Irrtuemer 3


Hume’s unentdeckte Sachlichkeit

Die sehr weitreichenden Anregungen Humes fuer ‚handeln‘ Einzelner und fuer gemeinsames ‚handeln‘ von Gemeinschaften wurden in der Humeforschung bisher noch nicht bemerkt. In der Mitte des letzten Jahrhunderts – mit Gruendung der Hume Society – begann man Hume in einem internationalen Rahmen zu interpretieren. Humeforscher befassten sich seitdem mit Einzelfragen -„Stueckwerkinterpretationen“ (Streminger) – und Interpretationsproblemen, die m. E. die Sache Humes nur in Annaeherungsgraden erreichten. Mit der Entscheidung Hume ausgehend vom anatomischem Wissenstand seiner und dem neurobiologischen unserer Zeit zu interpretieren, glauben Rolf Reinhold und ich eine Basis gefunden zu haben, die Interpretationen moeglich machen koennte, die in der Sache treffender und fuer den Forschungsdiskurs anregender sein koennten. Bis jetzt machte man keinen Gebrauch von ähnlichen Hume-Rezeptionen wie sie z.B. bei Lossius und Ulrich, Mach und Wahle zu finden sind.  Humes Aussagen z.B. ueber ‚Kausalitaet‘ wurden als neue Kausalitaetstheorie aufgefasst (vgl. Paul Richter (1923): David Humes Kausalitaetstheorie. Bibliobazar 2009; Robert Gray A Refutation of Hume’s Theory of Causality. Hume Studies Volume 2, Number 2 (November, 1976), 76-85. Astrid von der Luehe (1993): David Humes aesthetische Kritik. Hamburg 1996, S. 26   ; ) . Humes Beschreibung des Sachverhaltes (‚beschreiben‘ dessen, was ‚ich sehe und berühre‘ unterscheidet sich m. E. von ‚theoretisieren‘!), dass Kausalitaet eine gewohnheitsmaeszige Annahme im Hinblick auf eine Reihe aehnlicher Ereignisse sei, geriet dabei aus dem Blick – ebenso die moeglichen Folgen dieser Annahme fuer wissenschaftliches und alltaegliches ‚handeln‘. Man beschaeftigte sich – statt mit einer interpretatorischen Einordnung seiner Auffassung von Kausalitaet in seine umfassenden Gedankengaenge – damit, den von Hume beschriebenen Sachverhalt von ‚Ursache‘ und ‚Folge‘  im metaphysischen Sinne als ‚Ursache-Wirkungs-Zusammenhang‘ zu diskutieren, zu kritisieren und zu widerlegen. Aus physistisch gepraegter Sicht war man wieder in der traditionellen Metaphysik und der Erkenntnistheorie gelandet. Davon hatte Hume sich schon vor Erscheinen der ABHANDLUNG (vgl. Brief an einen Arzt) abgesetzt. Seine ‚metaphysical reasonings‘ – die er fuer seine ‚principles‘ brauchte – haben den Charakter von ‚Ueberlegungen‘ und sie beziehen sich ausdruecklich auf seine Beobachtungen, nicht auf Theorien und vermutlich auch nicht auf einen ‚Raum des Bewusstseins‘: Jahrelang hat – was in diesem Zusammenhang auch interessant sein koennte – eine Reihe von international taetigen Forschern sich u. a. darueber den Kopf zerbrochen, ob Hume moeglicherweise seine Aussagen im TREATISE spaeter widerrufen habe. Der konkrete Anlass dafuer war eine einzige Textstelle (‚Announcement‘ zur „Untersuchung ueber den menschlichen Verstand“), die entgegen dem Kontext missinterpretiert wurde. William Edward Morris (Stanford Enzyclopedia of Philosophy) u.a. waren hier inzwischen aufklaerend taetig. Es koennte aber sein, dass einmal erfolgte metaphysisch geprägte Interpretationen Humescher Texte fuer die Interpreten nicht rational korrigierbar sind.

Dass Hume im besten Sinne als Skeptiker, naemlich vom ‚hinsehen‘ ausgehend philosophierte, wurde und wird z. B. unter der Behauptung begraben, er sei ein „titanenhafter Zerstoerer“ gewesen. Sofern darin die Betroffenheit von Metaphysikern bei der Lektuere Humes zum Ausdruck kommt, ist diese Behauptung fuer mich nachvollziehbar. Im wissenschaftlichen Bereich hat diese weitreichende Folgen, deren Preis hoch ist. Unzutreffende Sichten koennen unbeirrt weiter vermittelt werden. In der Folge verhindern solche Bewertungen interpretatorische und wissenschaftliche Weiterentwicklung. Auch Weltbilder koennen gesellschaftsweit so nicht veraendert werden, da bestimmte Aspekte gar nicht bemerkt werden duerfen und daher im professionellen und gesellschaftlichen Diskurs nicht auftauchen. Die interpretatorische Sicht, Hume habe statt Philosophie Psychologie betrieben, duerfte ein Beispiel fuer die Art von folgenreichem Irrtümern sein koennen, die von der Mehrheit der Fachleute seit Jahrhunderten einmuetig vertreten wird.

Beruehmte Philosophen haben Missverstaendnisse verbreitet. Humes „experimentelle Empirie“ leistete laut Bertrand Russell (1872-1970) und Karl Popper (1902-1994) einem „zerstoererischen Irrationalismus Vorschub“ (Wiesing ebd. S. 412.).  Dies   koennten die unbemerkt gebliebenen Folgen einer irrtuemlichen Auffassung der Bezeichnungen „Skeptizismus“ und „Skepsis“ sein. Der entscheidende Irrtum koennte darin bestehen, eine bestimmte selbstverstaendliche Auffassung ueber die Philosophie des Pyrrhon (365–360 v. Chr. bis ungefaehr 275–270 v. Chr.)  bzw. ueber die pyrrhonische Skepsis, Hume zu unterstellen, bzw. davon auszugehen, dass er Pyrrhoneer gewesen sei. Die phyrronische Skepsis stand und steht seit Jahrhunderten in dem Ruf, in die Sackgasse der voelligen Ungewissheit und Urteilsunfaehigkeit zu fuehren. (vgl.Jens Kuhlenkampf. David Hume: Eine Untersuchung ueber den menschlichen Verstand. Berlin 1997,S. 248ff. )

