immer wieder unsere Schlussfolgerungen und prüfen die sich daraus ergebenden weiteren Folgen sehr genau. Zwar werden wir auf diese Weise nur langsam und in geringem Umfang vorankommen, aber ich halte dies für die einzigen Methoden, durch die wir hoffen können, Zutreffendes herauszufinden und einigermaßen solide und gut begründete Aussagen machen zu können.“ (ENQUIRY XII,4)


Der Text der ENQUIRY CONCERNING HUMAN UNDERSTANDING in gut lesbarem Englisch

Das Copyright dieses Textes liegt beim Autor Jonathan F. Bennett. Er genehmigte auf seiner Website die non-profit-mäßige Veröffentlichung seiner Arbeiten. http://www.earlymoderntexts.com/

‚impressions‘ sind Ursprung des Denkens, Vorstellens und der Ideen

Gleich im zweiten Abschnitt seiner Enquiry of Human Understanding ignorierte Hume jahrhundertealte strittige Fragen der metaphysischen Erkenntnistheorie und fand einen völlig anderen Ansatzpunkt über den Ursprung menschlichen Denkens, menschlicher Vorstellungen und Ideen zu sprechen.

Es ging um die Frage: Wie kommt es, dass Menschen Gedanken, Vorstellungen und Ideen haben?

“ Nichts erscheint auf den ersten Blick so schrankenlos, wie das menschliche Denken; es entzieht sich nicht allein jeder menschlichen Macht und Autorität, sondern überschreitet auch die Grenzen der Natur und der Wirklichkeit. Ungeheuer zu erschaffen und widersprüchliche Gestalten zu neuen Erscheinungen zusammenzusetzen, kostet die Einbildungskraft nicht mehr Mühe, als die Vorstellung des natürlichsten und bekanntesten Gegenstandes. Während der Körper auf einem Planeten beschränkt ist, auf dem er mühsam und schwerfällig herumkriecht, kann das Denken uns in einem Augenblick in die entferntesten Gegenden des Weltalls tragen; ja selbst darüber hinaus in das grenzenlose Chaos, wo die Natur in gänzlicher Verwirrung liegen soll. Was man nie gesehen oder gehört hat, kann man sich doch vorstellen; kein Ding ist der Macht der Gedanken entzogen, mit Ausnahme dessen, was einen unbedingten Widerspruch einschließt. Obgleich indes unsere Gedanken diese unbegrenzte Freiheit zu besitzen scheinen, zeigen sie sich doch bei näherer Untersuchung in Wahrheit in sehr enge Grenzen eingeschlossen. Ich behaupte, diese schöpferische Energie des Geistes verdanken wir lediglich unserem Talent das Material – das uns Sinne und Erfahrung liefern – neu zusammenzustellen, zu übertragen, zu erweitern oder zu beschränken. …alle unsere Gedanken, Vorstellungen oder Ideen sind Nachbilder unserer ‚impressions‘, d.h. lebhafteren Empfindungen.

Bisher hat sich für mich gezeigt, dass jeder noch so komplexe Gedanke bzw. jede noch so komplexe Vorstellung [bzw. Theorie], sich auf einfache Vorstellungen zurückführen lässt, die frühere ‚impressions‘ nachahmt. Selbst solche, die auf den ersten Blick aus anderer Quelle zu stammen scheinen  – wie unsere Vorstellung Gottes als eines unendlich klugen, weisen und guten Wesens – entstehen, indem wir unsere menschlichen Handlungsweisen reflektieren und die so gewonnenen Vorstellungen maßlos steigern und dann der Natur Gottes als das “Gute und Weise schlechthin” zuschreiben. Wir können unsere Nachforschungen in jede nur denkbare Richtung ausdehnen. Wir werden immer wieder feststellen können, dass jeder Gedanke, jede Idee, jede Vorstellung, [jede Theorie] die wir prüfen, vergleichbaren ‘impressions’ nachgebildet worden ist. Diejenigen, die behaupten möchten, dass diese Feststellung weder allgemein noch ausnahmslos gültig sein kann, haben bloß eine Möglichkeit sie zurückzuweisen: Sie sollten einen Gedanken, eine Vorstellung, eine Idee, [eine Theorie] produzieren, die ihrer Meinung nach einen anderen Ursprung hat.

