Irrtuemer 1


Humes Philosophie als Ergebnis von ‚philosophieren‘ in eigener Sache

Die geringe Resonanz auf die aus meiner Sicht „sensationellen“ Texte Humes beschaeftigt mich. Wie kommt es, dass Humes Beschreibungen des Menschlichen, seine Aussagen ueber Kommunikation (’sympathizing‘), ja insgesamt Humes grundsaetzlich eigenstaendige neue Sichten, die anderen eigenstaendiges Philosophieren ermoeglichen koennen, so wenig Aufmerksamkeit finden? In den nachfolgenden Artikeln moechte ich veroeffentlichen, was ich dazu herausgefunden habe.

Der Personenkreis,  an den ich als moegliche Interessenten fuer Humes Philosophie denke, sind Menschen die ‚philosophieren‘ fasziniert. Mit ‚philosophieren‘ meine ich im Allgemeinen, ueber alles, was ich merke nachzudenken. Dieses ’nachdenken‘ bezieht sich auf Material, das das Leben zur Verfuegung stellt, besteht also aus Ereignissen und entsprechenden Erlebnissen, die mehr oder weniger angenehm waren. Aus diesen ziehen Menschen Schlussfolgerungen für ‚handeln‘ in der Gegenwart – d.h. sie lernen -, was üblicherweise mit dem Wort „Erfahrung“ bezeichnet wird. Menschen, die ‚philosophieren‘ fasziniert, interessieren sich in diesem Zusammenhang auch fuer das, was amtlich bestellte oder bekannte Philosophen zu sagen haben. Denn diese bestimmen mit ihren Auffassungen den oeffentlichen Diskurs.

Meine Beduerfnisse, denen ich mit meinem ‚philosophieren‘ zu entsprechen suche, beziehen sich auf mein ‚handeln‘ fuer mich und fuer andere. Es geht mir darum, eigene Orientierungen bzw. Kriterien fuer menschliches ‚handeln‘ zu entdecken, mit denen ich mein ‚handeln‘ verbessern kann.  Eine Reihe weiterer Merkmale meines  physistisch geprägten ‚philosophieren‘ findet sich unter Rolf Reinhold’s PHYSISTIK. Ich verdanke es dem Philosophen Rolf Reinhold, dass ich „das Rad nicht neu erfinden musste“, sondern die von ihm fuer sein Leben gefundenen Muster menschlichen Handelns als erste Orientierungen und Auffinden meiner Kriterien verwenden konnte. Da ich davor bereits bei toten und lebenden Metaphysikern (u.a.  Platon und Augstin von Thagaste) in die Schule gegangen war, ist es fuer mich auszerdem wichtig zu klaeren, weshalb die Metaphysik fuer mich keine Orientierungen und Kriterien zu Verfuegung stellte. Dies steht alles im Kontext meines Interesses am Humeschem ‚philosophieren‘.

Humeforscher gehen von einem ganz anderen Ansatz des ‚philosophieren‘ aus als ich und kommen so zu anderen Humeinterpretationen. So schreibt z.B. Lambert Wiesing in seinem Kommentar zu Humes UNTERSUCHUNG UEBER DEN MENSCHLICHEN VERSTAND, es sei unter Philosophen unstrittig, „dass philosophische Forschung keine empirischen Beweise erbringt, sondern durch kategoriale und begriffliche Argumentation vollzogen wird“ (David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand. Übers. Raoul Richter. Kommentar v. Lambert Wiesing. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2007, S. 254). Weil Hume nach Wiesings Meinung ‚Empirie‘ als Beweise fuer seine philosophischen Forschungsergebnisse benutze – Humes Differenzierungen in diesem Punkt könnte er überlesen haben (vgl. u.a. David Hume: Untersuchung ueber den menschlichen Verstand V,2) -, erklaert er das Humesche ‚philosophieren‘ fuer gescheitert. Wiesing meint, das Scheitern mache den „klassischen Wert“ Humes fuer die Philosophie aus. Hume habe aber eigentlich blosz „psychologische Betrachtungen“ angestellt (ebd.). Auch dies scheint unter deutschen Humeforschern unstrittig zu sein.

Lambert Wiesings Auffassung über Philosophieren duerfte unter universitaer ausgebildeten Philosophen und Humeforschern unstrittig sein, aber nicht unter philosophierenden Menschen, die ‚philosophieren‘ als koerperumfassende Aktivität ihres eigenen Lebens fasziniert. Diese ‚physistisch gepraegten‘ Philosophen folgen stets ihren eigenen Wegen zu ‚philosophieren‘, weil sie davon ausgehen, dass nur eigene Wege sie weiterbringen. Sie moechten ’sagen, was sie sehen und denken, was sie denken‘. Nichts was andere meinen, bleibt ungeprueft, auch Eigenes nicht.

Der Behauptung Wiesings, dass Empirie (Erfahrung) keine Beweise bringt, stimme ich mit Hume gern zu: Beweise sind nur innerhalb von in sich geschlossenen Systemen moeglich, wie sie z.B. die Mathematik produziert (vgl. Untersuchung ueber den menschlichen Verstand V,1.) Ereignisse, Situationen menschlichen Lebens aber, insbesondere ‚Menschen‘, sowie ‚handeln‘ und ‚denken‘ bezeichnen keine in sich geschlossenen Systeme. Von ihnen nimmt Hume an, dass sie philosophische Forschungsergebnisse liefern, die ausschließlich ‚probabilistischen‘ Charakter haben (vgl. z.B. Untersuchung ueber den menschlichen Verstand IV Abhandlung ueber die menschliche Natur 1.4.5. 30|35.) Die Begrenztheit probalistischer Aussagen akzeptiert Hume, weil sie  in der Natur der Sache liegen. Diese Sachen sind ‚impressions‘ und ’sensations‘, stets ‚peripherieoffen‘ und so veraenderbar. Menschen werden kontinuierlich durch koerperliche Eindrücke und Empfindungen pertubiert. Diese werden an der koerperlichen Peripherie oder durch entsprechende innere Organlagen ausgeloest und bilden die Basis unserer Entscheidungen. 

Solange dieses natuerliche Lernprinzip ausgeschlossen wird, ist fuer mich jede ‚kategoriale und begriffliche‘ Festlegung unbrauchbar, weil sie so tut, als sei sie vom Himmel gefallen. Wiesing laesst diesem Verstaendnis folgend die menschliche Physis auszen vor. Derartiges ‚wegsehen‘ ist m. E. nicht unter ‚psychologischen Betrachtungen‘ zu verbuchen. Dies entstammt einer nach wie vor lebendigen philosophischen Tradition Deutschlands, in der mehr oder weniger offensichtlich uralte Kategorien und Begriffe verwendet werden, die Autoritaetsabhaengigkeit signalisieren.