Hume selber hielt es fuer ausgeschlossen und duerfte es so fuer sich ebenfalls ausgeschlossen haben, dass es – so wie man Skeptiker charakterisierte – je einen solchen Menschen gegeben hat oder gibt, „… der weder eine eigene Meinung, noch eigene Grundsaetze hat, noch je ueber Handeln Theorien zu bilden in der Lage sei.“ (Untersuchung ueber den menschlichen Verstand XII,2.) Die Skepsis des ‚hinsehen‘ auf die Sache hielt Hume dagegen fuer unverzichtbar: „Eine an der Sache sich bemessende Skepsis scheint mir sehr plausibel, denn sie sorgt fuer die Unvoreingenommenheit meiner Urteilsfaehigkeit und entzieht mir alle jene Vorurteile, die ich durch Erziehung oder voreiliges Meinen uebernommen habe. Ich beginne mit klaren und sich aus der Sache ergebenden Grundannahmen, gehe behutsam und jeden Schritt sichernd weiter, ueberdenke immer wieder meine Schlussfolgerungen und pruefe die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen sehr genau. … ich halte dies fuer die einzige Methode, durch die ich hoffen kann, Zutreffendes herauszufinden und einigermaszen dauerhafte und gut begruendete Aussagen machen zu koennen.“ (ebd. XII,4)

Menschenwissenschaft IV



Forschen besteht im ‚perzipieren‘ (‚wahrnehmen’=’sensorieren‘) und ‚reasoning‘ (‚ueberlegen‘), was Hume auch mit ‚experience‘ bezeichnet. Im Unterschied zu Naturwissenschaftlern koennen MENSCHENWISSENSCHAFTLER (Philosophen) keine vorbereitete Laborsituation erforschen, sondern sie sind darauf angewiesen von den Situationen Gebrauch zu machen, die der Alltag hergibt. Erst wenn dieses Beobachten den Grad der Saettigung fuer den Beobachter erreicht hat, kann damit begonnen werden ‚principles‘ zu finden.  

 „Keine Wissenschaft laesst sich ohne Forschen begruenden, kein Prinzip kann Basis fuer anderes sein, das auf diese Autoritaet* verzichtet. Die Philosophie des Inner- und Zwischenmenschlichen hat folgenden spezifischen Nachteil, der sich nicht in den Naturwissenschaften findet. Er besteht darin, dass ich das, was ich im Einzelnen erforscht habe, erst einmal sammeln musste, ohne mir bereits im Vorwege darueber klar werden zu koennen, was ich naeher untersuchen moechte. Erst im Anschluss an das Sammeln, wenn gleichsam bei mir eine Art Saettigung eingetreten war, habe ich mich mit dem jeweiligen Problem beschaeftigt, das sich dabei fuer mich aufgetan hatte. In den Naturwissenschaften kann ich, wenn ich die Wirkungen eines Koerpers auf einen anderen in irgendeiner Situation kennen lernen moechte, die beiden Koerper in die gewuenschte Situation bringen und beobachten, was sich daraus ergibt. Vergleichbares ist in der Philosophie des Inner- und Zwischenmenschlichen nicht moeglich: Ich kann nicht mich selber und das, was ich beobachte auf gleiche oder aehnliche Weise zusammenbringen. Die dazu noetige Reflexion und planende Vorgehensweise duerfte die Funktion meiner natuerlichen Gesetzmaeßigkeiten derart stoeren, so dass es mir unmoeglich waere, irgendwelche zutreffenden Schlussfolgerungen aus dem Phaenomen zu ziehen. Ich musste deshalb meine Forschungen in dieser Wissenschaft auf partielle, aufmerksame Beobachtungen des menschlichen Lebens stuetzen, wie das Verhalten von Menschen untereinander, bei Familien-, Geschaefts- und anderen Angelegenheiten und bei Vergnuegungen und musste sie so nehmen, wie sie sich mir im alltaeglichen Lauf der Welt zeigten. “ (Abh.Einl.10)

 „None of them [sciences and arts] can go beyond experience, or establish any principles which are not founded on that authority. Moral philosophy has, indeed, this peculiar disadvantage, which is not found in natural, that in collecting its experiments, it cannot make them purposely, with premeditation, and after such a manner as to satisfy itself concerning every particular difficulty which may arise. When I am at a loss to know the effects of one body upon another in any situation, I need only put them in that situation, and observe what results from it. But should I endeavour to clear up after the same manner any doubt in moral philosophy, by placing myself in the same case with that which I consider, ’tis evident this reflection and premeditation would so disturb the operation of my natural principles, as must render it impossible to form any just conclusion from the phaenomenon. We must therefore glean up our experiments in this science from a cautious observation of human life, and take them as they appear in the common course of the world, by men’s behaviour in company, in affairs, and in their pleasures.“ (Treat.Intro.10)

Menschenwissenschaft III


 

Hume wollte mit seiner MENSCHENWISSENSCHAFT sowohl die wissenschaftliche, gesellschaftliche und persoenliche Welt auf eine neue Basis stellen.

Seine ABHANDLUNG UEBER DIE MENSCHLICHE NATUR dokumentiert sowohl eine Vielzahl von Sachverhalten als auch seine Art und Weise darueber nachzudenken, außerdem entsprechende Ergebnisse, die er ueberwiegend als ‚principles‘ bezeichnet. Diese ‚principles‘ sind eine Art von Behauptungen von Mustern menschlichen Verhaltens , denen er Begruendungen (reasons) zuordnet, die sich im Kontext seines Hinsehens auf menschliches Verhalten (sein eigenes mit eingeschlossen) fuer ihn ergeben haben.

 Dieses Philosophieren scheint ohne langatmige, weitlaeufige Eroerterungen nicht auszukommen. Seine „experimental reasonings“, die die Abhandlung ueber die menschliche Natur und andere seiner Schriften fuellen, sind nicht „… leicht und muehelos zu begreifen“(Abh.Einl.3). Dies duerfte u. a. daran liegen, dass beim Ueberlegen vieles beruecksichtigt wird, um das ‚principle‘ zutreffend und brauchbar herzustellen. ‚principles‘, die so entstehen, sind nicht fuer die Ewigkeit geschaffen, sondern fuer den sich kontinuierlich veraendernden Alltag von Menschen. Charakterisierungen wie „Wissen“ und „Erkenntnisse“ kommen fuer sie nicht in Frage, denn diese beanspruchen Gewissheit. ‚principles‘ duerften eher ‚begruendete Vermutungen‘ sein, die wie Hume sich aeußert, vom ‚freizuegigen Eingestaendnis meiner Unwissenheit‘ getragen werden (Abh.Einl.10) Sie sind jederzeit revidierbar und veraenderbar. Dass Revidieren und Veraendern im Diskurs mit der „Gelehrtenrepublik“ seiner Zeit gelaenge, wuenschte sich Hume fuer die Veroeffentlichung seines TREATISE.

