Menschenwissenschaft I



Humes Anregungen einer WISSENSCHAFT UEBER DEN MENSCHEN werden seit Jahrhunderten uebersehen. Nur wenige sagen es laut, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse ‚menschengemacht sind‘. Was laege da naeher, als zu untersuchen, wie Menschen zu ihren Forschungsergebnissen kommen? Hume machte es vor, wie so eine Menschenwissenschaft aussehen könnte.


Transposition

Abhandlung ueber die menschliche Natur

Einleitung

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Ich habe festgestellt, dass alle Wissenschaften mehr oder weniger eine Beziehung zur menschlichen Natur haben. Wie weit sie sich auch davon entfernen moegen, auf dem einen oder anderen Weg kehren sie zu ihr zurueck. Sogar Mathematik, Naturwissenschaft und natuerliche Religion haengen gewissermaßen von der Wissenschaft ueber den Menschen ab. Wissenschaftliche Ergebnisse ergeben sich naemlich aus dem, was Menschen perzipieren (bzw. sensorieren). Außerdem werden die Ergebnisse nur in der Art und Weise interpretiert, wie Menschen sie im Rahmen ihrer jeweiligen persoenlichen Moeglichkeiten und Faehigkeiten zu begreifen in der Lage sind. Es ist daher unmoeglich, vorherzusagen, welche Entwicklungen und Verbesserungen in den Wissenschaften moeglich waeren, waere durchweg bekannt, bis zu welchem Grad und wie sich Menschen beobachtbare und erforschbare Ereignisse begreifbar machen, d.h. gemaeß welcher Gesetzmaeßigkeiten ‚human understanding‘ zu stande kommt.

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Wenn im Hinblick auf die moegliche Bedeutung des oben skizzierten ‚human understanding’ die Wissenschaften Mathematik, Naturwissenschaften und ’natuerliche Religion‘ entsprechend abhaengig von Kenntnissen ueber den Menschen sind, was duerfte dann fuer die anderen Wissenschaften erwartet werden koennen, deren Verbindung mit der menschlichen Natur enger und eigentlicher sind? Um diese Frage beantworten zu koennen, waere auch fuer sie darzulegen, auf welchen natuerlichen Grundlagen und in welcher Art und Weise Menschen ihre Ueberlegungen anstellen. Außerdem waere zu klaeren, wie unsere ‚ideas’ beschaffen sind. Im Hinblick auf moralische Fragen waere zu erlaeutern, wie Menschen sich ein allgemein akzeptiertes Verhalten aneignen. Dazu gehoert auch die Behandlung von Fragen im Hinblick auf Beduerfnis-, Interessen- und Gefuehlslagen, ebenso wie natuerliche Grundlagen oeffentlicher zwischenmenschlicher Beziehungen, die davon ausgehen, dass Menschen gesellschaftsweit miteinander verbunden und voneinander abhaengig sind.

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Ich gehe daher davon aus: Um zu verwertbaren Ergebnissen kommen zu koennen, duerfte die Untersuchung des ‚human understanding‘ das einzige erfolgreiche Mittel fuer meine philosophischen Forschungen sein. … Indem ich so die menschliche Natur selber untersuche, wende ich mich unmittelbar dem zentralen Bezugspunkt jeder dieser Wissenschaften zu … Wenn es mir gelingt, in der menschlichen Natur grundlegende Prinzipien des ‚human understanding‘ zu entdecken, duerfte es ohne weiteres moeglich sein, diese Kenntnisse auf andere Wissenschaften erfolgreich anzuwenden. Von da aus duerften diese Kenntnisse auf alle jene Wissenschaften ausgedehnt werden koennen, die sich eingehend mit dem menschlichen Leben beschaeftigen. Im Anschluss daran duerften ohne Probleme die Kenntnisse vollstaendiger entdeckt werden koennen, die sich durch Gegenstaende bloßer Faszination ergeben. Ich behaupte, es gibt einerseits keine Frage von Belang, deren Antwort nicht in der Wissenschaft ueber den MENSCHEN enthalten sein duerfte. Andererseits duerfte keine Frage zutreffend beantwortet werden koennen, bevor diese Wissenschaft nicht bekannt ist. Wenn ich also vorhabe, die Grundlagen der menschlichen Natur zu offen zu legen, habe ich vor ein komplettes wissenschaftliches Gebaeude zu entwerfen, das auf einer fast voellig neuen Basis steht. Die einzige, wie ich annehme, von der aus einigermaßen gesichert geforscht werden kann.

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Wenn die Wissenschaft ueber den Menschen die einzige ergiebige Basis fuer alle anderen Wissenschaften sein soll, dann sind Erforschen* und Beobachten die einzig moegliche Basis fuer sie selber.

*experience wird mit einer lexikalisch moeglichen Variante wiedergegeben, die eine philosophiehistorische Kritik mit einschließt. Die philosophiegeschichtlichen Kategorien „Empirismus“, „Empirie“ bzw. „Empiriker“ , die haeufig aus erkenntnistheoretischer Sicht auf Hume angewandt wird, scheinen mir ohne naeheres Hinsehen auf das, was Hume im Kontext zu ‚experience‘ ausfuehrt, geeignet das Missverstaendnis zu erzeugen, Hume habe sich mit erkenntnistheoretischen Fragen beschaeftigt.

Orginal

Treatise of Human Nature

Introduction

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’Tis evident, that all the sciences have a relation, greater or less, to human nature; and that however wide any of them may seem to run from it, they still return back by one passage or another. Even Mathematics, Natural Philosophy, and Natural Religion, are in some measure dependent on the science of Man; since they lie under the cognizance of men, and are judged of by their powers and faculties. ’Tis impossible to tell what changes and improvements we might make in these sciences were we thoroughly acquainted with the extent and force of human understanding, and cou’d explain the nature of the ideas we employ, and of the operations we perform in our reasonings.

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If therefore the sciences of Mathematics, Natural Philosophy, and Natural Religion, have such a dependence on the knowledge of man, what may be expected in the other sciences, whose connexion with human nature is more close and intimate? The sole end of logic is to explain the principles and operations of our reasoning faculty, and the nature of our ideas: morals and criticism regard our tastes and sentiments: and politics consider men as united in society, and dependent on each other.


6 Here then is the only expedient, from which we can hope for success in our philosophical researches, to leave the tedious lingring method, which we have hitherto followed, and instead of taking now and then a castle or village on the frontier, to march up directly to the capital or center of these sciences, to human nature itself; which being once masters of, we may every where else hope for an easy victory. From this station we may extend our conquests over all those sciences, which more intimately concern human life, and may afterwards proceed at leisure to discover more fully those, which are the objects of pure curiosity. There is no question of importance, whose decision is not compriz’d in the science of man; and there is none, which can be decided with any certainty, before we become acquainted with that science. In pretending therefore to explain the principles of human nature, we in effect propose a compleat system of the sciences, built on a foundation almost entirely new, and the only one upon which they can stand with any security.  7 And as the science of man is the only solid foundation for the other sciences, so the only solid foundation we can give to this science itself must be laid on experience* and observation.  *An act of knowledge, one or more, by which single facts or general truths are ascertained; experimental knowledge; (Webster’s Revised Unabridged Dictionary)


			

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