Kant hielt die menschliche Natur fuer philosophisch unerheblich, weil er die uneingeschraenkte Steuerbarkeit der menschlichen Physis durch Verstand und Vernunft als a priori gegeben ansah (vgl. Johann Kraus: Recension von Ulrich’s Eleutheriologie). Hume aber machte von der menschlichen Physis als Ausgangpunkt fuer seine Abhandlung ueber die menschliche Natur positiven Gebrauch. Anstatt wie Kant von Theorien des ‚denken‘  ging er von physiologischen Forschungserebnissen seiner Zeit und vor allem von seinem eigenen Beobachten menschlichen Verhaltens aus,  sein eigenes einschließlich. Die Tradition der „Kategorien und Begriffe“ duerfte also hinsichtlich Hume keine zutreffenden Kriterien der Interpretation zur Verfuegung stellen koennen, weil Hume ihr nicht folgte. Bereits als junger Mann hat Hume jede Unterordnung seines ‚philosophieren‘ unter alte Theorien abgelehnt. „Ich habe herausgefunden, dass die Philosophie ueber menschliches Handeln seit der Antike mit derselben Unzulaenglichkeit arbeitet wie die Naturwissenschaften. Beide gehen m. E. ausschlieszlich von Hypothesen und Spekulationen aus, anstatt sich auf Erfahrbares und Erforschbares zu beziehen…Man muss nicht viel mehr tun, um zu verwertbaren Ergebnissen zu kommen, als alle diese alten Theorien zugunsten der eigenen Sichten oder der anderer wegzuwerfen. Es duerfte letztlich von den Sichten anderer abhaengen, ob meine Schlussfolgerungen fuer zutreffend gehalten werden oder nicht. Innerhalb der letzten drei Jahre habe ich meine Schlussfolgerungen in einem Ausmasz vervielfacht, so dass ich damit viele Stapel Papier mit Notizen fuellen konnte, die ausschlieszlich das enthalten, wie ich die Dinge sehe.“ (David Hume: Brief an einen Arzt. Edinburgh 1734. Abgedruckt in John Hill Burton: Life and Correspondance of David Hume. Edinburgh 1846. Band I. S. 30 – 39.)

Menschenwissenschaft V


Wenn Wissenschaften, dem Menschen nuetzen moechten, dann muessen sie ohne Letztbegruendungen, ohne Wahrheit und Objektivitaet auskommen. (Abh.Einl.9)

„Auch wenn ich mich im Rahmen meiner Wissenschaft der menschlichen Natur sehr intensiv damit beschaeftigt habe, die allerletzten Prinzipien des Intellektes, der Affekte, des Handelns und der Fantasie zu klaeren, bin ich nicht in der Lage, zu sagen worin diese bestehen.“

Letztbegruendungen (‚ultimate principles‘) wie sie Menschen und Philosophen und andere Wissenschaftler in stiller Abhaengigkeit von christlich-theologischen Setzungen seit Jahrhunderten glauben finden zu koennen, sind laut Hume nicht zu finden. Er ging zwar davon aus ‚principles‘ entdeckt zu haben, wie Menschen sich die Welt begreifbar machen (‚human understanding‘), uebertrug diese auf alle Menschen, doch er hielt diese Art von Verallgemeinerung fuer revidierbar und optimierbar. Diese ‚principles‘ sind so etwas wie Muster menschlichen Verhaltens, die ausschließlich Resuemees seiner Beobachtungen sind. Er ging davon aus, dass andere zu anderen Resuemees kommen. Diese Grenzen menschlichen Nachdenkens duerfte er als ein ‚principle‘ der menschlichen Natur angesehen haben.

„Daher kann ich auch nicht wirklich darueber Auskunft geben, wie das menschliche Beduerfnis die Welt zu verstehen (‚human understanding‘), natuerlicherweise befriedigt werden kann.“

Im Unterschied zu seinen philosophierenden Zeitgenossen und den Philosophen nach ihm, stellte er an sich selber fest, dass ihn seine Fragen dann zur Ruhe kommen ließen, wenn er sie nicht beantworten konnte und darauf verzichtete, sich Antworten zu fantasieren. Diese Entscheidung, dort nicht mehr zu forschen, wo er keine Antworten finden konnte, scheint eine seltene Qualitaet philosophischen Denkens. Geben doch die meisten Menschen sogar da Antworten, wo sie eigentlich nichts wahrnehmen (’sensorieren‘). Der Kabarettist Hans-Dieter Huesch hatte das sich daraus ergebende wortreiche Verhalten als Eigenschaft des Niederrheiners aufs Korn genommen. Hume beschrieb seine Grenze so:

“ Wenn ich sehe, dass ich beim Nachdenken dort angelangt bin, wo sich fuer mich nichts mehr ergibt, kann ich mich beruhigt zurücklehnen. Andererseits eroeffnet mir diese Tatsache, dass mich meine große Unkenntnis ueber die allerletzten Prinzipien zur Ruhe kommen laesst, die Moeglichkeit, dass ich eventuell Gruende fuer die allgemeinsten und einfachsten Prinzipien des ‚human understanding‘ finden koennte, wenn ich dort forsche, wo ich sie beobachten kann. …“

‚experience‘, d.h. Hinsehen auf das, was man beobachten kann, duerfte stets der Maßstab fuer Hume’sches Resuemieren gewesen sein.

„I do not think a philosopher, who would apply himself so earnestly to the explaining the ultimate principles of the soul, would show himself a great master in that very science of human nature, which he pretends to explain, or very knowing in what is naturally satisfactory to the mind of man. … When we see, that we have arrived at the utmost extent of human reason, we sit down contented; tho’ we be perfectly satisfied in the main of our ignorance, and perceive that we can give no reason for our most general and most refined principles, beside our experience of their reality; …“ (Treat.Intro.9)

Menschenwissenschaft III


 

Hume wollte mit seiner MENSCHENWISSENSCHAFT sowohl die wissenschaftliche, gesellschaftliche und persoenliche Welt auf eine neue Basis stellen.

Seine ABHANDLUNG UEBER DIE MENSCHLICHE NATUR dokumentiert sowohl eine Vielzahl von Sachverhalten als auch seine Art und Weise darueber nachzudenken, außerdem entsprechende Ergebnisse, die er ueberwiegend als ‚principles‘ bezeichnet. Diese ‚principles‘ sind eine Art von Behauptungen von Mustern menschlichen Verhaltens , denen er Begruendungen (reasons) zuordnet, die sich im Kontext seines Hinsehens auf menschliches Verhalten (sein eigenes mit eingeschlossen) fuer ihn ergeben haben.