Es entsprach vermutlich seiner Auffassung von seiner Menschenwissenschaft genauso wie von Wissenschaft ueberhaupt, dass sie ein niemals endendes Forschen kennzeichnet. In unseren Wissenschaften ist immer noch von Zielen, Erkenntnissen und Fortschritt die Rede, sodass der Eindruck entsteht, Wissenschaftler glaubten, dass sie irgendwann einmal alle Raetsel der Welt geloest haben duerften. Ganz anders Hume: „Und obwohl ich anstrebe alle erreichbaren ‚principles‘ so allgemeingueltig wie moeglich zu fassen, indem ich der jeweiligen zu erforschenden Fragestellung bis in jedes Detail nachgegangen bin und dabei alle Ergebnisse auf elementarste und eine minimale Anzahl von Ursachen zurueckgefuehrt habe, bin ich sicher, dass das Erforschen der menschlichen Natur nie enden wird. Denn jede Hypothese, von der angenommen wird, dass sie die allerletzten urspruenglichen Eigenschaften der menschlichen Natur zum Vorschein bringen soll, ist ohne Hinsehen auf Sachverhalte als vorurteilsbehaftet und der Fantasie entsprungen abzulehnen.“ (Abh.Einl.8) Es scheint so, dass menschliche Sichtweisen und Sachverhalte sich staendig aendern. Davon auszugehen, dass wissenschaftliche und alltaegliche Kenntnisse je an ein Ende kommen, hieße diese Realitaet zu ignorieren.     

 

Menschenwissenschaft II

Es ist … unmoeglich, vorherzusagen, welche Entwicklungen und Verbesserungen in den Wissenschaften moeglich waeren, waere durchweg bekannt, in welchem Maße und wie sich Menschen beobachtbare und erforschbare Ereignisse begreifbar machen, d.h. gemaeß welcher Gesetzmaeßigkeiten ‘human understanding’ zu stande kommt.(Abhandlung, Einleitung 4).

Es duerfte Menschen geben, die sagen: Aber das sind doch selbstverstaendliche Sachverhalte, die jeder kennt und sich abwenden. Es duerfte allgemein zu wenig bekannt sein, wie es in den Wissenschaften zugeht. Nachrichten darueber, dass Wissenschaftler betruegen, indem sie die von ihnen gewuenschten Ergebnisse selber produzieren, ohne die Realitaet zu befragen, halten sie fuer Ausnahmen, was zutreffend sein duerfte. Im Allgemeinen behalten sie ihr Vertrauen in wissenschaftliche Aussagen, ohne sich durch Wissenschaftsskandale zum Nachdenken anregen zu lassen. Moeglicherweise entspricht dies einem weit verbreiteten Sicherheitsbeduerfnis, Selbstverstaendliches behalten zu wollen. Selbstverstaendliches wurde hart erworben. Menschen werden von klein auf dazu angehalten, die Dinge so zu sehen, wie andere sie sehen, wie die Mehrheit sie sieht, anstatt dazu angehalten zu werden, ihren eigenen Augen zu trauen und die Schluesse, die sie daraus ziehen, zur Grundlage eigenen Handelns zu machen. Hume gehoerte zu diesen Menschen und Philosophen, die nur das für zutreffend akzeptieren, was sie selber beobachtet und reflektiert haben. Er verkoerperte ‚Aufklaerung‘ (Enlightment) in einer Art und Weise, wie sie Kant später nicht erreichte. Kants Aufruf, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, galt nur innerhalb von tradierten Sichtweisen und Werten für Denken und Handeln.  Humes Ansatz transzendiert, indem er dem Hinsehen den Vorzug vor Theorien gibt.

Menschen erlaeutern zu wollen, was es fuer die Wissenschaften heute fuer Folgen haben kann, wenn individuelle Moeglichkeiten, Faehigkeiten und Sichtweisen, außerdem allgemein menschliche Prinzipien des Wahrnehmens und Auswertens ihre Ergebnisse bestimmen, ist schwierig. In der Regel wird gesagt, wenn dieses Thema beruehrt wird: „Ja, wir wissen alle, dass unser Wissen subjektiv ist!“ oder so aehnlich. Dann gehen Menschen zur Tagesordnung ueber und behandeln wissenschaftliche Ergebnisse und das Wissen der Wissensgesellschaft so, als haetten sie Objektives vor sich. Damit folgen Laien und Wissenschaftler dem kulturellen Selbstverstaendnis, u. a. darueber was ‚richtig‘ und ‚falsch‘ ist, das sie von Kindesbeinen an uebernommen haben. Dieser Sachverhalt verbindet Wissenschaftler und Laien und duerfte vertrauensbildend wirken. Darin besteht im Wesentlichen die Schwierigkeit des Erlaeuterns.

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der ‚immensen Erlaeuterungsbeduerftigkeit‘ der MENSCHENWISSENSCHAFT. Dies wird am Umfang der ABHANDLUNG UEBER DIE MENSCHLICHE NATUR deutlich und zeigt sich in allen seinen weitschweifigen Erlaeuterungen. Damit nahm Hume 1739 in Kauf, dass andere schon deshalb keinen Blick in seine Abhandlung werfen wuerden. Aus seiner Sicht waren langwierige Erlaeuterungen in der Sache unumgehbar. Erst als seine ABHANDLUNG keine Resonanz fand, entschloss er sich den ersten Band seiner ABHANDLUNG verkuerzt unter dem Titel EINE UNTERSUCHUNG UEBER DEN MENSCHLICHEN VERSTAND herauszugeben. Diese Veroeffentlichung duerfte die unter deutschsprachigen Philosophen am besten bekannte Schrift Humes im 18. Jahrhundert gewesen sein. Heute liegen deutsche Uebersetzungen der meisten seiner Schriften vor. Doch die Hume-Forschung steckt in den Kinderschuhen.