Ein Mensch, der wegen eines organischen Defektes bestimmte ‚impressions‘ nicht wahrnehmen kann, kann sich keine entsprechende Vorstellung machen. Ein Blinder kann keine Vorstellung von Farben, ein Tauber keine von Tönen sich bilden. Wenn der organische Defekt behoben wird, so ist mit der Öffnung dieses neuen Kanals für seine Empfindungen auch ein Kanal für seine Vorstellungen eröffnet, und es ist ihm leicht, sich das Betreffende vorzustellen.

Ebenso verhält es sich, wenn wir von einem Gegenstand noch keine ‚impressions‘ hatten. Ein Lappländer oder Neger hat keinen Begriff vom Weingeschmack. … Ein sanftmütiger Mensch kann sich keine Vorstellung von unverbesserlicher Grausamkeit und Rache machen, und ein Egomane kann sich kaum die Freuden von Freundschaft und Großherzigkeit vorstellen. Menschen geben auch zu, dass andere Wesen Empfindungen von Dingen haben mögen, von denen wir keine Vorstellung haben, weil uns die entsprechenden ‚impressions‘ fehlen, durch die der Mensch allein Vorstellungen bekommen kann.“

DAVID HUME: ENQUIRY CONCERNING HUMAN UNDERSTANDING, Section II

Der Text der ENQUIRY CONCERNING HUMAN UNDERSTANDING in gut lesbarem Englisch PDF

Anmerkung zum Copyright: Dieser englische Text ist von seinem Autor Jonathan F. Bennett zur non-profit Veröffentlichung in jeder Art von Medium freigegeben. Er findet sich auch auf Bennett’s Website unter http://www.earlymoderntexts.com/f_hume.html

Kommentar Humes zum Erfolg der ENQUIRY: „…this piece was at first little more successful than the Treatise of Human Nature.“ (Hume: „My Life“)

Werbung in eigener Sache

David Hume über seine erste Veröffentlichung EINE ABHANDLUNG ÜBER DIE MENSCHLICHE NATUR in einer anonym veröffentlichten Zusammenfassung. Die ABHANDLUNG war aus seiner Sicht als ‚Totgeburt aus der Druckerpresse gefallen‘.

„Die Arbeit, die ich hier dem Leser mit einer Zusammenfassung anbiete, wurde als dunkel und schwer verständlich beklagt und ich neige der Ansicht zu, dass dies in gleichem Maße von ihrem Umfang als auch durch die Abstraktheit ihrer Argumente befördert wurde. Wenn es mir also gelänge, diese Schwierigkeiten in jeder Hinsicht  auszuräumen, sollte ich mein Ziel erreichen können.

Das Buch, für das ich hier eintrete, scheint mir derartig neue und faszinierende Sichtweisen zu beschreiben, sodass es die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verdient. Sollte es sich insbesondere ergeben, dass die Philosophie, die ich anbiete, Gehör und Akzeptanz findet, dann müssen wir den größten Teil unserer wissenschaftlichen Grundlagen revidieren. Derartige gewagte Versuche, wie ich sie in diesem Buch unternommen habe, scheinen mir in jedem Fall von Vorteil für die weltweite Wissenschaftsgemeinschaft, denn sie schütteln das Joch der Autoritäten ab und können Menschen damit  vertraut machen, eigenständig zu denken. Sie geben Anregungen, die kreative Menschen produktiv weiter verfolgen können undsie fordern zum Widerspruch heraus, weil sie Sachverhalte erläutern, deren Probleme bisher noch niemand aufgefallen sind.

Ich werde mich solange damit begnügen müssen,  geduldig darauf zu warten, bis die Meinung der gelehrten Welt diesen Darlegungen wird zustimmen können.“

DAVID HUME: AN ABSTRACT OF A BOOK lately Published; entituled, A TREATISE OF Human Nature,  &c., PREFACE. Im englischen Orginal nachzulesen bei http://www.davidhume.org/