 Dieses Philosophieren scheint ohne langatmige, weitlaeufige Eroerterungen nicht auszukommen. Seine „experimental reasonings“, die die Abhandlung ueber die menschliche Natur und andere seiner Schriften fuellen, sind nicht „… leicht und muehelos zu begreifen“(Abh.Einl.3). Dies duerfte u. a. daran liegen, dass beim Ueberlegen vieles beruecksichtigt wird, um das ‚principle‘ zutreffend und brauchbar herzustellen. ‚principles‘, die so entstehen, sind nicht fuer die Ewigkeit geschaffen, sondern fuer den sich kontinuierlich veraendernden Alltag von Menschen. Charakterisierungen wie „Wissen“ und „Erkenntnisse“ kommen fuer sie nicht in Frage, denn diese beanspruchen Gewissheit. ‚principles‘ duerften eher ‚begruendete Vermutungen‘ sein, die wie Hume sich aeußert, vom ‚freizuegigen Eingestaendnis meiner Unwissenheit‘ getragen werden (Abh.Einl.10) Sie sind jederzeit revidierbar und veraenderbar. Dass Revidieren und Veraendern im Diskurs mit der „Gelehrtenrepublik“ seiner Zeit gelaenge, wuenschte sich Hume fuer die Veroeffentlichung seines TREATISE.

Es entsprach vermutlich seiner Auffassung von seiner Menschenwissenschaft genauso wie von Wissenschaft ueberhaupt, dass sie ein niemals endendes Forschen kennzeichnet. In unseren Wissenschaften ist immer noch von Zielen, Erkenntnissen und Fortschritt die Rede, sodass der Eindruck entsteht, Wissenschaftler glaubten, dass sie irgendwann einmal alle Raetsel der Welt geloest haben duerften. Ganz anders Hume: „Und obwohl ich anstrebe alle erreichbaren ‚principles‘ so allgemeingueltig wie moeglich zu fassen, indem ich der jeweiligen zu erforschenden Fragestellung bis in jedes Detail nachgegangen bin und dabei alle Ergebnisse auf elementarste und eine minimale Anzahl von Ursachen zurueckgefuehrt habe, bin ich sicher, dass das Erforschen der menschlichen Natur nie enden wird. Denn jede Hypothese, von der angenommen wird, dass sie die allerletzten urspruenglichen Eigenschaften der menschlichen Natur zum Vorschein bringen soll, ist ohne Hinsehen auf Sachverhalte als vorurteilsbehaftet und der Fantasie entsprungen abzulehnen.“ (Abh.Einl.8) Es scheint so, dass menschliche Sichtweisen und Sachverhalte sich staendig aendern. Davon auszugehen, dass wissenschaftliche und alltaegliche Kenntnisse je an ein Ende kommen, hieße diese Realitaet zu ignorieren.     

 

Menschenwissenschaft I



Humes Anregungen einer WISSENSCHAFT UEBER DEN MENSCHEN werden seit Jahrhunderten uebersehen. Nur wenige sagen es laut, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse ‚menschengemacht sind‘. Was laege da naeher, als zu untersuchen, wie Menschen zu ihren Forschungsergebnissen kommen? Hume machte es vor, wie so eine Menschenwissenschaft aussehen könnte.


Transposition

Abhandlung ueber die menschliche Natur

Einleitung

4
Ich habe festgestellt, dass alle Wissenschaften mehr oder weniger eine Beziehung zur menschlichen Natur haben. Wie weit sie sich auch davon entfernen moegen, auf dem einen oder anderen Weg kehren sie zu ihr zurueck. Sogar Mathematik, Naturwissenschaft und natuerliche Religion haengen gewissermaßen von der Wissenschaft ueber den Menschen ab. Wissenschaftliche Ergebnisse ergeben sich naemlich aus dem, was Menschen perzipieren (bzw. sensorieren). Außerdem werden die Ergebnisse nur in der Art und Weise interpretiert, wie Menschen sie im Rahmen ihrer jeweiligen persoenlichen Moeglichkeiten und Faehigkeiten zu begreifen in der Lage sind. Es ist daher unmoeglich, vorherzusagen, welche Entwicklungen und Verbesserungen in den Wissenschaften moeglich waeren, waere durchweg bekannt, bis zu welchem Grad und wie sich Menschen beobachtbare und erforschbare Ereignisse begreifbar machen, d.h. gemaeß welcher Gesetzmaeßigkeiten ‚human understanding‘ zu stande kommt.

5
Wenn im Hinblick auf die moegliche Bedeutung des oben skizzierten ‚human understanding’ die Wissenschaften Mathematik, Naturwissenschaften und ’natuerliche Religion‘ entsprechend abhaengig von Kenntnissen ueber den Menschen sind, was duerfte dann fuer die anderen Wissenschaften erwartet werden koennen, deren Verbindung mit der menschlichen Natur enger und eigentlicher sind? Um diese Frage beantworten zu koennen, waere auch fuer sie darzulegen, auf welchen natuerlichen Grundlagen und in welcher Art und Weise Menschen ihre Ueberlegungen anstellen. Außerdem waere zu klaeren, wie unsere ‚ideas’ beschaffen sind. Im Hinblick auf moralische Fragen waere zu erlaeutern, wie Menschen sich ein allgemein akzeptiertes Verhalten aneignen. Dazu gehoert auch die Behandlung von Fragen im Hinblick auf Beduerfnis-, Interessen- und Gefuehlslagen, ebenso wie natuerliche Grundlagen oeffentlicher zwischenmenschlicher Beziehungen, die davon ausgehen, dass Menschen gesellschaftsweit miteinander verbunden und voneinander abhaengig sind.

6
Ich gehe daher davon aus: Um zu verwertbaren Ergebnissen kommen zu koennen, duerfte die Untersuchung des ‚human understanding‘ das einzige erfolgreiche Mittel fuer meine philosophischen Forschungen sein. … Indem ich so die menschliche Natur selber untersuche, wende ich mich unmittelbar dem zentralen Bezugspunkt jeder dieser Wissenschaften zu … Wenn es mir gelingt, in der menschlichen Natur grundlegende Prinzipien des ‚human understanding‘ zu entdecken, duerfte es ohne weiteres moeglich sein, diese Kenntnisse auf andere Wissenschaften erfolgreich anzuwenden. Von da aus duerften diese Kenntnisse auf alle jene Wissenschaften ausgedehnt werden koennen, die sich eingehend mit dem menschlichen Leben beschaeftigen. Im Anschluss daran duerften ohne Probleme die Kenntnisse vollstaendiger entdeckt werden koennen, die sich durch Gegenstaende bloßer Faszination ergeben. Ich behaupte, es gibt einerseits keine Frage von Belang, deren Antwort nicht in der Wissenschaft ueber den MENSCHEN enthalten sein duerfte. Andererseits duerfte keine Frage zutreffend beantwortet werden koennen, bevor diese Wissenschaft nicht bekannt ist. Wenn ich also vorhabe, die Grundlagen der menschlichen Natur zu offen zu legen, habe ich vor ein komplettes wissenschaftliches Gebaeude zu entwerfen, das auf einer fast voellig neuen Basis steht. Die einzige, wie ich annehme, von der aus einigermaßen gesichert geforscht werden kann.