„Seine Philosophie …, so Nobelpreistraeger Bertrand Russell, … fuehre in eine Sackgasse: ‚In der von ihm eingeschlagenen Richtung kommt man keinen Schritt weiter.'“ (Berliner Zeitung)
Das Unternehmen ‚revisiting Hume‘, das in diesem Blog vorgestellt wird, moechte dieses vernichtende Urteil Russells abschuetteln helfen, das die philosophische Zunft mehrheitlich teilt.

Humes MENSCHENWISSENSCHAFTEN gehen vom Beobachten aus. Seine Ueberlegungen (‚reasonings‘), seine Prinzipien und Regeln der menschlichen Natur sind durch Hinsehen auf alltaegliches Verhalten von Menschen gewonnen. Er betrachtete seine Ergebnisse nicht als der ‚Weisheit letzter Schluss‘. Was ihn deutlich und positiv von vielen Philosophen unterscheidet. Er handelt nicht mit „Letztbegruendungen“. Denn damit vermeide ich klugerweise jenen Irrtum, den so viele begehen, wenn sie ihre Spekulationen und Behauptungen ueber die Welt als deren mit Sicherheit einzig richtigen Prinzipien hinstellen.“ (Abhandlung, Einleitung 9)

Letzte Sicherheit duerfte es fuer den Menschen nicht geben. Wohl aber Prinzipien – so wie Hume sie fand – , die Anleitung geben koennen. Im Uebrigen scheint seine Philosophie ein Angebot zum Gespraech mit anderen sein, die aehnlich wie er von ‚in der Sache begruendeten Behauptungen‘ ausgehen, die sich fuer sie durch ‚hinsehen‘ auf die Sachen ergeben haben.

„Da ich diese Forschungen umsichtig gesammelt und eingehend verglichen haben, gehe ich davon aus, dass ich darauf eine Wissenschaft gruenden kann, die sich zwar nicht durch Gewissheit auszeichnet, wohl aber nuetzlicher als alles andere sein duerfte, was Menschen sich aneignen koennen.“ (Abhandlung, Einleitung 10)   

 

Menschenwissenschaft I



Humes Anregungen einer WISSENSCHAFT UEBER DEN MENSCHEN werden seit Jahrhunderten uebersehen. Nur wenige sagen es laut, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse ‚menschengemacht sind‘. Was laege da naeher, als zu untersuchen, wie Menschen zu ihren Forschungsergebnissen kommen? Hume machte es vor, wie so eine Menschenwissenschaft aussehen könnte.


Transposition

Abhandlung ueber die menschliche Natur

Einleitung

4
Ich habe festgestellt, dass alle Wissenschaften mehr oder weniger eine Beziehung zur menschlichen Natur haben. Wie weit sie sich auch davon entfernen moegen, auf dem einen oder anderen Weg kehren sie zu ihr zurueck. Sogar Mathematik, Naturwissenschaft und natuerliche Religion haengen gewissermaßen von der Wissenschaft ueber den Menschen ab. Wissenschaftliche Ergebnisse ergeben sich naemlich aus dem, was Menschen perzipieren (bzw. sensorieren). Außerdem werden die Ergebnisse nur in der Art und Weise interpretiert, wie Menschen sie im Rahmen ihrer jeweiligen persoenlichen Moeglichkeiten und Faehigkeiten zu begreifen in der Lage sind. Es ist daher unmoeglich, vorherzusagen, welche Entwicklungen und Verbesserungen in den Wissenschaften moeglich waeren, waere durchweg bekannt, bis zu welchem Grad und wie sich Menschen beobachtbare und erforschbare Ereignisse begreifbar machen, d.h. gemaeß welcher Gesetzmaeßigkeiten ‚human understanding‘ zu stande kommt.

5
Wenn im Hinblick auf die moegliche Bedeutung des oben skizzierten ‚human understanding’ die Wissenschaften Mathematik, Naturwissenschaften und ’natuerliche Religion‘ entsprechend abhaengig von Kenntnissen ueber den Menschen sind, was duerfte dann fuer die anderen Wissenschaften erwartet werden koennen, deren Verbindung mit der menschlichen Natur enger und eigentlicher sind? Um diese Frage beantworten zu koennen, waere auch fuer sie darzulegen, auf welchen natuerlichen Grundlagen und in welcher Art und Weise Menschen ihre Ueberlegungen anstellen. Außerdem waere zu klaeren, wie unsere ‚ideas’ beschaffen sind. Im Hinblick auf moralische Fragen waere zu erlaeutern, wie Menschen sich ein allgemein akzeptiertes Verhalten aneignen. Dazu gehoert auch die Behandlung von Fragen im Hinblick auf Beduerfnis-, Interessen- und Gefuehlslagen, ebenso wie natuerliche Grundlagen oeffentlicher zwischenmenschlicher Beziehungen, die davon ausgehen, dass Menschen gesellschaftsweit miteinander verbunden und voneinander abhaengig sind.

6
Ich gehe daher davon aus: Um zu verwertbaren Ergebnissen kommen zu koennen, duerfte die Untersuchung des ‚human understanding‘ das einzige erfolgreiche Mittel fuer meine philosophischen Forschungen sein. … Indem ich so die menschliche Natur selber untersuche, wende ich mich unmittelbar dem zentralen Bezugspunkt jeder dieser Wissenschaften zu … Wenn es mir gelingt, in der menschlichen Natur grundlegende Prinzipien des ‚human understanding‘ zu entdecken, duerfte es ohne weiteres moeglich sein, diese Kenntnisse auf andere Wissenschaften erfolgreich anzuwenden. Von da aus duerften diese Kenntnisse auf alle jene Wissenschaften ausgedehnt werden koennen, die sich eingehend mit dem menschlichen Leben beschaeftigen. Im Anschluss daran duerften ohne Probleme die Kenntnisse vollstaendiger entdeckt werden koennen, die sich durch Gegenstaende bloßer Faszination ergeben. Ich behaupte, es gibt einerseits keine Frage von Belang, deren Antwort nicht in der Wissenschaft ueber den MENSCHEN enthalten sein duerfte. Andererseits duerfte keine Frage zutreffend beantwortet werden koennen, bevor diese Wissenschaft nicht bekannt ist. Wenn ich also vorhabe, die Grundlagen der menschlichen Natur zu offen zu legen, habe ich vor ein komplettes wissenschaftliches Gebaeude zu entwerfen, das auf einer fast voellig neuen Basis steht. Die einzige, wie ich annehme, von der aus einigermaßen gesichert geforscht werden kann.