7
Wenn die Wissenschaft ueber den Menschen die einzige ergiebige Basis fuer alle anderen Wissenschaften sein soll, dann sind Erforschen* und Beobachten die einzig moegliche Basis fuer sie selber.

*experience wird mit einer lexikalisch moeglichen Variante wiedergegeben, die eine philosophiehistorische Kritik mit einschließt. Die philosophiegeschichtlichen Kategorien „Empirismus“, „Empirie“ bzw. „Empiriker“ , die haeufig aus erkenntnistheoretischer Sicht auf Hume angewandt wird, scheinen mir ohne naeheres Hinsehen auf das, was Hume im Kontext zu ‚experience‘ ausfuehrt, geeignet das Missverstaendnis zu erzeugen, Hume habe sich mit erkenntnistheoretischen Fragen beschaeftigt.

Orginal

Treatise of Human Nature

Introduction

4

’Tis evident, that all the sciences have a relation, greater or less, to human nature; and that however wide any of them may seem to run from it, they still return back by one passage or another. Even Mathematics, Natural Philosophy, and Natural Religion, are in some measure dependent on the science of Man; since they lie under the cognizance of men, and are judged of by their powers and faculties. ’Tis impossible to tell what changes and improvements we might make in these sciences were we thoroughly acquainted with the extent and force of human understanding, and cou’d explain the nature of the ideas we employ, and of the operations we perform in our reasonings.

5
If therefore the sciences of Mathematics, Natural Philosophy, and Natural Religion, have such a dependence on the knowledge of man, what may be expected in the other sciences, whose connexion with human nature is more close and intimate? The sole end of logic is to explain the principles and operations of our reasoning faculty, and the nature of our ideas: morals and criticism regard our tastes and sentiments: and politics consider men as united in society, and dependent on each other.


6 Here then is the only expedient, from which we can hope for success in our philosophical researches, to leave the tedious lingring method, which we have hitherto followed, and instead of taking now and then a castle or village on the frontier, to march up directly to the capital or center of these sciences, to human nature itself; which being once masters of, we may every where else hope for an easy victory. From this station we may extend our conquests over all those sciences, which more intimately concern human life, and may afterwards proceed at leisure to discover more fully those, which are the objects of pure curiosity. There is no question of importance, whose decision is not compriz’d in the science of man; and there is none, which can be decided with any certainty, before we become acquainted with that science. In pretending therefore to explain the principles of human nature, we in effect propose a compleat system of the sciences, built on a foundation almost entirely new, and the only one upon which they can stand with any security.  7 And as the science of man is the only solid foundation for the other sciences, so the only solid foundation we can give to this science itself must be laid on experience* and observation.  *An act of knowledge, one or more, by which single facts or general truths are ascertained; experimental knowledge; (Webster’s Revised Unabridged Dictionary)


			

revisiting: sympathy 4


Transposition

Abhandlung ueber die menschliche Natur 2.1.11.5/6

2.1.11.5

Es scheint so zu sein, dass menschliche Individuen von Natur aus einander sehr aehnlich sind. Diese Aehnlichkeit macht es erklaerlich, dass ein ICH bei einem anderen ICH Empfindungen bzw. Muster von Empfindungen bemerkt, die es parallel dazu bei sich entdecken kann. Das Prinzip „Aehnlichkeit“ duerfte fuer die Denkfabrik „Gehirn“ wie fuer den Koerper gelten. Denn auch wenn Koerperteile von Individuen sich voneinander in Form und Groeße unterscheiden, so bleibt deren anatomische Beschaffenheit und Zusammenstellung im Allgemeinen gleich.

Die Aehnlichkeit zwischen Individuen duerfte fuer jedes ICH eine sehr große Rolle spielen und sie scheint trotz der Variationsvielfalt von Individuen bewahrt werden zu koennen. Die Aehnlichkeit zwischen Individuen duerfte sehr viel dazu beitragen koennen, dass ein ICH Zugang zu den Empfindungen eines anderen ICH erhaelt und nutzbringend und zu seiner eigenen Freude fuer die Kommunikation verwenden kann. Entsprechend scheint es die graduelle Wirksamkeit der Sympathie zu beeinflussen, wenn – außer der allgemeinen Aehnlichkeit natuerlicher Anlagen von Individuen – weitere spezifische Aehnlichkeiten wie Sitten, Charakter, Land und Sprache hinzukommen. Je enger der Kontakt durch diese Aehnlichkeiten zwischen einem ICH und einem anderen ICH ist, desto leichter duerfte ein ICH fantasierend einen Wechsel von den sensorierbaren Anzeichen der Empfindungen des anderen ICH zu seinen Empfindungen herbeifuehren koennen. Dieser Wechsel duerfte im Zusammenhang mit einer lebhaften Vorstellungs- und Empfangsbereitschaft stehen, die kontinuierlich eine Vorstellung von mir selber kreiirt.

2.1.11.6

Die Aehnlichkeit von Individuen duerfte aber nicht der einzige Zusammenhang sein, der auf diese Weise wirkt. Deren Wirkung duerfte auch von anderen Zusammenhaengen – die diese begleiten – verstaerkt werden koennen. Die Empfindungen eines anderen ICH haben einen geringen Einfluss auf mich, wenn es weit von mir entfernt sind. Es duerfte vermutlich der Kontext einer raeumlich nahen Gleichzeitigkeit noetig sein, um Empfindungen vollstaendig teilen zu koennen. Blutsverwandtschaftliche Beziehungen – eine Art kausaler Zusammenhang – duerften manchmal den gleichen Effekt haben, aehnlich wie jede Art zwischenmenschlicher Beziehungen, die in der gleichen, oben beschriebenen Weise etwas in Gang bringen duerften wie auch Erziehung und Gewohnheit. Dazu aber spaeter mehr.

Im Rahmen aller diese Beziehungen bzw. Zusammenhaenge duerfte es moeglich sein, eine ‚impression‘ d.h.eine lebhafte, starke eigene Empfindung auf die Vorstellung von Gefuehlen oder Empfindungen anderer zu uebertragen (zu der uns interindividuell sensorierbare Zeichen anregen), um so in der staerksten und lebhaftesten Art und Weise eigene Empfindungen zu empfangen.

Zu Beginn dieser Abhandlung habe ich festgestellt, dass alle schwachen und blassen Empfindungen (‚ideas‘) starke, lebhafte Empfindungen (‚impressions‘) nachahmen duerften. Beide Arten von Empfindungen unterscheiden sich lediglich durch die verschiedenen Grade ihrer Staerke und Lebhaftigkeit, die ein Mensch empfindet. Die Bestandteile der unterschiedlichen Empfindungen duerften gleich sein. Auch die Art und Weise der Konstellationen der beiden Empfindungsarten duerften einander entsprechen. Auch duerfte eine lebhafte ‚idea‘ von etwas sich immer einer ‚impression‘ annaehern koennen. Allein die Staerke bestimmter Fantasien z.B. kann einen Menschen sich krank fuehlen und Schmerzen empfinden lassen. Ja, er kann sorgar richtig krank werden, wenn er oft daran denkt.

Doch am bemerkenswertesten duerfte sein, dass es prinzipiell moeglich ist, denkend und fuehlend lebhafte ‚ideas‘ in eine ‚impression‘ zu verwandeln. Die eigenen Empfindungen duerften wahrscheinlich vom ICH abhaengen, d.h. von inneren Prozessen und Aktivitaeten des Individuums als von irgendeinem anderen aeuszeren Reiz. Begruendungen und Erklaerungen entstehen vermutlich gleichfalls durch fantasieren und kreiieren lebhafter ‚ideas‘.

Dies alles duerfte die Natur und die Ursache der Sympathie ausmachen. Auf diese Weise duerfte ein ICH zu begruendeten Vermutungen ueber Einstellungen und Empfindungen eines anderen ICH kommen koennen, wann immer es Anzeichen dafuer sensorieren kann.

Original

Treatise of Human Nature 2.1.11.5/6

2.1.11.5

Now ’tis obvious, that nature has preserv’d a great resemblance among all human creatures, and that we never remark any passion or principle in others, of which, in some degree or other, we may not find a parallel in ourselves. The case is the same with the fabric of the mind, as with that of the body. However the parts may differ in shape or size, their structure and composition are in general the same.

There is a very remarkable resemblance, which preserves itself amidst all their variety; and this resemblance must very much contribute to make us enter into the sentiments of others, and embrace them with facility and pleasure. Accordingly we find, that where, beside the general resemblance of our natures, there is any peculiar similarity in our manners, or character, or country, or language, it facilitates the sympathy. The stronger the relation is betwixt ourselves and any object, the more easily does the imagination make the transition, and convey to the related idea the vivacity of conception, with which we always form the idea of our own person.

2.1.11.6

Nor is resemblance the only relation, which has this effect, but receives new force from other relations, that may accompany it. The sentiments of others have little influence, when far remov’d from us, and require the relation of contiguity, to make them communicate themselves entirely. The relations of blood, being a species of causation, may sometimes contribute to the same effect; as also acquaintance, which operates in the same manner with education and custom; as we shall see more fully afterwards. All these relations, when united together, convey the impression or consciousness of our own person to the idea of the sentiments or passions of others, and makes us conceive them in the strongest and most lively manner.

revisiting: sympathy 3



Hume verknüpft seine Beschreibung, dass jede Art verbaler bzw. nonverbaler Aeuszerungen anderer das eigene ICH veranlassen, dazu passende und ihm entsprechende Vorstellungen, Empfindungen und Emotionen hervorzubringen., im folgenden mit einem weiteren Sachverhalt, den er glaubt, festgestellt zu haben:

Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur, 2.1.11.4

Es ist für mich offensichtlich, dass ich mich kontinuierlich und unmittelbar mehr oder weniger stark selber sensoriere. Außerdem gehe ich davon aus, dass mir stets eine bewusste und lebhafte Vorstellung von mir  selber zur Verfügung stehe. Dieses ICH kann sich jedoch nicht vorstellen, dass irgendetwas, das zu ihm gehört, außerhalb des von sich selber Sensorierten oder seiner Vorstellung von sich sei.
Ein anderes ICH, das mit meinem ICH in Kontakt steht, dürfte eine ähnlich lebhafte Vorstellung von sich haben wie mein ICH, und vermutlich entsprechend der Art und Weise, wie dies oben erläutert wurde, Empfindungen von mir mitfühlen können. Der interindividuelle Kontakt dürfte einen beträchtlichen Einfluss darauf haben, wenn auch nicht so stark wie dies in Ursache-Folge-Beziehungen der Fall sein dürfte. „Ähnlichkeit mit“ ebenso wie „Nähe zu Eigenem“ dürften weitere Einflussgrößen sein, die aus Sicht des ICH nicht bestritten werden können. Im vorliegenden Fall scheint sich dieser Zusammenhang gleichsam aufzudrängen: Mein ICH verhält sich nämlich so, als assoziiere es von interindividuell sensorierbaren Zeichen im Sinne von Ursache und Folge auf etwas, das bei ihm so ähnlich oder für ihn selber nahe liegend zu sein scheint.
[Vgl. dazu Enquiry III,2: Es werden solche Vorstellungen miteinander verknüpft, die sich ähneln, die dicht beieinander liegen und die sich eine aus der anderen ergeben.]

Original

Treatise of Human Nature, 2.1.11.4

Tis evident, that the idea, or rather impression of ourselves is always intimately present with us, and that our consciousness gives us so lively a conception of our own person, that ’tis not possible to imagine, that any thing can in this particular go beyond it. Whatever object, therefore, is related to ourselves must be conceived with a like vivacity of conception, according to the foregoing principles; and tho’ this relation shou’d not be so strong as that of causation, it must still have a considerable influence. Resemblance and contiguity are relations not to be neglected; especially when by an inference from cause and effect, and by the observation of external signs, we are inform’d of the real existence of the object, which is resembling or contiguous.
[View also: Enquiry Concerning Human Understanding III,2:To me, there appear to be only three principles of connexion among ideas, namely, Resemblance, Contiguity in time or place, and Cause or Effect.]

revisiting: sympathy 2


Wie ist sympathisieren moeglich?