7
Wenn die Wissenschaft ueber den Menschen die einzige ergiebige Basis fuer alle anderen Wissenschaften sein soll, dann sind Erforschen* und Beobachten die einzig moegliche Basis fuer sie selber.

*experience wird mit einer lexikalisch moeglichen Variante wiedergegeben, die eine philosophiehistorische Kritik mit einschließt. Die philosophiegeschichtlichen Kategorien „Empirismus“, „Empirie“ bzw. „Empiriker“ , die haeufig aus erkenntnistheoretischer Sicht auf Hume angewandt wird, scheinen mir ohne naeheres Hinsehen auf das, was Hume im Kontext zu ‚experience‘ ausfuehrt, geeignet das Missverstaendnis zu erzeugen, Hume habe sich mit erkenntnistheoretischen Fragen beschaeftigt.

Orginal

Treatise of Human Nature

Introduction

4

’Tis evident, that all the sciences have a relation, greater or less, to human nature; and that however wide any of them may seem to run from it, they still return back by one passage or another. Even Mathematics, Natural Philosophy, and Natural Religion, are in some measure dependent on the science of Man; since they lie under the cognizance of men, and are judged of by their powers and faculties. ’Tis impossible to tell what changes and improvements we might make in these sciences were we thoroughly acquainted with the extent and force of human understanding, and cou’d explain the nature of the ideas we employ, and of the operations we perform in our reasonings.

5
If therefore the sciences of Mathematics, Natural Philosophy, and Natural Religion, have such a dependence on the knowledge of man, what may be expected in the other sciences, whose connexion with human nature is more close and intimate? The sole end of logic is to explain the principles and operations of our reasoning faculty, and the nature of our ideas: morals and criticism regard our tastes and sentiments: and politics consider men as united in society, and dependent on each other.


6 Here then is the only expedient, from which we can hope for success in our philosophical researches, to leave the tedious lingring method, which we have hitherto followed, and instead of taking now and then a castle or village on the frontier, to march up directly to the capital or center of these sciences, to human nature itself; which being once masters of, we may every where else hope for an easy victory. From this station we may extend our conquests over all those sciences, which more intimately concern human life, and may afterwards proceed at leisure to discover more fully those, which are the objects of pure curiosity. There is no question of importance, whose decision is not compriz’d in the science of man; and there is none, which can be decided with any certainty, before we become acquainted with that science. In pretending therefore to explain the principles of human nature, we in effect propose a compleat system of the sciences, built on a foundation almost entirely new, and the only one upon which they can stand with any security.  7 And as the science of man is the only solid foundation for the other sciences, so the only solid foundation we can give to this science itself must be laid on experience* and observation.  *An act of knowledge, one or more, by which single facts or general truths are ascertained; experimental knowledge; (Webster’s Revised Unabridged Dictionary)


			

Resuemee: sympathy = sympathizing




’sympathizing‘ als Grundprinzip interindividueller Kontakte

Menschen teilen im Kontakt das miteinander, was sie sensorieren, schrieb Hume einleitend. Dieses Verhalten bezeichnete er als ’sympathizing‘. Etwas von ’sympathize‘ duerfte noch im gegenwaertigen Wortgebrauch von ‚Sympathisanten‘ bzw. ‚mit anderen sympathisieren‘ anklingen, wenn auch mit der Mitbedeutung ‚parteiisch‘. Hume scheint damit aber – unabhaengig von Zustimmung oder Ablehnung – ein Grundprinzip menschlichen Kontaktverhaltens zu bezeichnen. ’sympathize‘ zeige sich darin, dass Menschen Einstellungen und Empfindungen anderer erst einmal offen und positiv aufnehmen, auch wenn sie von den eigenen abweichen. Besonders deutlich ließe sich dies an Kindern beobachten, meinte Hume. Menschen neigten außerdem dazu, ihre Einstellungen und Empfindungen mit anderen Menschen abzustimmen. Dies koennte die Ursache dafuer sein, dass Menschen einer Nation ein uniformes Verhalten auspraegen. In einem Brief an einen Freund lassen sich einige Gedanken des 23jaehrigen Hume ueber den Unterschied zwischen Franzosen und Englaendern nachlesen, die dies illustrieren koennen (siehe ‚Politeness‘). Menschen erleben ferner im Kontakt mit anderen eine groeßere Empfindungsvielfalt als wenn sie alleine sind und werden im Kontakt mit anderen von deren Empfindungen angesteckt.

’sympathizing‘ heißt: Anzeichen von Empfindungen anderer rufen eigene Empfindungen hervor

Wie ist derartiges moeglich? fragte sich Hume, der sich davon nuetzliche Antworten fuer seine anthropologischen Forschungen versprach. Er fand eine Antwort, die viele von uns ueberraschen duerfte. Er meinte, dass jeder Einzelne anlaesslich der Wirkungen, die Empfindungen in Gesten, Mimik und Sprache hervorrufen – also die Anzeichen dieser Empfindungen -, im Kontakt mit anderen sensoriert. Dieses ’sensorieren‘ rufe blasse Vorstellungen beim Einzelnen hervor, anlaesslich derer Menschen Vermutungen darueber entwickeln, wie der andere im Moment empfindet. Die Staerke dieser Vorstellungen nehme derart zu, so dass wir schließlich den Eindruck haben, dasselbe zu empfinden wie unser Gegenueber. ‚Zeichen anderer bewirken, dass wir uns an Eigenes erinnern.‘ erlaeuterte Augustin Thagaste in seinem Dialog „ueber den Lehrer“.

sympathy‘ unterscheidet sich von Empathie

Heutzutage – und es spricht einiges dafuer, dass dies auch schon zu Humes Zeiten so gewesen sein koennte – ist allgemein die Vorstellung vorherrschend, wir koennten uns in andere einfuehlen, i.S. von ‚hineinversetzen‘. Es gibt dafuer die Bezeichnung ‚Empathie‘. Empathie wird oft sogar als Faehigkeit aufgefasst, die die einen haben und die anderen nicht, bzw. graduell unterschiedlich sei. Hume scheint dagegen festzustellen: Es sind nichts weiter als unsere eigenen Empfindungen, die wir ’sympathizing‘ sensorieren. Er schloss dies daraus, dass die Vorstellung von uns selber nur das umfasse, was zu uns selber gehoert. Das was zu einem anderen Menschen gehoere, liege jenseits dieser Vorstellung. Anlaesslich dieser Sachverhalte duerfe man annehmen, dass es fuer Menschen unmoeglich sei,  Empfindungen anderer zu empfinden. ‚Der Mensch begegnet ueberall nur sich selber.‘, aeußerte der Physiker Werner Heisenberg. ‚Fuer mich sind die Dinge so, wie ich sie empfinde und fuer dich so, wie du sie empfindest.‘ koennte Protagoras in abgewandelter Form des zweiten Teiles seines beruehmten ‚homo-mensura-Satzes‘ gesagt haben.

Rahmenbedingungen von ’sympathy‘

Dieses ’sympathizing‘ werde dadurch beguenstigt, dass Menschen physiologisch aehnlich funktionieren duerften. Ferner sei der unmittelbare Kontakt, seien enge Beziehungen, gemeinsame Gewohnheiten und gemeinsame Erziehung Bedingungen, die ’sympathizing‘ in einem hohen Maße ermoeglichten.

Ich folgere: Menschliche Empfindungen, deren Anzeichen wir außerhalb dieser guenstigen Bedingungen sensorieren, duerften uns daher mehr oder weniger fremd bleiben, da es uns nur in geringem Maße gelingt, zu Gesten, Mimik und Sprache anderer Nationen und Kulturen adaequate eigene Empfindungen zu erzeugen. Sich ueber diese Unterschiede Klarheit zu verschaffen und jenseits davon sich auf Gemeinsames zu einigen, duerfte dann vermutlich nuetzlich sein.

revisiting: sympathy 4


Transposition

Abhandlung ueber die menschliche Natur 2.1.11.5/6

2.1.11.5

Es scheint so zu sein, dass menschliche Individuen von Natur aus einander sehr aehnlich sind. Diese Aehnlichkeit macht es erklaerlich, dass ein ICH bei einem anderen ICH Empfindungen bzw. Muster von Empfindungen bemerkt, die es parallel dazu bei sich entdecken kann. Das Prinzip „Aehnlichkeit“ duerfte fuer die Denkfabrik „Gehirn“ wie fuer den Koerper gelten. Denn auch wenn Koerperteile von Individuen sich voneinander in Form und Groeße unterscheiden, so bleibt deren anatomische Beschaffenheit und Zusammenstellung im Allgemeinen gleich.

Die Aehnlichkeit zwischen Individuen duerfte fuer jedes ICH eine sehr große Rolle spielen und sie scheint trotz der Variationsvielfalt von Individuen bewahrt werden zu koennen. Die Aehnlichkeit zwischen Individuen duerfte sehr viel dazu beitragen koennen, dass ein ICH Zugang zu den Empfindungen eines anderen ICH erhaelt und nutzbringend und zu seiner eigenen Freude fuer die Kommunikation verwenden kann. Entsprechend scheint es die graduelle Wirksamkeit der Sympathie zu beeinflussen, wenn – außer der allgemeinen Aehnlichkeit natuerlicher Anlagen von Individuen – weitere spezifische Aehnlichkeiten wie Sitten, Charakter, Land und Sprache hinzukommen. Je enger der Kontakt durch diese Aehnlichkeiten zwischen einem ICH und einem anderen ICH ist, desto leichter duerfte ein ICH fantasierend einen Wechsel von den sensorierbaren Anzeichen der Empfindungen des anderen ICH zu seinen Empfindungen herbeifuehren koennen. Dieser Wechsel duerfte im Zusammenhang mit einer lebhaften Vorstellungs- und Empfangsbereitschaft stehen, die kontinuierlich eine Vorstellung von mir selber kreiirt.

2.1.11.6

Die Aehnlichkeit von Individuen duerfte aber nicht der einzige Zusammenhang sein, der auf diese Weise wirkt. Deren Wirkung duerfte auch von anderen Zusammenhaengen – die diese begleiten – verstaerkt werden koennen. Die Empfindungen eines anderen ICH haben einen geringen Einfluss auf mich, wenn es weit von mir entfernt sind. Es duerfte vermutlich der Kontext einer raeumlich nahen Gleichzeitigkeit noetig sein, um Empfindungen vollstaendig teilen zu koennen. Blutsverwandtschaftliche Beziehungen – eine Art kausaler Zusammenhang – duerften manchmal den gleichen Effekt haben, aehnlich wie jede Art zwischenmenschlicher Beziehungen, die in der gleichen, oben beschriebenen Weise etwas in Gang bringen duerften wie auch Erziehung und Gewohnheit. Dazu aber spaeter mehr.

Im Rahmen aller diese Beziehungen bzw. Zusammenhaenge duerfte es moeglich sein, eine ‚impression‘ d.h.eine lebhafte, starke eigene Empfindung auf die Vorstellung von Gefuehlen oder Empfindungen anderer zu uebertragen (zu der uns interindividuell sensorierbare Zeichen anregen), um so in der staerksten und lebhaftesten Art und Weise eigene Empfindungen zu empfangen.

Zu Beginn dieser Abhandlung habe ich festgestellt, dass alle schwachen und blassen Empfindungen (‚ideas‘) starke, lebhafte Empfindungen (‚impressions‘) nachahmen duerften. Beide Arten von Empfindungen unterscheiden sich lediglich durch die verschiedenen Grade ihrer Staerke und Lebhaftigkeit, die ein Mensch empfindet. Die Bestandteile der unterschiedlichen Empfindungen duerften gleich sein. Auch die Art und Weise der Konstellationen der beiden Empfindungsarten duerften einander entsprechen. Auch duerfte eine lebhafte ‚idea‘ von etwas sich immer einer ‚impression‘ annaehern koennen. Allein die Staerke bestimmter Fantasien z.B. kann einen Menschen sich krank fuehlen und Schmerzen empfinden lassen. Ja, er kann sorgar richtig krank werden, wenn er oft daran denkt.

Doch am bemerkenswertesten duerfte sein, dass es prinzipiell moeglich ist, denkend und fuehlend lebhafte ‚ideas‘ in eine ‚impression‘ zu verwandeln. Die eigenen Empfindungen duerften wahrscheinlich vom ICH abhaengen, d.h. von inneren Prozessen und Aktivitaeten des Individuums als von irgendeinem anderen aeuszeren Reiz. Begruendungen und Erklaerungen entstehen vermutlich gleichfalls durch fantasieren und kreiieren lebhafter ‚ideas‘.