Seine Antwort gibt Hume – wie dies bei ihm durchgaengig der Fall ist – als Resuemee seines eigenen ‚hinsehen‘ (observing). Ein Humesches Resuemee hat – so ein Resuemee meiner Transpositionsarbeiten – stets den Charakter von versuchsweisen Schlussfolgerungen, die Hume bereit ist jederzeit zu revidieren. Im Untertitel seiner ‚Abhandlung über die menschliche Natur‘ wird dieser Charakter von Hume als „experimental Method of reasoning“ bezeichnet. Dieser Terminus wird von anderen mit ’naturwissenschaftlicher Methode‘ oder ‚Methode der Erfahrung‘ transponiert. Damit kommt m.E. das vorsichtige Finden und das Humesche Bewerten eigener Resuemees als Annahmen überhaupt nicht in den Blick.

Sympathie im Sprachgebrauch zu Hume’s Zeiten

Zu Humes Zeiten war mit ‚Sympathie‘ im oeffentlichen Sprachgebrauch noch ein Teil der vielfaeltigen griechisch-lateinischen Mitbedeutungen lebendig, die sich auf Physiologisches bezogen. z.B. stand Sympathie fuer ‚mitempfinden, gleiche empfindung, teilhaben an einer beschaffenheit, natuerliche uebereinstimmung von dingen, natuerlicher zusammenhang, wechselbeziehung‘. Gelaeufig war auch noch der eingeschraenktere physiologisch-medizinische Sprachgebrauch, der mit ‚Sympathie‘ den Zusammenhang des erkrankten Organs mit Symptomen an anderen noch intakten Organen beschrieb. Zunehmend aber entstanden im Laufe des 17./18. Jahrhunderts ausgepraegte, metaphorisierte Bedeutungszweige, die mit Sympathie vor allem seelische Beziehungen zwischen Menschen beschrieben. (vgl. ‚Sympathie‘ im DWB) Heute wird unter Sympathie fast ausschlieszlich “Zuneigung, bzw. eine positive gefuehlsmaeszige Einstellung zu jemand anderem” (Duden: Bedeutungswoerterbuch) verstanden.

Sympathie als (neuro)physiologisches Aktivitätsprinzip

Hume bezeichnet mit ’sympathy‘ aus meiner Sicht ein (neuro-)physiologisches Prinzip, das der jeweilige Mensch autonom jeweils situativ unterschiedlich auspraegt – und zwar abhängig vom individuellen Erleben und der als Erfahrung bezeichneten Auswertung des Erlebten. Beides entspricht nach Auskunft der Neurowissenschaften neurophysiologischen Aktivitaetsmustern.

Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur, 2.1.11.3

Wenn mein ICH durch Sympathisieren mit Gefuehlen anderer angesteckt wird, sensoriert es zuerst deren Wirkungen. Als Wirkungen bezeichne ich alle sensorierbaren Anzeichen in Koerperhaltung, Mimik, Gestik und in sprachlichen Aeuszerungen von Meinungen und Beobachtungen. Mein ICH sensoriert diese Anzeichen, und so wird ihm eine ‚idea‘ (eine erste eigene schwache Vorstellung) von den Gefuehlen des anderen ermoeglicht. Diese ‚idea‘ wird fuer mein ICH im Handumdrehen staerker und heftiger sensorierbar und verwandelt sich in eine ‚impression‘ (eine sehr starke, lebhafte Vorstellung). Diese erreicht einen entsprechenden Grad von Kraft und Lebendigkeit und ruft in mir genauso eine Emotion hervor, wie jede andere eigene Empfindung.

Orginal

Treatise of Human Nature, 2.1.11.3

When any affection is infus’d by sympathy, it is at first known only by its effects, and by those external signs in the countenance and conversation, which convey an idea of it. This idea is presently converted into an impression, and acquires such a degree of force and vivacity, as to become the very passion itself, and produce an equal emotion, as any original affection.

revisiting: sympathy 1



Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur 2.1.11.2

Menschen zeigen ein bemerkenswertes Charakteristikum, das sowohl als Phänomen als auch hinsichtlich seiner Folgen deutlich unter anderen hervorsticht. Jeder Mensch hat das Beduerfnis gemeinsam mit anderen das zu teilen, was er sensoriert: d.h. er möchte mit anderen sympathisieren. Er tritt zu anderen in Kontakt, indem er sich ueber Neigungen, Interessen und Ansichten unterhaelt, auch wenn diese von seinen eigenen verschieden sind oder gar im Widerspruch zu ihnen stehen. Das ist nicht nur deutlich beim kindlichen ICH zu sehen, das ganz selbstverständlich Auffassungen anderer übernimmt und so mit anderen in Kontakt bleibt. Auch ein erwachsenes ICH mit einem differenzierten Urteils- und Denkvermoegen findet es sehr schwierig, bei eigenen Beweggruenden und Auffassungen zu bleiben, wenn diese zu denen von Freunden oder Lebenspartnern im Widerspruch stehen. Ich nehme an, dass dieses Verhaltensmuster die ausgeprägte Uniformität bewirkt, die bei Menschen einer Nation hinsichtlich Emotionen und Denkweise beobachtet werden kann. … Ein froh gestimmtes ICH befindet sich im nu in der gleichen Stimmung wie seine Begleiter. Auch ein in sich gekehrtes und missgelauntes ICH nimmt die Stimmung seiner Landsleute und seines Bekanntenkreises an. Wenn ein anderer froehlich ist, fuehle ich mich merklich gelassen und heiter. Ist jemand verärgert oder betruebt, fuehle ich mich augenblicklich niedergeschlagen. Empfindungen wie ich hasse, ich bin verstimmt, ich werde anerkannt, ich liebe, ich bin mutig, ich bin heiter, ich bin niedergeschlagen, erlebe ich oefter im Kontakt mit anderen, als dass sie – wenn ich  alleine bin – von meinem eigenen angeborenen Temperament und meiner momentanen Stimmung ausgehen. Ein derart bemerkenswertes Phänomen verdient Aufmerksamkeit. Ich moechte ihm nachspueren und herausfinden, welches die grundlegenden Prinzipien sein dürften, die „sympathisieren“ ermoeglichen könnten.

Anmerkung: ICH bezeichnet die allgemeine Einheit Koerper (traditionell: Mensch) bzw. die näher bestimmte Einheit Koerper (traditionell: ich). Dieser gewöhnungsbedürftige Terminus soll den ausschlieszlich von mir unterstellten physiologischen Charakter ‚Mensch‘ deutlich machen und wird hier experimentell verwendet. Möglicherweise eignet er sich nicht für die Transposition.