Dies alles duerfte die Natur und die Ursache der Sympathie ausmachen. Auf diese Weise duerfte ein ICH zu begruendeten Vermutungen ueber Einstellungen und Empfindungen eines anderen ICH kommen koennen, wann immer es Anzeichen dafuer sensorieren kann.

Original

Treatise of Human Nature 2.1.11.5/6

2.1.11.5

Now ’tis obvious, that nature has preserv’d a great resemblance among all human creatures, and that we never remark any passion or principle in others, of which, in some degree or other, we may not find a parallel in ourselves. The case is the same with the fabric of the mind, as with that of the body. However the parts may differ in shape or size, their structure and composition are in general the same.

There is a very remarkable resemblance, which preserves itself amidst all their variety; and this resemblance must very much contribute to make us enter into the sentiments of others, and embrace them with facility and pleasure. Accordingly we find, that where, beside the general resemblance of our natures, there is any peculiar similarity in our manners, or character, or country, or language, it facilitates the sympathy. The stronger the relation is betwixt ourselves and any object, the more easily does the imagination make the transition, and convey to the related idea the vivacity of conception, with which we always form the idea of our own person.

2.1.11.6

Nor is resemblance the only relation, which has this effect, but receives new force from other relations, that may accompany it. The sentiments of others have little influence, when far remov’d from us, and require the relation of contiguity, to make them communicate themselves entirely. The relations of blood, being a species of causation, may sometimes contribute to the same effect; as also acquaintance, which operates in the same manner with education and custom; as we shall see more fully afterwards. All these relations, when united together, convey the impression or consciousness of our own person to the idea of the sentiments or passions of others, and makes us conceive them in the strongest and most lively manner.

revisiting: sympathy 3



Hume verknüpft seine Beschreibung, dass jede Art verbaler bzw. nonverbaler Aeuszerungen anderer das eigene ICH veranlassen, dazu passende und ihm entsprechende Vorstellungen, Empfindungen und Emotionen hervorzubringen., im folgenden mit einem weiteren Sachverhalt, den er glaubt, festgestellt zu haben:

Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur, 2.1.11.4

Es ist für mich offensichtlich, dass ich mich kontinuierlich und unmittelbar mehr oder weniger stark selber sensoriere. Außerdem gehe ich davon aus, dass mir stets eine bewusste und lebhafte Vorstellung von mir  selber zur Verfügung stehe. Dieses ICH kann sich jedoch nicht vorstellen, dass irgendetwas, das zu ihm gehört, außerhalb des von sich selber Sensorierten oder seiner Vorstellung von sich sei.
Ein anderes ICH, das mit meinem ICH in Kontakt steht, dürfte eine ähnlich lebhafte Vorstellung von sich haben wie mein ICH, und vermutlich entsprechend der Art und Weise, wie dies oben erläutert wurde, Empfindungen von mir mitfühlen können. Der interindividuelle Kontakt dürfte einen beträchtlichen Einfluss darauf haben, wenn auch nicht so stark wie dies in Ursache-Folge-Beziehungen der Fall sein dürfte. „Ähnlichkeit mit“ ebenso wie „Nähe zu Eigenem“ dürften weitere Einflussgrößen sein, die aus Sicht des ICH nicht bestritten werden können. Im vorliegenden Fall scheint sich dieser Zusammenhang gleichsam aufzudrängen: Mein ICH verhält sich nämlich so, als assoziiere es von interindividuell sensorierbaren Zeichen im Sinne von Ursache und Folge auf etwas, das bei ihm so ähnlich oder für ihn selber nahe liegend zu sein scheint.
[Vgl. dazu Enquiry III,2: Es werden solche Vorstellungen miteinander verknüpft, die sich ähneln, die dicht beieinander liegen und die sich eine aus der anderen ergeben.]

Original

Treatise of Human Nature, 2.1.11.4

Tis evident, that the idea, or rather impression of ourselves is always intimately present with us, and that our consciousness gives us so lively a conception of our own person, that ’tis not possible to imagine, that any thing can in this particular go beyond it. Whatever object, therefore, is related to ourselves must be conceived with a like vivacity of conception, according to the foregoing principles; and tho’ this relation shou’d not be so strong as that of causation, it must still have a considerable influence. Resemblance and contiguity are relations not to be neglected; especially when by an inference from cause and effect, and by the observation of external signs, we are inform’d of the real existence of the object, which is resembling or contiguous.
[View also: Enquiry Concerning Human Understanding III,2:To me, there appear to be only three principles of connexion among ideas, namely, Resemblance, Contiguity in time or place, and Cause or Effect.]

revisiting: sympathy 2


Wie ist sympathisieren moeglich?

Seine Antwort gibt Hume – wie dies bei ihm durchgaengig der Fall ist – als Resuemee seines eigenen ‚hinsehen‘ (observing). Ein Humesches Resuemee hat – so ein Resuemee meiner Transpositionsarbeiten – stets den Charakter von versuchsweisen Schlussfolgerungen, die Hume bereit ist jederzeit zu revidieren. Im Untertitel seiner ‚Abhandlung über die menschliche Natur‘ wird dieser Charakter von Hume als „experimental Method of reasoning“ bezeichnet. Dieser Terminus wird von anderen mit ’naturwissenschaftlicher Methode‘ oder ‚Methode der Erfahrung‘ transponiert. Damit kommt m.E. das vorsichtige Finden und das Humesche Bewerten eigener Resuemees als Annahmen überhaupt nicht in den Blick.

Sympathie im Sprachgebrauch zu Hume’s Zeiten

Zu Humes Zeiten war mit ‚Sympathie‘ im oeffentlichen Sprachgebrauch noch ein Teil der vielfaeltigen griechisch-lateinischen Mitbedeutungen lebendig, die sich auf Physiologisches bezogen. z.B. stand Sympathie fuer ‚mitempfinden, gleiche empfindung, teilhaben an einer beschaffenheit, natuerliche uebereinstimmung von dingen, natuerlicher zusammenhang, wechselbeziehung‘. Gelaeufig war auch noch der eingeschraenktere physiologisch-medizinische Sprachgebrauch, der mit ‚Sympathie‘ den Zusammenhang des erkrankten Organs mit Symptomen an anderen noch intakten Organen beschrieb. Zunehmend aber entstanden im Laufe des 17./18. Jahrhunderts ausgepraegte, metaphorisierte Bedeutungszweige, die mit Sympathie vor allem seelische Beziehungen zwischen Menschen beschrieben. (vgl. ‚Sympathie‘ im DWB) Heute wird unter Sympathie fast ausschlieszlich “Zuneigung, bzw. eine positive gefuehlsmaeszige Einstellung zu jemand anderem” (Duden: Bedeutungswoerterbuch) verstanden.