Orginal

Treatise of Human Nature 2.1.11.2

No quality of human nature is more remarkable, both in itself and in its consequences, than that propensity we have to sympathize with others, and to receive by communication their inclinations and sentiments, however different from, or even contrary to our own. This is not only conspicuous in children, who implicitly embrace every opinion propos’d to them; but also in men of the greatest judgment and understanding, who find it very difficult to follow their own reason or inclination, in opposition to that of their friends and daily companions. To this principle we ought to ascribe the great uniformity we may observe in the humours and turn of thinking of those of the same nation; and ’tis much more probable, that this resemblance arises from sympathy, than from any influence of the soil and climate, which, tho’ they continue invariably the same, are not able to preserve the character of a nation the same for a century together. A good-natur’d man finds himself in an instant of the same humour with his company; and even the proudest and most surly take a tincture from their countrymen and acquaintance. A chearful countenance infuses a sensible complacency and serenity into my mind; as an angry or sorrowful one throws a sudden damp upon me. Hatred, resentment, esteem, love, courage, mirth and melancholy; all these paszions I feel more from communication than from my own natural temper and disposition. So remarkable a phaenomenon merits our attention, and must be trac’d up to its first principles.

revisiting Hume: sympathisieren – Sympathie



In den folgenden Artikeln – mit heute beginnend – werde ich einige aufeinander folgende Abschnitte aus dem zweiten Band von Humes dreibaendigem Jugendwerk „Eine Abhandlung ueber die menschliche Natur“ veroeffentlichen. Thema dieser Abschnitte ist das Zentrum des Menschlichen – im traditionellen philosophischen Sprachgebrauch mit Moralitaet bzw. Ethik bezeichnet: Gemaesz Humescher Auffassung von ‚philosophieren‘ – wie ich sie aus seinen Texten entnehme – geht es genauer um die Kreation des Zwischenmenschlichen und wie es vom jeweils eigenen Innermenschlichen ermoeglicht werden kann. Metaphysisch formuliert: Wie werden aus Egoisten Altruisten? Der dazu passende christliche Terminus duerfte „Naechstenliebe“ sein.

Meine deutschen Texte sind Transpositionen der englischen. D.h. ich rekonstruiere Hume-Texte in deutsche, indem ich die englischen in einen von mir ausgewaehlten und charakterisierten Rahmen setze. Die bisher in diesem Blog veröffentlichten Texten entsprechen diesem Rahmen weitestgehend auch schon. Ich verwendete in den Texten über ’sympathisieren‘ entschiedener Termini, die meinem ‚physistisch philosophieren‘  gemaeszer sind. Wie immer bei solchen Anlaessen weise ich darauf hin, dass viele griffige Bezeichnungen von Rolf Reinhold stammen. Ich habe und hatte bisher nicht die Energie sie in vergleichbarer Qualitaet selber zu finden.

Mein Rahmen ist im Wesentlichen gepraegt

  • durch Rolf Reinholds Rahmen ‚Physistik‘,
  • durch die Annahme, dass Hume philosophierend von ‚hinsehen‘ und ‚(neuro) physiologischen Kenntnissen ausging.
  • durch mein ‚physistisch philosophieren‘
  • durch das Kriterium ‚Stimmigkeit‘.
  • durch jede einzelne Entscheidung englische Termini und Syntax in ganz bestimmter Weise entsprechend meines Gebrauchs des Deutschen zu rekonstruieren.

Dies ergibt im Ergebnis ein konsequentes Uebertragen, das triviales Uebersetzen ausschlieszt. Letzteres duerfte m.E. untauglich sein um herauszufinden, ob aeltere philosophische Texte ueberhaupt Anregungen für Loesungen von gegenwaertige Probleme geben können. Aeltere, von einem metapyhysisch geprägten Rahmen ausgehende  Hume-Uebersetzungen – wie z.B. die von Kirchmann – hindern aus meiner Sicht den Leser daran, sich Vorstellungen von der Art und Weise des Humeschen ‚philosophieren‘ machen zu können. Hinweise anderer Uebersetzer oder von Herausgebern, dass eine bestimmte Hume-Uebersetzung ’nahe am Orginal‘ sei und damit ’nah am Humeschen Gedankengut‘ halte ich fuer fragwuerdig.* Dies entspricht aus meiner Sicht lediglich der verbreiteten Gewohnheit inhaltliche Korrektheit zu behaupten, ohne den jeweils eigenen Uebersetzungsrahmen zu reflektieren. Es gibt vereinzelte Hinweise darauf, dass auch ausgewiesene Fachleute meine Sichtweise teilen.

*Wolfgang Sohst – Herausgeber einer Neuauflage der von Theodor Lipps verfassten 100Jahre alten Hume-Uebersetzung der „Abhandlung über die menschliche Natur – folgte in seinem Vorwort der Idee einer moeglichst behutsamen Modernisierung der Lippschen Uebersetzung. D.h. der Lippsche Text wurde an die neuste Rechtschreibung angepasst und einer stilistische Modernisierung unterzogen. Inhaltliche Optimierungen im Sinne eines stimmigeren Bezuges zwischen heute und gestern wurden unterlassen. Grund für diese Zurueckhaltung sei die Qualitaet  der Lippschen Uebersetzung, die eine ‚gewinnbringende Naehe zum Humeschen Gedankengut‘ aufweise. Ich vermisse Erläuterungen von Lipps über seinen Rahmen, innerhalb dessen er übersetzte. Oder ging er davon aus, dass der sich von selber versteht? (Vgl. David Hume: Traktat über die menschliche Natur. Berlin (xenomoi) 2004, S. 1.)
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Kausalitaet I

Hume ueber Kausalitaet: ENQUIRY, IV, 8 ff.

Die Erinnerung an Erlebnisse bestätigt, dass Erfahrung nötig ist.

Wenn man sagt, dass die Ursachen und Wirkungen nicht durch Nachdenken, sondern nur durch Erfahrung festgestellt werden koennen, dann stimmen die Leute stets gerne zu fuer alle die Faelle, an die sie sich erinnern, wo ihnen dieser Zusammenhang vorher nicht bekannt war. … Man gebe einem Menschen, der keine Ahnung von Physik hat, zwei geglaettete Marmorplatten, die aufeinander liegen, fest miteinander zusammenhaengen und fordere ihn auf, sie voneinander zu loesen. Erst wenn er erfahren hat, dass die beiden Platten sich durch seitliches Verschieben mit weniger Kraft voneinander trennen lassen, als wenn er sie durch senkrechtes Abheben voneinander trennen moechte, wird er zwischen Bewegungsrichtung und Kraftaufwand einen Zusammenhang vermuten koennen. Bei solchen Ereignissen, die man nicht aus alltaeglichen Erlebnissen mit der Natur kennt, stimmen Menschen gern zu, dass man das nur durch Erfahrung wissen kann. Auch wird niemand behaupten, dass er die Explosionskraft eines entzuendeten Pulvers oder die Anziehungskraft eines Magneten a priori, also ohne Erfahrung nur durch Nachdenken entdecken koenne.

Ebenso wenig duerfte jemand bestreiten, dass man nur durch Erfahrung die Wirkungen einer komplizierten Maschine und das Funktionieren ihrer Teile kennen kann. Oder will moeglicherweise jemand behaupten, er wisse ohne Erfahrung, ob Milch und Brot – die fuer den Menschen taugen – ein passendes Nahrungsmittel fuer einen Baeren oder einen Tiger sein koennen?

Unsere Erfahrung veranlasst uns davon auszugehen, dass es beobachtbare Zusammenhaenge gaebe.

Diese Gewissheit aber, dass wir ohne Erfahrung keine Zusammenhaenge kennen koennen, verlaesst uns Menschen, wenn wir ueber Ereignisse reden, die wir schon von klein auf kennen, oder die natuerlichen Ereignissen aehneln oder die vermeintlich von einfachen Eigenschaften der Dinge abhaengen und nicht von irgendwelchen verborgenen Mechanismen. Da meint man nun ploetzlich, dass man den Zusammenhang durch blosses Nachdenken und ohne jede Erfahrung entdecken kann. Man tut dann so, als ob man – ploetzlich in die Welt gestellt – schon vorher wisse, dass eine Billardkugel der anderen durch Stossen seine Bewegung weitergeben koenne. Da meinen Menschen, dass man keine Erfahrung brauche, um diesen Zusammenhang schon vorhersagen zu koennen. Daraus kann man schliessen, wie stark die Macht der Gewohnheit ist. Da wo sie am staerksten ist, verbirgt sie nicht nur unsere ganz natuerliche Unkenntnis, sondern sie verbirgt auch sich selbst. …

Naturgesetze und Bewegungen sind Produkte unserer Erfahrung.

Moeglicherweise koennen die folgenden Beschreibungen ausreichen, zu erlaeutern, dass alle Naturgesetze und alle Bewegungen der Koerper ausnahmslos nur durch Erfahrung kennen gelernt werden. Wird uns zum Beispiel ein unbekannter Gegenstand gebracht, und wir sollen angeben, welche Wirkung von ihm ausgehen wird, ohne fruehere Erfahrungen zu Rate zu ziehen, so ist doch die Frage, wie soll ein Mensch dabei vorgehen, um zu einer zutreffenden Aussage zu kommen. Nun er muss sich eine moegliche Wirkung ausdenken oder sie erfinden. Klar ist dabei, dass eine derartige Aussage ganz willkuerlich sein duerfte. Menschen koennen in diesem Fall keine Wirkung am unbekannten Gegenstand entdecken, auch wenn sie ihn ganz genau untersuchen und pruefen.

Ohne Erfahrung – apriori – koennen Menschen sich keine Vorstellungen von zukünftigen Ereignissen machen.

Das duerfte daran liegen, dass Ursache und Wirkung voellig verschieden voneinander sind. Die Bewegung der zweiten Billardkugel ist ein ganz anderes Ereignis als die Bewegung der ersten. Die Bewegung der ersten Kugel enthaelt keinerlei Hinweis auf die Bewegung der zweiten. Ein Stein oder ein Metallklumpen faellt sofort, wenn ich ihn loslasse. Betrachte ich ihn aber bevor ich diese Erfahrung gemacht habe, also a priori, hat da schon jemals jemand etwas an ihm entdeckt, dass Menschen veranlassen koennte, sich eine Vorstellung davon zu machen, dass er nach unten fallen duerfte, anstatt nach oben oder zur Seite?

Der Zusammenhang  zwischen zwei Ereignissen wird apriorisch beliebig  gesetzt.

So willkuerlich, wie jede Idee oder Erfindung einer bestimmten Wirkung eines singulaeren oder erstmaligen Naturereignisses ohne Erfahrung ist, so willkuerlich scheint mir auch das behauptete Band oder die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung, welche es angeblich moeglich machen soll, vorauszusagen, dass nur eine ganz bestimmte Wirkung von einer Ursache ausgehen kann. Wenn ich z.B. sehe, wie eine Billardkugel auf eine andere zurollt, kann ich mir zwar vorstellen, dass die andere sich gleich bewegen wird und dass diese Bewegung eine Folge dessen ist, dass die erste sie beruehrt bzw. sie anstoesst. Aber kann ich mir nicht genauso gut 100 andere Wirkungen vorstellen? Moeglicherweise, dass die Kugeln still liegen bleiben? Oder das die erste nach dem Stoss zurueckrollt oder in irgendeine andere Richtung wegspringt? Alle diese Annahmen sind moeglich und denkbar. Wie soll ich mich im Vorwege entscheiden? Welche von den vielen Moeglichkeiten duerfte eintreten? Alle Gruende, die ich mir denke, geben mir a priori keinen Anhaltspunkt fuer meine Entscheidung.

Kurz gesagt: die Wirkung ist von ihrer Ursache verschieden, deshalb kann ich die Wirkung nicht in der Ursache finden. D.h. jede Idee und jede Erfindung einer moeglichen Wirkung duerfte voellig willkuerlich bleiben. Und selbst dann, wenn ich die Wirkung einer bestimmten Ursache kenne, bleibt die Verbindung mit der Ursache genauso willkuerlich, weil es denkbar und vorstellbar ist, dass es viele andere Wirkungen gibt. Meint man also, dass man ein Ereignis ohne Hinsehen und Erfahrung im Voraus bestimmen oder Ursache und Wirkung schlussfolgern koenne, so entbehrt dies jeder Grundlage.

Menschen können schlussfolgern,  Ereignismuster bilden, aber keine Letztbegründungen finden.

Diese Sachverhalte verwehren es einem nachdenklichen Philosophen, dem die Grenzen seines Denkens bekannt sind, zu behaupten, er koenne die letzte Ursache irgendeines Naturereignisses bezeichnen oder die exakte Wirkung demonstrieren, die infolge der Ursache geschieht, die jedes Ereignis im Universum herstellt. Die hoechste Leistung, die wir denkend dabei erbringen koennen, ist durch Schlussfolgerungen aus Analogie, Erfahrung und Hinsehen die Menge der Ereignismuster, die wir an den Naturphaenomenen feststellen, auf einige einfache zu reduzieren und die vielen einzelnen Wirkungen auf einige wenige allgemeine Ursachen zu beziehen. Die Ursachen dieser allgemeinen Ursachen entdecken zu wollen, scheint mir ein vergebliches Unterfangen, ausserdem duerften wir wohl kaum Erklaerungen finden, die uns wirklich zufrieden stellen duerften. Diese letzten Anfaenge und Prinzipien duerften unserem Forscherdrang und unseren Forschungen nicht zugaenglich sein.