Sympathie als (neuro)physiologisches Aktivitätsprinzip

Hume bezeichnet mit ’sympathy‘ aus meiner Sicht ein (neuro-)physiologisches Prinzip, das der jeweilige Mensch autonom jeweils situativ unterschiedlich auspraegt – und zwar abhängig vom individuellen Erleben und der als Erfahrung bezeichneten Auswertung des Erlebten. Beides entspricht nach Auskunft der Neurowissenschaften neurophysiologischen Aktivitaetsmustern.

Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur, 2.1.11.3

Wenn mein ICH durch Sympathisieren mit Gefuehlen anderer angesteckt wird, sensoriert es zuerst deren Wirkungen. Als Wirkungen bezeichne ich alle sensorierbaren Anzeichen in Koerperhaltung, Mimik, Gestik und in sprachlichen Aeuszerungen von Meinungen und Beobachtungen. Mein ICH sensoriert diese Anzeichen, und so wird ihm eine ‚idea‘ (eine erste eigene schwache Vorstellung) von den Gefuehlen des anderen ermoeglicht. Diese ‚idea‘ wird fuer mein ICH im Handumdrehen staerker und heftiger sensorierbar und verwandelt sich in eine ‚impression‘ (eine sehr starke, lebhafte Vorstellung). Diese erreicht einen entsprechenden Grad von Kraft und Lebendigkeit und ruft in mir genauso eine Emotion hervor, wie jede andere eigene Empfindung.

Orginal

Treatise of Human Nature, 2.1.11.3

When any affection is infus’d by sympathy, it is at first known only by its effects, and by those external signs in the countenance and conversation, which convey an idea of it. This idea is presently converted into an impression, and acquires such a degree of force and vivacity, as to become the very passion itself, and produce an equal emotion, as any original affection.

revisiting: sympathy 1



Transposition

Abhandlung über die menschliche Natur 2.1.11.2

Menschen zeigen ein bemerkenswertes Charakteristikum, das sowohl als Phänomen als auch hinsichtlich seiner Folgen deutlich unter anderen hervorsticht. Jeder Mensch hat das Beduerfnis gemeinsam mit anderen das zu teilen, was er sensoriert: d.h. er möchte mit anderen sympathisieren. Er tritt zu anderen in Kontakt, indem er sich ueber Neigungen, Interessen und Ansichten unterhaelt, auch wenn diese von seinen eigenen verschieden sind oder gar im Widerspruch zu ihnen stehen. Das ist nicht nur deutlich beim kindlichen ICH zu sehen, das ganz selbstverständlich Auffassungen anderer übernimmt und so mit anderen in Kontakt bleibt. Auch ein erwachsenes ICH mit einem differenzierten Urteils- und Denkvermoegen findet es sehr schwierig, bei eigenen Beweggruenden und Auffassungen zu bleiben, wenn diese zu denen von Freunden oder Lebenspartnern im Widerspruch stehen. Ich nehme an, dass dieses Verhaltensmuster die ausgeprägte Uniformität bewirkt, die bei Menschen einer Nation hinsichtlich Emotionen und Denkweise beobachtet werden kann. … Ein froh gestimmtes ICH befindet sich im nu in der gleichen Stimmung wie seine Begleiter. Auch ein in sich gekehrtes und missgelauntes ICH nimmt die Stimmung seiner Landsleute und seines Bekanntenkreises an. Wenn ein anderer froehlich ist, fuehle ich mich merklich gelassen und heiter. Ist jemand verärgert oder betruebt, fuehle ich mich augenblicklich niedergeschlagen. Empfindungen wie ich hasse, ich bin verstimmt, ich werde anerkannt, ich liebe, ich bin mutig, ich bin heiter, ich bin niedergeschlagen, erlebe ich oefter im Kontakt mit anderen, als dass sie – wenn ich  alleine bin – von meinem eigenen angeborenen Temperament und meiner momentanen Stimmung ausgehen. Ein derart bemerkenswertes Phänomen verdient Aufmerksamkeit. Ich moechte ihm nachspueren und herausfinden, welches die grundlegenden Prinzipien sein dürften, die „sympathisieren“ ermoeglichen könnten.

Anmerkung: ICH bezeichnet die allgemeine Einheit Koerper (traditionell: Mensch) bzw. die näher bestimmte Einheit Koerper (traditionell: ich). Dieser gewöhnungsbedürftige Terminus soll den ausschlieszlich von mir unterstellten physiologischen Charakter ‚Mensch‘ deutlich machen und wird hier experimentell verwendet. Möglicherweise eignet er sich nicht für die Transposition.

Orginal

Treatise of Human Nature 2.1.11.2

No quality of human nature is more remarkable, both in itself and in its consequences, than that propensity we have to sympathize with others, and to receive by communication their inclinations and sentiments, however different from, or even contrary to our own. This is not only conspicuous in children, who implicitly embrace every opinion propos’d to them; but also in men of the greatest judgment and understanding, who find it very difficult to follow their own reason or inclination, in opposition to that of their friends and daily companions. To this principle we ought to ascribe the great uniformity we may observe in the humours and turn of thinking of those of the same nation; and ’tis much more probable, that this resemblance arises from sympathy, than from any influence of the soil and climate, which, tho’ they continue invariably the same, are not able to preserve the character of a nation the same for a century together. A good-natur’d man finds himself in an instant of the same humour with his company; and even the proudest and most surly take a tincture from their countrymen and acquaintance. A chearful countenance infuses a sensible complacency and serenity into my mind; as an angry or sorrowful one throws a sudden damp upon me. Hatred, resentment, esteem, love, courage, mirth and melancholy; all these paszions I feel more from communication than from my own natural temper and disposition. So remarkable a phaenomenon merits our attention, and must be trac’d up to its first principles.